Wenn Politiker zwitschern
Nachdem Personen wie Donald Trump Statements per Twitter in die Welt tragen, hat sich nun auch Innenminister Horst Seehofer einen Account zugelegt. Welche Personengruppe kann er über den Dienst erreichen?
Neuburg 280 Zeichen. Wenig Platz. Viel zu sagen. Vor allem in der Politik. Für viele ist Twitter wichtig, um Wahlkampf zu betreiben. Seit Kurzem dürfte das auch Deutschlands Innenminister #HorstSeehofer so sehen: Auch er hat sich nun einen Twitter-Account zugelegt. Gute Idee – oder Plagiat von @realDonaldTrump?
Zuerst muss man wissen, dass Seehofer nicht der erste deutsche Politiker ist, der auf diese Idee kommt. Im Gegenteil. Von 16 Menschen im Bundeskabinett besitzen bereits elf einen eigenen TwitterAccount, Seehofer und unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht mitgezählt.
Auch andere Parteien benutzen diese Plattform. Dabei sagt die Größe der Partei nichts über die Anzahl ihrer Follower aus. Beispielsweise landet der Account der CDU, der Partei mit den meisten Sitzen im Bundestag, mit ungefähr 262 000 Followern im Mittelfeld. Dagegen hat ausgerechnet die Partei mit den wenigsten Sitzen die meisten Follower: Die Grünen belegen mit circa 427000 Followern die Spitze, wo- » hingegen die AfD als größte Oppositionspartei auf dem letzten Platz landet (circa 121000 Follower).
Wenn nun die Anzahl der Follower nichts mit der Parteigröße zu tun hat – welches Indiz gibt sie dann? Die Antwort auf diese Frage erhält man, wenn man zwei Statistiken miteinander kombiniert: Dabei handelt es sich zum einen um die Analyse „Wahlverhalten bei der Bundestagswahl 2017 nach Geschlecht und Alter“von Kevin Kobold und Sven Schmiedel und zum anderen um den Social-Media-Atlas der Hamburger Kommunikationsberatung Faktenkontor und des Marktforschers Toluna. Daraus kann man erfahren, dass der Großteil der Twitter-Nutzer 14 bis 29 Jahre alt ist.
Das klingt zwar nach einer großen Personengruppe, doch bei genau dieser Klientel kommt etwa die AfD nicht so gut an. Deren Hauptwählerschaft ist über 40 – ein Alter, ab dem Twitter für die Gesellschaft kontinuierlich uninteressanter wird. Dafür kommt die AfD auf Facebook, Twitters Konkurrent, mit ungefähr 427 600 Abonnenten sehr gut weg. Dem gegenüber erweist sich die Anhängerschaft der Grünen mit etwa 192 800 Abonnenten als deutlich reduziert.
Wenn man als Politiker also gezielt junge Leute ansprechen will, sollte man auf Twitter gehen, richtig? Fast. Denn Twitter, Facebook und Co. haben ein großes Problem: Sie begünstigen die Bildung einer Filterblase. Was heißt das? Wenn man sich beispielsweise ständig Bilder von Kätzchen anschaut, werden einem selten Accounts vorgeschlagen, die sich mit Maschinengewehren beschäftigen. Alles, was man macht und mag, wird nämlich abgespeichert und verarbeitet. Dadurch kommt Twitter zu dem Schluss: „Diese Person schaut sich ständig Kätzchen an? Dann schlage ich ihm nur noch Kätzchen zum Anschauen vor.“Im Umkehrschluss bedeutet das, dass zum Beispiel jemand, der nur Politikern der Linken folgt, wohl nie die Tweets eines NPDMitgliedes in seinem Feed lesen wird. Es sei denn, er sucht gezielt danach.
Wird dadurch die Wahlwerbung auf den Accounts von Politikern nicht nutzlos? Nein. Wie der Skandal um die Firma Cambridge Analytica gezeigt hat, kann man mit sozialen Medien ganze Wahlen beeinflussen. Man braucht allerdings viele kompetente Analysten im Marketing-Team und noch mehr Bots.
Die Aufgabe der Analysten ist offensichtlich: Mithilfe von Programmen analysieren sie unzählige Accounts auf der Suche nach potenziellen Wählern. Die Aufgabe der Bots ist nicht weniger wichtig. Diese automatischen Programme, die sich als Accounts echter Menschen tarnen, verschicken nicht nur Werbung an alle möglichen Leute. Sie sind auch ziemlich praktisch, wenn ein Politiker schnell ein paar Hundert Follower braucht. Deshalb kann man sich bei niemandem, der sich Bots leisten kann – darunter fallen Politiker und ebenso Schauspieler oder Unternehmen – sicher sein, dass dessen Followerzahlen aus real existierenden Menschen bestehen. Andersherum gesagt: Soziale Medien können sich sehr schnell in sehr gute Plattformen für effiziente Wahlwerbung verwandeln.
Ach, übrigens: Hättet ihr gewusst, dass der englische Account der Sesamstraße rund 1 880 000 Follower hat? Das sind fast so viele Anhänger, wie alle deutschen Regierungsparteien zusammen besitzen. Deren Follower beziffern sich auf circa 1902000.