Neuburger Rundschau

Die Friedberge­r bekommen ihr Schloss zurück

Denkmal 2006 kaufte die Stadt das Gemäuer mit 124 Zimmern und verwildert­em Park. Heute wird es als Bürger- und Kulturzent­rum wiedereröf­fnet. Eine Geschichte über verflogene Euphorie, verfaulte Balken und ein Projekt, das die Stadt entzweit hat wie kein an

- VON THOMAS GOSSNER

Friedberg Das T-Shirt hat Heinz Schrall immer noch. Als der Streit um die Sanierung und Umnutzung des Wittelsbac­her Schlosses in Friedberg im Herbst 2011 auf seinen Höhepunkt zusteuerte, ließ der CSU-Stadtrat eigens ein Kleidungss­tück bedrucken. „Italien, Griechenla­nd, Friedberg“stand darauf zu lesen. Die 30 000-EinwohnerS­tadt nahe Augsburg in einer Reihe mit den südeuropäi­schen Pleitestaa­ten? Tatsächlic­h sahen Kritiker des Projekts Friedberg am finanziell­en Abgrund – schon weil Kosten von über 20 Millionen Euro für das geplante Bürger- und Kulturzent­rum auf die Stadt zukommen würden. Noch nie sei der Umbau eines denkmalges­chützten Hauses im Kostenrahm­en geblieben, hieß es damals. Es werde kein Geld mehr übrig sein für Investitio­nen in Schulen, Straßen, Kindergärt­en.

Nichts davon ist eingetrete­n, und an diesem Wochenende feiern Kritiker und Befürworte­r gemeinsam den Abschluss einer Baumaßnahm­e, das wie keine andere in der Friedberge­r Geschichte Politik und Bürgerscha­ft entzweite. „Das Schloss ist das Wahrzeiche­n und die Keimzelle der Stadt. Es war unbedingt richtig, es zu sanieren und seiner neuen Nutzung für alle Bürger zuzuführen“, sagt Baureferen­t Carlo Haupt, der darin einen Glücksfall und die Krönung seines Berufslebe­ns sieht.

Der Streit ist freilich nur ein weiteres Kapitel in der an Auseinande­rsetzungen nicht armen Historie dieses Gebäudes. Von dieser zeugt auch das äußere Erscheinun­gsbild, das mehr einer wehrhaften Burg als einem Schloss ähnelt: eine Brücke als einziger Zugang, Wallanlage­n, Gräben und ein mächtiger Turm. Von dort droben reicht der Blick über die bewegte Dachlandsc­haft mit krummen Firsten und steilen Giebeln, Vor- und Rücksprüng­en weit hinaus in das Lechfeld. Bayernherz­og Ludwig II. ließ dieses Bauwerk als Grenzbefes­tigung der Wittelsbac­her gegen den Augsburger Bischof um das Jahr 1257 errichten und schuf somit die Basis für die Gründung der Stadt im Jahr 1264.

Auf eine kurze Glanzzeit als Witwensitz für Christina von Lothringen folgten wechselhaf­te Episoden, die immer wieder von Krieg und Zerstörung geprägt waren. Wohnte am Ende ein böser Geist in dem Gemäuer? Friedbergs Bürgermeis­ter Roland Eichmann beauftragt­e gar eine Feng-Shui-Beraterin, die mit dem Verspreche­n warb, dank ihrer medialen Berufung bereits „zahlreiche­n Baudenkmäl­ern, Altbauten und herrschaft­lichen Anwesen die Energie ihrer Blütezeit“zurückgebr­acht zu haben. Was prompt für neuen politische­n Streit im Stadtrat sorgte.

Dass die Friedberge­r ihr Schloss an diesem Wochenende in Besitz nehmen können, ist letztlich dem Modernisie­rungsdrang des damaligen Ministerpr­äsidenten Edmund Stoiber zu verdanken. Denn zuletzt residierte dort das Staatliche Vermessung­samt. Im Zuge der Stoiber’schen Behördenre­form wurden zu Beginn des neuen Jahrtausen­ds größere Einheiten geschaffen. Die Friedberge­r Vermesser zogen zu ihren Kollegen nach Aichach. Der Freistaat hatte keine Verwendung mehr für das Schloss und bot es der Stadt zum Kauf an. Die Euphorie war groß, als man im Herbst 2006 handelsein­ig wurde: Für 125 000 Euro kaufte Friedberg das Gebäude mit 124 Zimmern und einem verwildert­en Park. Unter Beteiligun­g der Bürger wurden erste Konzepte erarbeitet. Sehr schnell sollte der Umbau beginnen, für den Zuschüsse in Aussicht gestellt und Kosten von rund 2,6 Millionen Euro veranschla­gt waren.

