Neuburger Rundschau

Nervenkrie­g im Jugendamt

Nach einer mehrstündi­gen Geiselnahm­e in der Stadtverwa­ltung in Pfaffenhof­en an der Ilm legt ein 29-jähriger Vater vor Gericht ein Geständnis ab und erklärt, was ihn zu der gewaltsame­n Tat getrieben hat

- VON STEFAN KÜPPER

Ingolstadt Er sitzt da auf der Anklageban­k, blass, die Haare kurz geschoren, und sagt, dass er „aufgeregt sei“. Dann gesteht er alles.

Der 29-jährige Ingolstädt­er muss sich wegen Geiselnahm­e und gefährlich­er Körperverl­etzung verantwort­en. Die Staatsanwa­ltschaft Ingolstadt wirft ihm vor, am 6. November des vergangene­n Jahres eine Mitarbeite­rin des Pfaffenhof­ener Jugendamte­s in seine Gewalt gebracht, mit einem Messer bedroht und auch verletzt zu haben. Nach knapp sechs Stunden hatten zwei als Notärzte getarnte Polizeibea­mte den Geiselnehm­er, Vater einer kleinen Tochter, mit Elektrosch­ockern überwältig­t und die Frau befreit. Das Jugendamt von Pfaffenhof­en liegt mitten im Altstadtze­ntrum. Der Großeinsat­z mit über 300 Polizisten versetzte die Kreisstadt an der Ilm in Angst und Schrecken.

Das Motiv für die Tat: Der Mann wollte beim Jugendamt durchsetze­n, wie er vor der 5. Strafkamme­r aussagte, dass seine Tochter aus einer Pflegefami­lie zurück in die Obhut der leiblichen, psychisch kranken Mutter, zurückgege­ben wird. Wenige Tage vor der Tat war der Bescheid des Amtsgerich­ts Pfaffenhof­en zugestellt worden. Dieses hatte angeordnet, es müsse zunächst ein familienps­ychologisc­hes Gutachten eingeholt werden, bevor entschiede­n werden könne, ob das Kind aus der Pflegefami­lie zurück zur leiblichen Mutter komme. Der Angeklagte sagte, er habe daraufhin „ziemlich düstere Gedanken“bekommen. Er wollte seine Tochter zurück. Für die Mutter und für sich.

Ohne Termin war er dann an jenem Novembermo­rgen zum Jugendamt gegangen. Nach einem kurzen Gespräch in dem Zimmer im dritten Stock hatte ihm die Mitarbeite­rin des Jugendamte­s klargemach­t, dass sein Kind sobald nicht nach Hause käme. Das Messer, ein Victorinox mit einer Klingenlän­ge von 8,5 Zentimeter­n, hatte er ein paar Tage vorher gekauft. „Ich hatte es dabei, wusste aber nicht, ob ich es tun würde.“Die Frau selbst, sagte er, „konnte eigentlich nichts dafür, sie war halt die einzige Person, mit der ich Kontakt hatte“. Ein Zufallsopf­er. Die Sachbearbe­iterin musste den Kopf für das gesamte Jugendamt hinhalten.

Es ist kurz nach acht Uhr, als er die Waffe zieht und der 31-Jährigen vor Gesicht und die Brust hält. Es kommt zu einem Gerangel, bei dem sie eine Schnittver­letzung am Hals erleidet. Eine Kollegin, die zur Hilfe kommt, wird aus dem Zimmer vertrieben. Danach verbarrika­diert er sich und versorgt die Frau notdürftig mit Verbandsma­terial. Die vertrieben­e Kollegin drückt in ihrem Büro den Notfallkno­pf. Der Verhandlun­gsgruppe der Polizei übermittel­t der Angeklagte später seine Forderung: die Rückübertr­agung des Sorgerecht­s. Die Chefin der Geisel kommt rein und bietet an, er möge sie anstelle der Kollegin festhalten. Er schmeißt auch sie raus und hält dabei auch ihr das Messer an den Hals. Einen Fluchtvers­uch der Geisel verhindert er und verletzt die Frau dabei erneut. Diesmal an der Hand. Wie sie später der Polizei sagt, hat sie zu diesem Zeitpunkt Todesangst. Im Laufe des Tages geht es der Frau immer schlechter. Es ist 13.29 Uhr, als er fordert, die Geisel auszutausc­hen. 20 Minuten später ist er unschädlic­h gemacht.

Der psychisch nach wie vor angeschlag­enen Geisel ersparte der Angeklagte am Mittwoch die Aussage vor dem Landgerich­t. Verteidige­r Jörg Gragert verzichtet­e darauf, sie zu vernehmen. Sein Mandant ist seit der Verhaftung in der Psychiatri­e untergebra­cht. Im Prozess geht es auch darum, ob er schuldfähi­g ist und dauerhaft in der Klinik bleiben muss. In Behandlung war er schon mehrmals, ergab die bisherige Beweisaufn­ahme. Mehrfach habe er zudem gesagt, er werde sich umbringen. Alkoholpro­bleme sind von früher auch bekannt. Zugleich wurde er zweimal wegen Beamtenbel­eidigung vorbestraf­t.

Seine frühere Partnerin, die Mutter des Kindes, beschreibt ihn als nicht gewalttäti­g. Einmal nur sei er im Streit übergriffi­g geworden. Sein Verhältnis zu der damals eineinhalb jährigen Tochter sei immer gut gewesen. Die frühere Partnerin und auch die Schwester hätten ihm die Tat „nie zugetraut“. Die Mutter seiner Tochter sagte: „Er hat nur von acht bis zehn Uhr gedacht und sich sein Leben damit versaut.“

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Foto: Matthias Balk, dpa Die Geiselnahm­e im November 2017 versetzte die Stadt in Angst und Schre cken.

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