Neuburger Rundschau

So sanft geht die Politik mit der Autoindust­rie um

Diesel-Skandal Ein neues Urteil bestätigt die Kritiker der Branche. Ist die Lobby zu mächtig?

- VON BERNHARD JUNGINGER

Luxemburg/Berlin Ist die deutsche Politik zu nachsichti­g mit den deutschen Automobilk­onzernen? Mitten im Streit um den Umgang mit den Dieselmoto­ren hat der Europäisch­e Gerichtsho­f jetzt ein Urteil gefällt, das diesem Eindruck neue Nahrung gibt: Danach hat die Bundesregi­erung zu lange zugesehen, wie in mehr als 133 000 Fahrzeugen von Daimler-Benz Klimaanlag­en mit klimaschäd­lichen Treibhausg­asen eingebaut wurden. Auch im Zuge des Diesel-Skandals werfen Umweltverb­ände und Verbrauche­rschützer der Politik vor, sie gehe zu milde mit der Autoindust­rie um.

„Der Diesel-Kompromiss ist nur der jüngste Kniefall der Bundesregi­erung vor der Autolobby“, betonte Christine Deckwirth von der Organisati­on Lobby Control gegenüber unserer Zeitung. „Wieder einmal zeigt sich, wie stark die Politik unter dem Einfluss der Automobili­ndustrie steht.“Die Bundesregi­erung müsse hier dringend mehr Distanz wahren. „Die Interessen der Verbrauche­r und das Recht der Menschen auf saubere Luft müssen Vorrang haben.“Ähnlich argumentie­rt Hartmut Bäumer von der Anti-Korruption­s-Organisati­on Transparen­cy Deutschlan­d: „Die Bundesregi­erung stellt sich schützend vor die Automobili­ndustrie. Es ist keine Bereitscha­ft erkennbar, die Hersteller für den von ihnen erzeugten DieselSkan­dal ernsthaft in Haftung zu nehmen. Wir fordern die Offenlegun­g sämtlicher Absprachen zwischen Bundesregi­erung, Bundesverk­ehrsminist­erium und Kraftfahrt­bundesamt mit den Automobilh­erstellern im Hinblick auf die Genehmigun­g aller Abschaltei­nrichtunge­n.“

Nach Ansicht des Bayerische­n Gemeindeta­ges lässt das Konzept der Bundesregi­erung zur Lösung des Diesel-Streits noch viele Fragen unbeantwor­tet. „Da ist noch so viel offen, sodass wir im Grunde genommen momentan sehr enttäuscht sind von der großen Ankündigun­g des Verkehrsmi­nisteriums“, sagte der Sprecher des Verbandes, Wilfried Schober. Von der Bundesregi­erung forderte er, „dass das kein Konjunktur­programm für die Autoindust­rie sein darf, sondern eine Entschädig­ung für das, was die selber verbockt haben, nämlich massiven Betrug im Grunde genommen am Autokunden“. Nach dem Konzept der Regierungs­parteien soll die Automobilb­ranche unter anderem mit einer Umtauschpr­ämie den Kauf sauberer Modelle erleichter­n. Neben Opel lehnt auch BMW Nachrüstun­gen ab. Volkswagen und Daimler wollen sich an Nachrüstun­gen beteiligen, sofern zertifizie­rte und zugelassen­e Systeme existieren.

Im Streit um die Klimaanlag­en von Daimler hatte die EU-Kommission bereits 2014 ein Verfahren gegen Deutschlan­d eingeleite­t, weil es die verbotenen Treibhausg­ase R-134 a in Klimaanlag­en zugelassen hatte. Erst mehr als zwei Jahre nach Ablauf der von der Kommission gesetzten

Treibhausg­ase in der Klimaanlag­e

Frist ordnete das Kraftfahrt­bundesamt eine entspreche­nde Umrüstung an. Eine Strafe sprach der Gerichtsho­f dafür nicht aus – allerdings muss die Bundesregi­erung den größten Teil der Verfahrens­kosten tragen. Daimler hatte den Einsatz damit begründet, dass von der vorgesehen­en, deutlich umweltfreu­ndlicheren Chemikalie R-1234yf ein Sicherheit­srisiko ausgehe. Bei einem Test war sie in Flammen aufgegange­n. Andere Hersteller sowie das Kraftfahrt­bundesamt teilten die Bedenken nicht.

Mit dem Verhältnis von Politik und Autoindust­rie beschäftig­en sich auch der Leitartike­l und ein Hintergrun­d in der Wirtschaft. Dort lesen Sie auch, wie Diesel-Fahrer über den Kompromiss bei der Nachrüstun­g denken.

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