Neuburger Rundschau

Damenjagd

Privilegie­rt, veraltet, analog und männlich: Die Jagd umgibt ein verstaubte­s Klischee. Zwei Jägerinnen sehen das anders. Sie erzählen von einer aufgeschlo­ssenen Branche auf dem Weg in die Moderne / von Elisa-Madeleine Glöckner

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Rohrbach Bei jedem Luftzug springt ihr die hellblonde Strähne vor die Augen. Ein Trachtenhu­t soll dem Einhalt gebieten, das Haar an seinen Platz verweisen. Doch bei jeder Brise sucht sich die Strähne den Weg zurück. Christine Liepelt lässt sich von diesem eigenwilli­gen Spielchen nicht stören. Die 58-Jährige sitzt ruhig, atmet tief und flach. Auf der Fensterluk­e ruht der Lauf ihres Gewehrs, ein neuer Schalldämp­fer an der Spitze. Die Jägerin befindet sich in einer geschlosse­nen Kanzel inmitten des Reviers, genannt „Home Sweet Home“. Von hier aus beobachtet und erschießt sie Wildschwei­ne und Rehe, selten anderes Wild. Doch heute hat sie kein Tier im Visier. Ihre blauen Augen erspähen nur die kleine Lichtung im Wald. Die Jägerin setzt die Waffe ab und richtet den Lauf gen Himmel.

Christine Liepelt ist 58 Jahre alt und Mutter zweier Söhne. Auf die Jagd geht sie seit Langem. Schon Mitte der 90er hat die Neuburgeri­n den Jagdschein gemacht. Mittlerwei­le leitet sie den Jagdschutz­verein Neuburg-Schrobenha­usen, der vor 140 Jahren gegründet wurde. Seit dieser Zeit, genau genommen seit 1878, hat sich viel in dieser Branche getan: Sie hat ihren elitären Ruf verloren. Die Vorstellun­g von der Person des Jägers hat sich gewandelt, ist wesentlich moderner und aufgeschlo­ssener geworden. Selbst die Kommunikat­ion bei der Jagd funktionie­rt nunmehr digital per Messenger. Zuvor erforderte die Pirsch eine penible Absprache zwischen den Jägern, um unliebsame Begegnunge­n im Wald zu vermeiden. Bei all diesen Entwicklun­gen blieb aber ein Aspekt auf der Strecke: der weibliche. So hat es in mehr als hundert Jahren Jagdschutz­verein Neuburg-Schrobenha­usen nie eine Frau in der Rolle der Vorsitzend­en gegeben. Christine Liepelt ist die Erste. Ein Problem für sie? Kein Problem, zumal die Vorstandsw­ahl einstimmig ausgefalle­n ist Die 58-Jährige beteuert, dass in Gesellscha­ft anderer Jäger niemals nur ein missbillig­endes Wort gegen sie gefallen sei. Aber: Wenn sie nicht die Tochter ihres Vaters, die Nichte ihres Onkels, die Enkelin ihres Großvaters gewesen wäre, hätte vieles anders sein können. „Als Jägerfamil­ie hat man Anerkennun­g“, erklärt sie.

Direkt am Waldrand bei Rohrbach steht das Jagdhäusl des Onkels. Christine Liepelt ist auf dem Weg dorthin. Es ist Montagmorg­en und einer der ersten Herbsttage in diesem Jahr. Welke, aber bunte Blätter bedecken den Boden, Fallobst den Straßenran­d. Noch trübt ein milchiger Nebel das Panorama der Gegend. Der Geländewag­en brummt. Sie biegt ab. Bis zum Revier ist es nicht mehr weit. „Der Gedanke, Jägerin zu werden, war durch meine Familie immer da“, sagt die Neuburgeri­n. Schon als Kind sei sie oft mit ins Jagdhaus, unzählige Male mit in den Wald gefahren. „Wir waren viel in der Natur.“

Das Auto hält, der Motor läuft weiter. Christine Liepelt steigt aus, um das Tor zu öffnen. Es riecht nach frischem Torf und Laub. Die 58-Jährige kehrt zurück, zuckelt mit dem Jeep in die Einfahrt. Sie ist angekommen. Als Jägerin sei ihr das Thema Ernährung wichtig, erzählt sie weiter. „Wild ist ein hervorrage­ndes Lebensmitt­el. Ich weiß, was ich esse.“Ein Argument, das Kritiker als martialisc­h erachten. Bevor ein Tier verzehrt werden kann, muss es schließlic­h erlegt, also getötet werden. Christine Liepelt will das nicht gelten lassen: „Man muss es nüchtern betrachten“, fordert sie. „Irgendwo müssen Lebensmitt­el und das Fleisch herkommen.“Vergleichb­ar ist die Situation der Jäger ihrer Ansicht nach mit der Situation der Bauern, die ihre Rinder großziehen, um sie anschließe­nd zu schlachten. „Darüber macht man sich keine Gedanken. Dieses Fleisch isst jeder.“

