Neuburger Rundschau

Kein Lückenfüll­er

Eishockey Beim ERC Ingolstadt hat man viele Talente kommen und vor allem wieder gehen sehen. Doch es gibt Hoffnung: Der 19-jährige Tim Wohlgemuth ist auf dem besten Weg, sich bei den Panthern festzubeiß­en

- VON FABIAN HUBER

Ingolstadt Das Abschlusst­raining ist bereits seit 30 Minuten vorbei. Doch auf der Eisfläche der SaturnAren­a knarzt und scheppert es noch immer. Und wäre ein Verantwort­licher des ERC Ingolstadt nicht dazwischen gegangen, Tim Wohlgemuth hätte seinem Sturmkolle­gen Joachim Ramoser wohl noch mindestens drei Dutzend Pässe aufgelegt. Doch es hilft nichts. Wohlgemuth muss der Presse jetzt kluge Sätze in den Block diktieren. Mal wieder.

„Momentan ist es echt ein bisschen viel“, gibt der 19-Jährige zu. Auf dem Smartphone flattern die Nachrichte­n ein, Freunde schicken ihm Videoschni­psel: Sein erstes Tor in der DEL. Ein herrlicher Schlenzer gegen Nürnberg, der wichtige 3:3-Ausgleichs­treffer noch dazu. Bundestrai­ner Marco Sturm lobt anschließe­nd im Bayerische­n Rundfunk: Wohlgemuth, das sei einer, den brauchen wir für die Zukunft.

Wahrschein­lich hatte PantherSpo­rtdirektor Larry Mitchell so ziemlich den gleichen Gedanken, als er dem U-20-Nationalst­ürmer vom Kooperatio­nspartner ESV Kaufbeuren einen Drei-Jahres-Vertrag vorsetzte und ihn vor der Saison nach Ingolstadt lotste. Mit Wohlgemuth­s zwei Scorerpunk­ten aus den ersten vier Partien und seinem derzeit festen Platz als Center der vierten Reihe rechnete er wohl eher weniger.

„Natürlich ist es toll, dass ich gerade so erfolgreic­h spiele. Aber die Saison ist lange. Ich weiß, dass es vom einen auf den anderen Tag vorbei sein kann, wenn ich aufhöre zu arbeiten“, sagt der flexibel einsetzbar­e Stürmer, stützt dabei seine Hände in die Hüfte und blickt in die Ferne. Wohlgemuth reflektier­t, bevor er spricht. Deshalb trifft er auch meist die richtigen Entscheidu­ngen – nicht nur auf dem Eis, wo vor allem seine Spielintel­ligenz herausstic­ht, sondern auch abseits davon.

„Schule stand immer an erster Stelle“, sagt der Kaufbeurer. „Da war Markus Eisenschmi­d bei uns im Verein ein kleines Vorbild. Der hat Schule und Sport unter einen Hut gebracht.“Das sei anfangs schwer gewesen. Während seine Mitschüler Herbstferi­en genossen, spielte Wohlgemuth im weißrussis­chen Gomel für die Nationalma­nnschaft. Als er von der U18-WM aus Slowenien heimkam, waren es noch zweieinhal­b Wochen bis zum MatheAbitu­r. Am Ende reichte es für den Abschluss, noch in diesem Jahr will Wohlgemuth ein Studium beginnen. Er hätte auch zur Ligakonkur­renz wechseln können. Es gab mehrere Angebote. Trotzdem ging Wohlgemuth zu den Panthern. „Ich wollte den nächsten Schritt gehen, auch selbststän­dig werden und trotzdem nahe an meiner Heimat sein“, sagt er. „Es wurde kein Druck aufgebaut. Man wollte mir hier eine faire Chance bieten. Das hat mich überzeugt.“

Ein Engagement beim ERC In- Das war für deutsche Hoffnungst­räger in der Vergangenh­eit meist eher eine kurzweilig­e Rutschpart­ie in die Zweit- oder sogar Drittklass­igkeit des deutschen Eishockeys als ein Karriere-Sprungbret­t in die DEL. Ob Christoph Kiedie fersauer, Marco Eisenhut, Stephan Kronthaler oder Marc Schmidpete­r – die Liste ließe sich noch ein wenig fortsetzen. Sie alle sind hier gescheiter­t. Oft fehlte das Talent, oft aber auch das Vertrauen der Trainer. Jung gleich unerfahren gleich Risigolsta­dt: ko: So die fragwürdig­e Formel mancher ehemaliger Coaches!

Doug Shedden sieht das ein wenig anders. Den 23-jährigen Fabio Wagner berief er überrasche­nd zum Assistenzk­apitän, gab ihm bisher die drittmeist­e Eiszeit im gesamten Team. Im Testspiel gegen Dornbirn verzichtet­e Shedden freiwillig auf Star-Verteidige­r Ville Koistinen, um Simon Schütz den Vorzug zu geben. Und Wohlgemuth feierte zu Saisonbegi­nn sein DEL-Debüt, während Routinier Petr Taticek auf der Tribüne saß. „Mir ist egal, wie alt du bist oder aus welchem Land du kommst. Wenn du unserem Team helfen kannst zu gewinnen, dann wirst du auch spielen. Und Tim hat bewiesen, dass er diese Chance absolut verdient“, sagt Shedden.

Wohlgemuth weiß, dass die Umstände gerade „glücklich“sind. Eine neue Regelung der Liga schreibt vor, dass in jeder Partie mindestens ein Akteur des Jahrgangs 1996 oder jünger aufgestell­t werden muss, um einen 19 Feldspiele­r auf’s Eis schicken zu können. Dafür kommen aktuell nur Wohlgemuth und Schütz infrage. Mit Laurin Braun und Ryan Garbutt fallen bis Mitte Oktober zusätzlich zwei Stürmer aus. Ob Wohlgemuth nach ihrer Rückkehr per Förderlize­nz in Kaufbeuren eingesetzt wird oder in Ingolstadt bleibt, ist laut Shedden noch vollkommen offen: „Es kommt auf ihn an. Er kann sich einen Platz hier erarbeiten. Solange er weiter lernt und besser wird, bekommt er die Möglichkei­t zu spielen.“

„Ich weiß, dass ich noch nicht sehr viel vorzuweise­n habe, um mich in einem DEL-Team zu etablieren“, sagt Wohlgemuth demütig. „Wenn ich spielen darf, bin ich überglückl­ich. Und wenn nicht, dann ist es eben so. Dann muss ich trotzdem weiterarbe­iten.“So wie Markus Eisenschmi­d. Auch der 23-Jährige spielt nach dem Abitur an einem Kaufbeurer Gymnasium und fünf Jahren Eishockey-Schmiede in Kanada gerade seine erste DEL-Saison in Mannheim. Bilanz: vier Partien, drei Tore, zwei Assists. Bei der Wahl seines Vorbilds hat Tim Wohlgemuth schon mal alles richtig gemacht.

 ?? Foto: Xaver Habermeier ?? Zählt bislang zu den positiven Überraschu­ngen im Kader des ERC Ingolstadt: Stürmer Tim Wohlgemuth. Der 19-Jährige erzielte am Sonntag beim 4:3-Sieg in Nürnberg seinen ersten DEL-Treffer.
Foto: Xaver Habermeier Zählt bislang zu den positiven Überraschu­ngen im Kader des ERC Ingolstadt: Stürmer Tim Wohlgemuth. Der 19-Jährige erzielte am Sonntag beim 4:3-Sieg in Nürnberg seinen ersten DEL-Treffer.

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