Die Friedberger bekommen ihr Schloss zurück
Denkmal 2006 kaufte die Stadt das Gemäuer mit 124 Zimmern und verwildertem Park. Heute wird es als Bürger- und Kulturzentrum wiedereröffnet. Eine Geschichte über verflogene Euphorie, verfaulte Balken und ein Projekt, das die Stadt entzweit hat wie kein an
Friedberg Das T-Shirt hat Heinz Schrall immer noch. Als der Streit um die Sanierung und Umnutzung des Wittelsbacher Schlosses in Friedberg im Herbst 2011 auf seinen Höhepunkt zusteuerte, ließ der CSU-Stadtrat eigens ein Kleidungsstück bedrucken. „Italien, Griechenland, Friedberg“stand darauf zu lesen. Die 30 000-EinwohnerStadt nahe Augsburg in einer Reihe mit den südeuropäischen Pleitestaaten? Tatsächlich sahen Kritiker des Projekts Friedberg am finanziellen Abgrund – schon weil Kosten von über 20 Millionen Euro für das geplante Bürger- und Kulturzentrum auf die Stadt zukommen würden. Noch nie sei der Umbau eines denkmalgeschützten Hauses im Kostenrahmen geblieben, hieß es damals. Es werde kein Geld mehr übrig sein für Investitionen in Schulen, Straßen, Kindergärten.
Nichts davon ist eingetreten, und an diesem Wochenende feiern Kritiker und Befürworter gemeinsam den Abschluss einer Baumaßnahme, das wie keine andere in der Friedberger Geschichte Politik und Bürgerschaft entzweite. „Das Schloss ist das Wahrzeichen und die Keimzelle der Stadt. Es war unbedingt richtig, es zu sanieren und seiner neuen Nutzung für alle Bürger zuzuführen“, sagt Baureferent Carlo Haupt, der darin einen Glücksfall und die Krönung seines Berufslebens sieht.
Der Streit ist freilich nur ein weiteres Kapitel in der an Auseinandersetzungen nicht armen Historie dieses Gebäudes. Von dieser zeugt auch das äußere Erscheinungsbild, das mehr einer wehrhaften Burg als einem Schloss ähnelt: eine Brücke als einziger Zugang, Wallanlagen, Gräben und ein mächtiger Turm. Von dort droben reicht der Blick über die bewegte Dachlandschaft mit krummen Firsten und steilen Giebeln, Vor- und Rücksprüngen weit hinaus in das Lechfeld. Bayernherzog Ludwig II. ließ dieses Bauwerk als Grenzbefestigung der Wittelsbacher gegen den Augsburger Bischof um das Jahr 1257 errichten und schuf somit die Basis für die Gründung der Stadt im Jahr 1264.
Auf eine kurze Glanzzeit als Witwensitz für Christina von Lothringen folgten wechselhafte Episoden, die immer wieder von Krieg und Zerstörung geprägt waren. Wohnte am Ende ein böser Geist in dem Gemäuer? Friedbergs Bürgermeister Roland Eichmann beauftragte gar eine Feng-Shui-Beraterin, die mit dem Versprechen warb, dank ihrer medialen Berufung bereits „zahlreichen Baudenkmälern, Altbauten und herrschaftlichen Anwesen die Energie ihrer Blütezeit“zurückgebracht zu haben. Was prompt für neuen politischen Streit im Stadtrat sorgte.
Dass die Friedberger ihr Schloss an diesem Wochenende in Besitz nehmen können, ist letztlich dem Modernisierungsdrang des damaligen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber zu verdanken. Denn zuletzt residierte dort das Staatliche Vermessungsamt. Im Zuge der Stoiber’schen Behördenreform wurden zu Beginn des neuen Jahrtausends größere Einheiten geschaffen. Die Friedberger Vermesser zogen zu ihren Kollegen nach Aichach. Der Freistaat hatte keine Verwendung mehr für das Schloss und bot es der Stadt zum Kauf an. Die Euphorie war groß, als man im Herbst 2006 handelseinig wurde: Für 125 000 Euro kaufte Friedberg das Gebäude mit 124 Zimmern und einem verwilderten Park. Unter Beteiligung der Bürger wurden erste Konzepte erarbeitet. Sehr schnell sollte der Umbau beginnen, für den Zuschüsse in Aussicht gestellt und Kosten von rund 2,6 Millionen Euro veranschlagt waren.