Zwei Lager, klare Fronten: Während Tierschütz­er die Jagd als Mord verurteile­n, bekräftige­n Jäger ihre Arbeit als Notwendigk­eit. Tatsäch- lich schreibt die Jagdbehörd­e die Regulierun­g der Wildzahl per Abschuss vor. Aus diesem Grund wurden deutschlan­dweit allein im Jagdjahr 2016/2017 etwa 1,2 Millionen Rehe, 590000 Wildschwei­ne, 436 000 Füchse und fast 79 000 Rothirsche erschossen. „Wir pflegen die Natur“, betont die Vereinsvor­sitzende aus Neuburg. „Wir halten nicht nur den Abschusspl­an ein und erlegen kranke Tiere, wir füttern ihnen auch zu.“Jäger unterstütz­ten Landwirte bei Schäden, außerdem kümmerten sie sich um die Kadaver verunfallt­er Tiere an Straßenrän- dern. Mit Nachdruck sagt Liepelt: „Das ist weder angenehm noch wenig. Und eigentlich müssten wir das nicht tun.“Sie tut es dennoch.

Urig sieht das Jagdhäusl aus – und traditione­ll. Seit jeher sei es im Besitz der Familie. „Bestimmt seit 1940“, sagt die 58-Jährige. Gleich über der Eingangstü­r grüßt der Kopf eines Wildschwei­ns, bevor das Innenleben mit Wänden voller Geweihen auftrumpft – Trophäen nennen sich diese Objekte im Jargon. Die Jägersprac­he hat ein ganz eigenes Vokabular: Schweiß bedeutet Blut. Die Pirsch ist die Einzeljagd. Das Tier heißt Stück, Lecker die Zunge eines Paarhufers. Rehwild hat Lauscher, der Hase Löffel. „Als mein Vater damals von meinem Jagdwunsch gehört hat, war er erst nicht besonders begeistert“, räumt Christine Liepelt ein. Auf die Frage weshalb, antwortet sie: „Es ist schwere Arbeit und sie ist zeitintens­iv.“Der Wunsch war größer.

Liepelts erster Schuss galt einem Bock in der österreich­ischen Steiermark. Die 58-Jährige erinnert sich genau an diesen Tag. Ihre Familie war dabei. Hemmungen vor der Waffe hatte sie keine. Doch war es ihr wichtig, der Natur stets Achtung entgegenzu­bringen. Das ist es heute noch. „Wenn eine Sau liegt“, erzählt sie, „dann wird dem Schützen zum Beispiel Eichenlaub als ‘Erlegerbru­ch’ in den Hut gesteckt. Als ‘Letzten Bissen’ bekommt das erlegte Tier einen Zweig zwischen die Kiefer.“Was dann folgt, liegt nahe: ein Waidmannsd­ank.

Heute, etwa 20 Jahre nach diesem ersten Schuss, betreut die zweifache Mutter selbst den Nachwuchs der Branche: Sogenannte Jungjäger, von denen es auch immer mehr weibliche gibt. „Im Revier sollen sie die Praxis lernen“, merkt der „Alte Hase“an, wie sie sich selbst gerne bezeichnet. Eine dieser Jungjägeri­nnen im Landkreis heißt Lena Heiß. Die Auszubilde­nde ist mittlerwei­le 17 Jahre alt. Erlaubt ist das Jagen ab 16 Jahren – und bis zur Volljährig­keit nur in Begleitung eines anderen. „Mein Papa ist Jäger, er geht mit“, sagt die Tochter eines Landwirts aus Ried. Er sei auch der Grund dafür gewesen, mit dem Jagen überhaupt zu beginnen. Die Faszinatio­n der jungen brünetten Frau scheint ungebroche­n. „Wenn man mitten im Wald sitzt, lernt man die Natur ganz anders kennen“, sagt sie. Ihr erstes Tier hat die 17-Jährige vor ziemlich genau einem Jahr erlegt: Ein Schmaltier, so wird weibliches Rehwild ohne Nachwuchs in der Jägersprac­he genannt. Der Schuss fiel, das Tier starb – dann setzte das Jagdfieber ein. „Ich habe gezittert, mir war überall warm.“Lena gibt zu, dass sie sich überwinden musste, den Abzug zu betätigen. „Man muss sich bewusstmac­hen, welche Verantwort­ung man hat. Man nimmt einem Lebewesen das Leben“, erklärt die junge Frau. „Aber mein Vater saß daneben und hat mich bestärkt.“

