Gegen das Trauma
Kinder, die geflohen sind, leiden oft besonders an dem, was sie erleben mussten. Die KUEichstätt Ingolstadt bietet Therapeuten nun eine Online-Lernhilfe. Um was es dabei geht
Ingolstadt Der Junge wirkt bedrückt. Er ist in sich gekehrt. Der Fünfjährige will nicht mehr in ein Auto steigen. Schuld daran ist das Erlebnis eines schweren Unfalls. Und obwohl er körperlich unversehrt blieb, wirkt das Geschehen bei ihm nach. Angstzustände, Schweißausbrüche. Nun ist es an den Therapeuten, diesem Jungen zu helfen. Die Krankheit, unter der dieser Junge in diesem konstruierten Lehrbeispiel leidet, ist definiert und heißt „posttraumatische Belastungsstörung“. Kinder leiden ganz besonders unter extremen Ereignissen. Einen Unfall oder Kriegserlebnisse zu verarbeiten, ist aber äußerst wichtig für die weitere Entwicklung des Kindes.
Eine bessere Versorgungslage für Kinder und Jugendliche, die an einer posttraumatischen Belastungsstörung leiden, ist das Ziel des Lehrstuhls für Klinische und Biologische Psychologie der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt (KU). Die Uni stellt eine kostenlose Online-Lernplattform für Psychotherapeuten zur Verfügung. Diese Lernplattform vermittelt Kenntnisse über die in den USA entwickelte „Traumafokussierte kognitive Verhaltenstherapie“, kurz TF-KVT.
In diesem „Klassenzimmer“findet sieben Tage die Woche Fortbildung statt. Es ist immer und jeder- zeit erreichbar. Der Schüler sucht sich selbst aus, wann er den Unterrichtsraum betritt und bestimmt seine individuelle Lerngeschwindigkeit. Es ist ein virtuelles Klassenzimmer, und ist ein Angebot an Psychotherapeuten. Nutznießer dieses kostenlosen Weiterbildungsangebots sollen deren Patienten sein. Dabei liegt der Fokus vor allem auf traumatisierte Kinder und Jugendliche. Denn die Kleinsten dieser Ge- sellschaft werden im Falle eines Traumas, sei es nach einem Unfall oder durch Kriegseindrücke, noch immer zu wenig beachtet.
Das Zentrum für Flucht und Migration an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt will mit diesem kostenlosen Weiterbildungsangebot an Therapeuten die zeitliche Verzögerung zwischen wissenschaftlichen Erkenntnissen und deren praktische Anwendung am Patienten verkürzen helfen. „Durchschnittlich dauert es 17 Jahre, bis eine neue Behandlungsmethode in der Grundversorgung angekommen ist. Diesen Zeitraum möchten wir deutlich verkürzen und zur Verbreitung der bewährten Therapieform beitragen“, erklärte Rita Rosner, die an der KU den Lehrstuhl für Klinische und Biologische Psychologie innehat und die Psychotherapeutische Hochschulambulanz der KU leitet.
Diese Schnittstelle zwischen Forschung und Praxis erreicht die Therapeuten zielgerichteter und leichter. Es sind keine zeitraubenden Wochenend-Workshops notwendig, um Grundlagenwissen zu vermitteln. Rosner erhofft sich, dass möglichst viele Therapeuten Sicherheit erhalten und Methoden an die Hand bekommen, mit denen sie Traumapatienten im Alter zwischen drei und 18 Jahren helfen können. „Es geht um Kinder mit und ohne Fluchthintergrund. Oft reicht es bei Kindern, die aus Kriegsgebieten kommen und Angehörige verloren haben, die Therapien einfach zu übersetzen. Oft müssen wir Psychotherapie erst erklären.“In Deutschland gebe es rund 6 000 Kinder- und Jugendtherapeuten, für die dieses Weiterbildungsangebot kostenlos zur Verfügung stehe. Möglich macht das das bischöfliche Ordinariat München-Freising, das dieses Projekt für fünf Jahre finanziert.