Es blieb freilich weder beim Zeitplan noch beim Betrag. Er stieg zu- auf 4,5 Millionen. Dann lag eine erste Machbarkeitsstudie vor, die allein die Kosten für die Bestandssicherung auf drei Millionen Euro bezifferte – zuzüglich weiterer Aufwendung in unbekannter Höhe für den Ausbau zum Veranstaltungsund Kulturzentrum. Auch diese Schätzung erwies sich nur als grobe Hausnummer. Bald war von über 14 Millionen die Rede, und als das renommierte Münchner Architekturbüro Braun + Partner sein Konzept präsentierte, lag man bei 21,6 Millionen. Für Planungen und Vorarbeiten waren zu diesem Zeitpunkt bereits zwei Millionen Euro investiert.
Doch die Ausgaben unter politischem Druck zunächst schönzurechnen, um Zustimmung zu erzielen und später mit höheren Kosten zu kommen – das kam für Baureferent Haupt nicht infrage. Zu oft hatte er schon erlebt, wie Kollegen in anderen Städten mit dieser Methode Schiffbruch erlitten. Und so war spätestens an diesem Punkt für Teile der Friedberger Bürger und Politik das Maß überschritten. Die CSU startete ein Bürgerbegehren für eine kleine Lösung, der Stadtrat hielt mit einem Ratsbegehren zugunsten der Architektenplanung dagegen. Am Ende verfehlten beide Vorschläge die notwendige Stimmenanzahl und beide Seiten konnten sich als Gewinner fühlen. Die CSU sah sich als moralischer Sieger, weil ihr Vorschlag die meisten Stimmen bekommen hatte. Die Befürworter der großen Lösung werteten den Ausgang des Entscheids als Beleg, dass die Bürger den Kurs der Stadtratsmehrheit stützten.
Es blieb also bei der Beschlusslage des Stadtrats und die Planungen wurden weiter vorangetrieben. Nur ein Jahr später drohte schon das nächste Debakel: Nachbarn des Schlosses reichten Klage ein, weil sie durch den Veranstaltungsbetrieb um ihre Ruhe fürchteten. Schon bei der ersten mündlichen Verhandlung ließen die Verwaltungsrichter anklingen, dass die von der Stadt selbst erteilte Baugenehmigung rechtlich nicht zu halten sein werde. Sie rieten beiden Parteien zu einer gütlichen Einigung. Doch alle Gespräche scheiterten, bis das Gericht die Baugenehmigung im Mai 2013 tatsächlich kassierte. Erst unter diesem Druck machte die Stadt entscheinächst dende Zugeständnisse, die schließlich zur Einigung führten.
Wer glaubte, dass damit die letzte Hürde genommen sei, sah sich getäuscht. Bürgermeister Eichmann versuchte in letzter Minute, das noch von seinem Vorgänger Peter Bergmair in die Wege geleitete Vorhaben zu stoppen. Alle Vorbereitungen für den Umbau und die Sanierung des Schlosses sollten ruhen, bis ein neues kulturpolitisches Konzept entwickelt wäre. Unterstützung fand der SPD-Politiker mit dieser Idee nur bei der CSU – seine eigene Fraktion verweigerte ihm wie der Rest des Stadtrats hingegen die Gefolgschaft.
