So sanft geht die Politik mit der Autoindustrie um
Diesel-Skandal Ein neues Urteil bestätigt die Kritiker der Branche. Ist die Lobby zu mächtig?
Luxemburg/Berlin Ist die deutsche Politik zu nachsichtig mit den deutschen Automobilkonzernen? Mitten im Streit um den Umgang mit den Dieselmotoren hat der Europäische Gerichtshof jetzt ein Urteil gefällt, das diesem Eindruck neue Nahrung gibt: Danach hat die Bundesregierung zu lange zugesehen, wie in mehr als 133 000 Fahrzeugen von Daimler-Benz Klimaanlagen mit klimaschädlichen Treibhausgasen eingebaut wurden. Auch im Zuge des Diesel-Skandals werfen Umweltverbände und Verbraucherschützer der Politik vor, sie gehe zu milde mit der Autoindustrie um.
„Der Diesel-Kompromiss ist nur der jüngste Kniefall der Bundesregierung vor der Autolobby“, betonte Christine Deckwirth von der Organisation Lobby Control gegenüber unserer Zeitung. „Wieder einmal zeigt sich, wie stark die Politik unter dem Einfluss der Automobilindustrie steht.“Die Bundesregierung müsse hier dringend mehr Distanz wahren. „Die Interessen der Verbraucher und das Recht der Menschen auf saubere Luft müssen Vorrang haben.“Ähnlich argumentiert Hartmut Bäumer von der Anti-Korruptions-Organisation Transparency Deutschland: „Die Bundesregierung stellt sich schützend vor die Automobilindustrie. Es ist keine Bereitschaft erkennbar, die Hersteller für den von ihnen erzeugten DieselSkandal ernsthaft in Haftung zu nehmen. Wir fordern die Offenlegung sämtlicher Absprachen zwischen Bundesregierung, Bundesverkehrsministerium und Kraftfahrtbundesamt mit den Automobilherstellern im Hinblick auf die Genehmigung aller Abschalteinrichtungen.“
Nach Ansicht des Bayerischen Gemeindetages lässt das Konzept der Bundesregierung zur Lösung des Diesel-Streits noch viele Fragen unbeantwortet. „Da ist noch so viel offen, sodass wir im Grunde genommen momentan sehr enttäuscht sind von der großen Ankündigung des Verkehrsministeriums“, sagte der Sprecher des Verbandes, Wilfried Schober. Von der Bundesregierung forderte er, „dass das kein Konjunkturprogramm für die Autoindustrie sein darf, sondern eine Entschädigung für das, was die selber verbockt haben, nämlich massiven Betrug im Grunde genommen am Autokunden“. Nach dem Konzept der Regierungsparteien soll die Automobilbranche unter anderem mit einer Umtauschprämie den Kauf sauberer Modelle erleichtern. Neben Opel lehnt auch BMW Nachrüstungen ab. Volkswagen und Daimler wollen sich an Nachrüstungen beteiligen, sofern zertifizierte und zugelassene Systeme existieren.
Im Streit um die Klimaanlagen von Daimler hatte die EU-Kommission bereits 2014 ein Verfahren gegen Deutschland eingeleitet, weil es die verbotenen Treibhausgase R-134 a in Klimaanlagen zugelassen hatte. Erst mehr als zwei Jahre nach Ablauf der von der Kommission gesetzten
Treibhausgase in der Klimaanlage
Frist ordnete das Kraftfahrtbundesamt eine entsprechende Umrüstung an. Eine Strafe sprach der Gerichtshof dafür nicht aus – allerdings muss die Bundesregierung den größten Teil der Verfahrenskosten tragen. Daimler hatte den Einsatz damit begründet, dass von der vorgesehenen, deutlich umweltfreundlicheren Chemikalie R-1234yf ein Sicherheitsrisiko ausgehe. Bei einem Test war sie in Flammen aufgegangen. Andere Hersteller sowie das Kraftfahrtbundesamt teilten die Bedenken nicht.
Mit dem Verhältnis von Politik und Autoindustrie beschäftigen sich auch der Leitartikel und ein Hintergrund in der Wirtschaft. Dort lesen Sie auch, wie Diesel-Fahrer über den Kompromiss bei der Nachrüstung denken.