Weitgehend skandalfrei
Deutschland Schwere Anschuldigungen sind hierzulande selten. Und es gibt Kritik an #MeToo
Berlin Viele nie gehörte Geschichten tauchten im Zuge der #MeToo-Debatte auf. Ob es der schmierige Onkel war, der grapschende Kollege oder der Fremde, der sich in der Straßenbahn befummelt – kaum eine Frau, die nicht so etwas erlebt hat. Früher sagten sich viele: „Lieber nichts sagen, das bringt nur Ärger.“Mit den Vorwürfen gegenüber Medienmogul Harvey Weinstein, der seine Macht gegenüber Frauen skrupellos ausgenutzt haben soll, ist nun vieles anders geworden.
In Deutschland spielte sich die #MeToo-Debatte bislang hauptsächlich in der Fernseh- und Film- branche ab. Größere Fälle aus der Politik oder der Wirtschaft: meist Fehlanzeige. Entweder gab es sie nicht oder sie wurden nicht bekannt.
Für Aufsehen sorgte jüngst lediglich, dass die Führungsriege der Berliner Stasiopfer-Gedenkstätte Hohenschönhausen nach einer Affäre um sexuelle Belästigung geschasst wurde. Deutschlands bekanntester #MeToo-Fall bleibt allerdings ein Regisseur: Die Zeit veröffentlichte nach intensiver Recherche schwere Anschuldigungen von Schauspielerinnen gegen Dieter Wedel – sie reichten bis hin zur Vergewaltigung. Er stritt alles ab und verlor seinen Posten als Intendant der Festspiele von Bad Hersfeld. Die Münchner Staatsanwaltschaft ermittelt weiter wegen eines Vorwurfs des sexuellen Übergriffs.
Auffällig ist hierzulande: Bis auf Wedel sind keine wirklich großen Namen genannt worden. Die Debatte sei in Deutschland völlig anders verlaufen als in den USA, sagt Schauspielerin Jasmin Tabatabai. „Wir Deutschen haben eben weniger Bock auf Skandal, die Mentalitäten sind anders, man kennt sich, will nicht auf Teufel komm raus Leute ranhängen.“Doch nicht jeder sieht #MeToo so positiv – auch abgesehen von beleidigten älteren Herren, die sich kollektiv an den Pranger gestellt fühlen, gibt es Kritik. Die Philosophin Svenja Flaßpöhler beispielsweise beobachtet im Zuge der Debatte eine extreme Verhärtung des Geschlechterverhältnisses. „Die gesamte Aggression richtet sich bei #MeToo auf den Mann. Aber es wird nicht gesehen, dass Frauen Machtstrukturen, die sie beklagen, häufig stützen – durch anerzogene Passivität und Zurückhaltung“, sagt sie, auch wenn sie nicht kritisiere, dass Frauen ihre Stimme erheben.