Damit konnten Anfang 2015 die Arbeiten endlich beginnen. Das Schloss musste zunächst in den Rohbauzustand zurückversetzt werden: Weg mit dem Putz, den Bodenbelägen, den veralteten Installationen und den störenden Einbauten. Der Freistaat war als Eigentümer in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht zimperlich mit dem denkmalgeschützten Gemäuer umgegangen. Unsachgemäße Arbeiten führten zu erheblichen Schäden, etwa bei den historischen Dachbalken. Weil man ihre Fußenden in den 1970er Jahren einfach einbetoniert hatte, waren sie in der Folge fast alle verfault. Für das Vermessungsamt waren Garagentore in die Arkaden des Schlosshofs gepflanzt und die Räume den Bedürfnissen und dem Geschmack der Behörde angepasst worden.
Das Architekturbüro Braun + Partner verwirklichte ein reduziertes Materialkonzept. Geschliffener Sicht-Estrich im Erdgeschoss, großformatige Eichendielen im oberen Stock, Griffe und Handläufe aus polierter Bronze, einheitliche Wandoberflächen, Türen und Leuchten – „so soll das Schloss wie eine Bühne den Rahmen für eine lebendige Bespielung durch Museum und Kulturstätten liefern“, erläutert Ulrich Schimpenings, der für das Architekturbüro das Projekt betreut hat.
Außer einem Saal, der den Blick in den zehn Meter hohen Dachstuhl freigibt, stehen verschiedene Nebenräume und auch der Renaissancehof für kulturelle, bürgerschaftliche und private Veranstaltungen zur Verfügung. Im Südflügel wird im kommenden Frühjahr das neue Museum eröffnet, in dem sich Friedberg unter anderem als Uhrmacherstadt von europäischem Rang präsentiert. Im Jahr 2020 ist das Schloss dann Schauplatz der bayerischen Landesausstellung zum Thema „Städtegründungen der Wittelsbacher“.
Zweimal im Jahr hatten die Friedberger während der Bauzeit Gelegenheit, sich selbst ein Bild von den Arbeiten zu machen. Zum Tag der Städtebauförderung im Frühling und beim Denkmaltag im Herbst harrten lange Schlangen vor dem
Von oben sieht man steile Giebel und krumme Firsten
Selbst ein eigenes Lied für das Schloss soll es geben
Schlosstor aus, um an einer der Führungen teilzunehmen. Auch zur Einweihung an diesem Wochenende rechnet man bei der Stadt Friedberg mit großem Andrang der Besucher, auf drei Bühnen präsentieren über 30 Gruppen aus Friedberg und Umgebung ein Nonstop-Programm mit Musik, Theater, Ausstellungen, Tanz und Lesungen. Selbst ein eigenes Schlosslied hat der Friedberger Musiklehrer Stefan Immler für diese Festtage komponiert.
Das umgebaute Schloss nötigt sogar den Kritikern wie dem Vorsitzenden der CSU-Fraktion im Friedberger Stadtrat Respekt ab. „Dass über die gesamte Planungszeit die Kostenprognose eingehalten worden ist, ist eine Leistung, die man nicht unterschätzen darf“, sagt Thomas Kleist. Architekten, Bauleitung und Projektsteuerer sorgten gemeinsam nahezu für eine Punktlandung; Mehrkosten kamen vor allem durch nachträgliche Sonderwünsche des Stadtrates zustande. 22,9 Millionen Euro werden einschließlich des neuen Museums am Ende wohl auf der Rechnung stehen, wovon 7,7 Millionen durch staatliche Zuschüsse und Spenden gedeckt sind.
Einstweilen bleibt zwar offen, wie das Betriebskonzept in der Praxis funktioniert und ob es wirklich beim kalkulierten Defizit von jährlich 750 000 Euro bleibt. Dennoch hat die CSU in der Folge alle Entscheidungen zum Friedberger Schloss mitgetragen und will am Wochenende darum auch mitfeiern. Zum Festakt hat sich sogar der Chef des Hauses Wittelsbach, Franz Herzog von Bayern, angekündigt. Und Heinz Schrall verspricht, sein berühmtes T-Shirt aus dem Jahr 2011 daheim im Schrank zu lassen.