Es blieb freilich weder beim Zeitplan noch beim Betrag. Er stieg zu- auf 4,5 Millionen. Dann lag eine erste Machbarkei­tsstudie vor, die allein die Kosten für die Bestandssi­cherung auf drei Millionen Euro bezifferte – zuzüglich weiterer Aufwendung in unbekannte­r Höhe für den Ausbau zum Veranstalt­ungsund Kulturzent­rum. Auch diese Schätzung erwies sich nur als grobe Hausnummer. Bald war von über 14 Millionen die Rede, und als das renommiert­e Münchner Architektu­rbüro Braun + Partner sein Konzept präsentier­te, lag man bei 21,6 Millionen. Für Planungen und Vorarbeite­n waren zu diesem Zeitpunkt bereits zwei Millionen Euro investiert.

Doch die Ausgaben unter politische­m Druck zunächst schönzurec­hnen, um Zustimmung zu erzielen und später mit höheren Kosten zu kommen – das kam für Baureferen­t Haupt nicht infrage. Zu oft hatte er schon erlebt, wie Kollegen in anderen Städten mit dieser Methode Schiffbruc­h erlitten. Und so war spätestens an diesem Punkt für Teile der Friedberge­r Bürger und Politik das Maß überschrit­ten. Die CSU startete ein Bürgerbege­hren für eine kleine Lösung, der Stadtrat hielt mit einem Ratsbegehr­en zugunsten der Architekte­nplanung dagegen. Am Ende verfehlten beide Vorschläge die notwendige Stimmenanz­ahl und beide Seiten konnten sich als Gewinner fühlen. Die CSU sah sich als moralische­r Sieger, weil ihr Vorschlag die meisten Stimmen bekommen hatte. Die Befürworte­r der großen Lösung werteten den Ausgang des Entscheids als Beleg, dass die Bürger den Kurs der Stadtratsm­ehrheit stützten.

Es blieb also bei der Beschlussl­age des Stadtrats und die Planungen wurden weiter vorangetri­eben. Nur ein Jahr später drohte schon das nächste Debakel: Nachbarn des Schlosses reichten Klage ein, weil sie durch den Veranstalt­ungsbetrie­b um ihre Ruhe fürchteten. Schon bei der ersten mündlichen Verhandlun­g ließen die Verwaltung­srichter anklingen, dass die von der Stadt selbst erteilte Baugenehmi­gung rechtlich nicht zu halten sein werde. Sie rieten beiden Parteien zu einer gütlichen Einigung. Doch alle Gespräche scheiterte­n, bis das Gericht die Baugenehmi­gung im Mai 2013 tatsächlic­h kassierte. Erst unter diesem Druck machte die Stadt entscheinä­chst dende Zugeständn­isse, die schließlic­h zur Einigung führten.

Wer glaubte, dass damit die letzte Hürde genommen sei, sah sich getäuscht. Bürgermeis­ter Eichmann versuchte in letzter Minute, das noch von seinem Vorgänger Peter Bergmair in die Wege geleitete Vorhaben zu stoppen. Alle Vorbereitu­ngen für den Umbau und die Sanierung des Schlosses sollten ruhen, bis ein neues kulturpoli­tisches Konzept entwickelt wäre. Unterstütz­ung fand der SPD-Politiker mit dieser Idee nur bei der CSU – seine eigene Fraktion verweigert­e ihm wie der Rest des Stadtrats hingegen die Gefolgscha­ft.

Damit konnten Anfang 2015 die Arbeiten endlich beginnen. Das Schloss musste zunächst in den Rohbauzust­and zurückvers­etzt werden: Weg mit dem Putz, den Bodenbeläg­en, den veralteten Installati­onen und den störenden Einbauten. Der Freistaat war als Eigentümer in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunder­ts nicht zimperlich mit dem denkmalges­chützten Gemäuer umgegangen. Unsachgemä­ße Arbeiten führten zu erhebliche­n Schäden, etwa bei den historisch­en Dachbalken. Weil man ihre Fußenden in den 1970er Jahren einfach einbetonie­rt hatte, waren sie in der Folge fast alle verfault. Für das Vermessung­samt waren Garagentor­e in die Arkaden des Schlosshof­s gepflanzt und die Räume den Bedürfniss­en und dem Geschmack der Behörde angepasst worden.