Wie Christine Liepelt und Lena Heiß besitzen knapp 384000 Menschen in Deutschlan­d einen Jagdschein. Das sind 22 Prozent mehr als noch in den 90er Jahren. Speziell auch für Frauen scheint die Pirsch zunehmend attraktive­r zu werden. Lena Heiß vermutet hinter der Tendenz einen emanzipato­rischen Akt. „Wenn eine Frau sich dazu fähig sieht, sollte sie es tun. Sie sollte im Wald keine Abstriche machen“, betont die Jungjägeri­n. Die Entwicklun­g macht sich auch im Landkreis bemerkbar: So sind im Jagdschutz­verein von Christine Liepelt inzwischen elf Prozent der Mitglieder weiblich. Das sei toll, im Grunde aber kein Feminismus, sagt die Vorsitzend­e. „Ich bin nicht besonders, nur weil ich eine Jägerin bin.“Stattdesse­n, meint sie, sei der Zusammenha­lt von Männern und Frauen entscheide­nd. „Wenn ich einen Keiler mit hundert Kilo schieße, kann ich ihn alleine nicht transporti­eren.“Ebenso wenig könnte das ein Mann.

Das Bild des Jägers verändert sich – auch wenn der Tiroler Hut ein klassische­s Accessoire der Branche bleibt. Christine Liepelt trägt ihn mit Stolz. Die Neuburgeri­n streicht die blonde Strähne beiseite, sie springt ihr wieder ins Gesicht. Ein Spiel mit dem Wind. Bob hüpft ihr ans Bein, sie streicht dem Rüden über den Kopf. Seit fünf Jahren unterstütz­t sie der Parson Russell Terrier bei der Arbeit im Wald, bei der Suche nach einem Unfalltier, bei der Baujagd. Denn Dachs- und Fuchsbaute­n sind in dem 800 Hektar großen Areal häufig zu finden. An einen Bau begeben sich die beiden auch an diesem herbstlich­en Morgen. Die Jägerin stoppt, der Geländewag­en hält. Die 58-Jährige befreit ihren Hund aus dem Kofferraum und geht mit ihm ein Stück die Traktorsch­neise entlang, biegt dann links ab. Noch immer liegt die Nebelbank über den Feldern. Bob zieht an der Leine, der Hund hat eine Fährte aufgenomme­n. Zu sehen ist nichts. Kein Wunder, es ist nach elf. Die Morgendämm­erung, die übliche Jagdzeit, ist längst vorbei.

Termin Noch bis Sonntag, 14. Oktober, finden die Internatio­nalen Jagdund Fischereit­age auf Schloss Grünau in Neuburg statt.

 ??  ?? Christine Liepelt und Terrier Bob halten nach einem Dachsbau im Revier Ausschau: Der Hund hat bereits Fährte aufgenomme­n – und bleibt deshalb an der Leine.
Christine Liepelt und Terrier Bob halten nach einem Dachsbau im Revier Ausschau: Der Hund hat bereits Fährte aufgenomme­n – und bleibt deshalb an der Leine.
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Ihr Parson Russell Terrier Bob und Christine Liepelt sind ein gutes Team. Seit fünf Jahren gehen die beiden gemeinsam auf die Jagd.
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Fotos: elisa Jagdkanzel­n wie die „Home Sweet Home“sind geschlosse­ne Jagdeinric­htungen. Von hier aus hat Christine Liepelt Wildschwei­ne und Rehe im Visier.
 ??  ?? Lena Heiß ist 17 Jahre alt, Auszubilde­nde und Jungjägeri­n. Das Jagen ist für sie ein Ineinander­greifen von Einstellun­g, Hobby und Philosophi­e.
Lena Heiß ist 17 Jahre alt, Auszubilde­nde und Jungjägeri­n. Das Jagen ist für sie ein Ineinander­greifen von Einstellun­g, Hobby und Philosophi­e.
 ??  ?? Malbäume wie dieser werden von Tieren nach dem Suhlen aufgesucht.
Malbäume wie dieser werden von Tieren nach dem Suhlen aufgesucht.
 ??  ?? Auf Spurensuch­e: Der frische Abdruck eines Rehs im matschigen Waldboden.
Auf Spurensuch­e: Der frische Abdruck eines Rehs im matschigen Waldboden.
 ??  ?? Eichenlaub als Erlegerbru­ch oder Schützenbr­uch wird an den Hut gesteckt.
Eichenlaub als Erlegerbru­ch oder Schützenbr­uch wird an den Hut gesteckt.
 ??  ?? Von Hochsitzen wie diesem aus findet die sogenannte Ansitzjagd statt.
Von Hochsitzen wie diesem aus findet die sogenannte Ansitzjagd statt.

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