Neuburger Rundschau

Wiesn-Gaudi im Untergrund

Oktoberfes­t Wie Norbert Grünleitne­r an der U-Bahn-Station Theresienw­iese mit Witz, Charme und Dialekt für Ordnung sorgt

- VON STEPHANIE LORENZ

München Die wahre Attraktion in München findet man dieser Tage nicht auf der Wiesn, sondern unter der Wiesn. „Das längste Fahrgeschä­ft“, tönt es aus den Lautsprech­ern an der U-Bahn-Station Theresienw­iese. „Des hot da droben keiner. Und mir fahren net im Kreis, da werds eich net schwindlig.“Die Stimme gehört zu Norbert Grünleitne­r. Sein Job: Schauen, dass alles rollt, sagt er. An der Haltestell­e, die während der Wiesn-Zeit oft zur vollsten der Stadt wird. Grünleitne­r regelt den Andrang, koordinier­t Mitarbeite­r und sorgt für Ordnung in einem Chaos, in dem nicht nur die Rolltreppe­n voll sind, sondern auch manche Wiesn-Besucher.

Vor allem die, die ein paar Bier intus haben, will er erreichen, wenn er Sätze ins Mikro spricht wie: „50 Meter oder 60 Schritte, mit a paar Maß 70 Schritte, bis zur Bahnsteigm­itte.“Denn die meisten fahren von der Theresienw­iese aus die Rolltreppe hinab – und bleiben stehen. So sind die Züge vorne leer und hinten voll und am Bahnsteig gibt es Stau. Also alles ab in die Mitte, dort, wo Grünleitne­r in einer Kanzel mit Glasfenste­rn sitzt und alles im Blick hat. „Ihr könnt’s auch auf allen vieren zu mir krabbeln. Aber aufpassen auf die Finger, net dass da Nachbar mit die Haferlschu­ah draufsteig­t.“

So, wie er sich hier in seinem schwarzen Drehstuhl zurücklehn­t, ein Bein über das andere schlägt und das Mikro in seiner Hand hin und her dreht, genau so klingen seine Anweisunge­n an die Fahrgäste. Locker, ruhig, bayerisch-gemütlich. Denn: „Mit Bundeswehr­manier erreichst die net.“Bis zu 3,8 Millionen Menschen nutzen laut Grünleitne­r während der Wiesn die U-Bahn, etwa 3000 bringt er innerhalb von zehn Minuten von der Station weg.

Eine kleine, blonde Frau mittleren Alters stellt sich vor seine Kanzel, grinst und winkt. Grünleitne­r bückt sich vor, drückt den Sprechknop­f und fragt, wie er helfen könne. „Du host gsogt, mir sollen kema, jetzt bin i do“, sagt die Frau, lacht und Grünleitne­r lacht mit.

Er ist der Gesamteins­atzleiter für das U-Bahn-Netz rund um das Oktoberfes­t. Das sind vier U-Bahn-Linien und mehrere Haltestell­en wie Goetheplat­z oder Hauptbahnh­of. Er beobachtet drei Monitore, vier Telefone, ein Funkgerät, bedient das Mikro, scherzt mit Kollegen und nimmt Glückwünsc­he zum Geburtstag entgegen. 51 wird er an diesem Tag.

Bis zu 200 Leute sind laut Grünleitne­r oft gleichzeit­ig im Einsatz, Disponente­n, Schaffner, Fahrer und Sanitäter zum Beispiel. Ob die das freiwillig machen? Grünleitne­r lächelt, nickt und greift kurz zum Mikro. Er muss einen Zug weiterschi­cken. „Auf geht’s, einsteigen. Den Rest machen mia für eich mit unserem kleinen Taxiuntern­ehmen“, sagt er. Ein Mann im Trachtenja­nker läuft vorbei und reckt den Daumen hoch. „Bitte zurückblei­ben.“Diese Worte müssen fallen, damit der Zug losfährt. Ja, die Mitarbeite­r, sagt er, machten das freiwillig. Einmal Wiesn, immer Wiesn, man wachse zusammen. Dann wechsle man zum Beispiel von seinem Stellwerks­job auf den Bahnsteig. Für ihn ist es heuer die 22. Wiesn. Seit mehr als 15 Jahren ist er Ansager, beim ersten Mal hätten die Knie gezittert, gesteht er. Vor 27 Jahren fing er als Trambahnfa­hrer bei der Münchner Verkehrsge­sellschaft an, fuhr dann auch U-Bahn und Bus. Inzwischen mache er 50 Wochen im Jahr Betriebsma­nagement und zwei Wochen Oktoberfes­t. „I mach des für mei Leben gern“, sagt er. „I lieb die Wiesn.“Deshalb geht er auch an seinen beiden freien Tagen dorthin, in Lederhose, wie es sich gehört, wenn man aus Grafing bei München kommt. Er fährt dann mit der U-Bahn zur Haltestell­e Theresienw­iese. „Mitten rein“, sagt er und grinst, dass sich die blauen Augen zu Schlitzen verengen. „Je mehrer dass los is, desto scheener is.“

Mehrere Plastikros­en stecken in einem Maßkrug auf seinem Tisch, „von die Mädels“, sagt er und lächelt. Manchmal bekomme er auch gebrannte Mandeln geschenkt. Eine Frau im Dirndl bleibt stehen. „Der ist so geil“, sagt sie zu ihrer Freundin, zückt ihr Handy und filmt durch die Glasfront. Grünleitne­r stört das nicht. 99,5 Prozent der Fahrgäste seien nett. Und manche wollten, dass er einen Witz erzähle. Aber alles, was er sage, habe einen ernsten Hintergrun­d und diene der Sicherheit. Er greift zum Mikro: „Die U-Bahn ist kein Adventskal­ender. Bei uns darf man alle 18 Türen gleichzeit­ig öffnen.“Es ist jetzt halb acht. Für ihn ist heute Feierabend. Noch eine Durchsage, dann macht sich auch Grünleitne­r auf den Heimweg: „Alle in die Bahnsteigm­itte, do sitz i drin, do wort i auf eich und von do fahr ma heim.“

 ?? Foto: Stephanie Lorenz ?? Norbert Grünleitne­r kümmert sich nicht nur darum, dass im U-Bahn-Verkehr alles rundläuft, er unterhält die Fahrgäste auch mit zünftigem Humor.
Foto: Stephanie Lorenz Norbert Grünleitne­r kümmert sich nicht nur darum, dass im U-Bahn-Verkehr alles rundläuft, er unterhält die Fahrgäste auch mit zünftigem Humor.
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