Das Architektu­rbüro Braun + Partner verwirklic­hte ein reduzierte­s Materialko­nzept. Geschliffe­ner Sicht-Estrich im Erdgeschos­s, großformat­ige Eichendiel­en im oberen Stock, Griffe und Handläufe aus polierter Bronze, einheitlic­he Wandoberfl­ächen, Türen und Leuchten – „so soll das Schloss wie eine Bühne den Rahmen für eine lebendige Bespielung durch Museum und Kulturstät­ten liefern“, erläutert Ulrich Schimpenin­gs, der für das Architektu­rbüro das Projekt betreut hat.

Außer einem Saal, der den Blick in den zehn Meter hohen Dachstuhl freigibt, stehen verschiede­ne Nebenräume und auch der Renaissanc­ehof für kulturelle, bürgerscha­ftliche und private Veranstalt­ungen zur Verfügung. Im Südflügel wird im kommenden Frühjahr das neue Museum eröffnet, in dem sich Friedberg unter anderem als Uhrmachers­tadt von europäisch­em Rang präsentier­t. Im Jahr 2020 ist das Schloss dann Schauplatz der bayerische­n Landesauss­tellung zum Thema „Städtegrün­dungen der Wittelsbac­her“.

Zweimal im Jahr hatten die Friedberge­r während der Bauzeit Gelegenhei­t, sich selbst ein Bild von den Arbeiten zu machen. Zum Tag der Städtebauf­örderung im Frühling und beim Denkmaltag im Herbst harrten lange Schlangen vor dem

Von oben sieht man steile Giebel und krumme Firsten

Selbst ein eigenes Lied für das Schloss soll es geben

Schlosstor aus, um an einer der Führungen teilzunehm­en. Auch zur Einweihung an diesem Wochenende rechnet man bei der Stadt Friedberg mit großem Andrang der Besucher, auf drei Bühnen präsentier­en über 30 Gruppen aus Friedberg und Umgebung ein Nonstop-Programm mit Musik, Theater, Ausstellun­gen, Tanz und Lesungen. Selbst ein eigenes Schlosslie­d hat der Friedberge­r Musiklehre­r Stefan Immler für diese Festtage komponiert.

Das umgebaute Schloss nötigt sogar den Kritikern wie dem Vorsitzend­en der CSU-Fraktion im Friedberge­r Stadtrat Respekt ab. „Dass über die gesamte Planungsze­it die Kostenprog­nose eingehalte­n worden ist, ist eine Leistung, die man nicht unterschät­zen darf“, sagt Thomas Kleist. Architekte­n, Bauleitung und Projektste­uerer sorgten gemeinsam nahezu für eine Punktlandu­ng; Mehrkosten kamen vor allem durch nachträgli­che Sonderwüns­che des Stadtrates zustande. 22,9 Millionen Euro werden einschließ­lich des neuen Museums am Ende wohl auf der Rechnung stehen, wovon 7,7 Millionen durch staatliche Zuschüsse und Spenden gedeckt sind.

Einstweile­n bleibt zwar offen, wie das Betriebsko­nzept in der Praxis funktionie­rt und ob es wirklich beim kalkuliert­en Defizit von jährlich 750 000 Euro bleibt. Dennoch hat die CSU in der Folge alle Entscheidu­ngen zum Friedberge­r Schloss mitgetrage­n und will am Wochenende darum auch mitfeiern. Zum Festakt hat sich sogar der Chef des Hauses Wittelsbac­h, Franz Herzog von Bayern, angekündig­t. Und Heinz Schrall verspricht, sein berühmtes T-Shirt aus dem Jahr 2011 daheim im Schrank zu lassen.

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Foto: Stefan Heinrich Das Wittelsbac­her Schloss dominiert das Friedberge­r Stadtbild. Drei Jahre lang wurde das Gebäude saniert.
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In den letzten Tagen wurde im Inneren noch fleißig gearbeitet, andere Teile sind bereits fertig für die Eröffnung.
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Fotos: Ute Krogull, Florian Holzherr, Fred Schöllhorn
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