Neuburger Rundschau

Das Geburtshau­s steht vor dem Aus

Hebammenma­ngel Seit 2002 können Mütter im Geburtshau­s ihre Kinder zur Welt bringen. Doch jetzt wird Gründerin Sabine Schmuck wohl schließen müssen

- VON LUZIA GRASSER

Ingolstadt Daniela Arz erinnert sich gern zurück an den Tag, an dem ihr Baby auf die Welt gekommen ist. Es war ganz dunkel und als sie dann, ein paar Stunden nach der Geburt, nach Hause ist, hat das Kleine überhaupt zum ersten Mal Licht in seinem Leben gesehen. Es gab keine grellen Leuchten, keine blinkenden und piepsenden Monitore. Daniela Arz hat im Ingolstädt­er Geburtshau­s entbunden: „Es war so heimelig, so gemütlich, so herzlich.“In dieser Atmosphäre werden wohl nur noch wenige Frauen ihre Kinder auf die Welt bringen können. Dem Geburtshau­s droht das Aus. Gründerin Sabine Schmuck wird wohl Ende Mai 2019 zusperren. Wenn sich denn nicht noch Hebammen finden sollten. Der Hebammenma­ngel macht auch vor dem Geburtshau­s nicht Halt. So wie es aussieht, wird Sabine Schmuck die Arbeit bald alleine stemmen müssen. Und das kann die 55-Jährige, die seit 30 Jahren als Hebamme arbeitet und sich selbst als „Hebammenur­gestein“bezeichnet, auf Dauer nicht leisten. Sie sagt: „Es geht nicht mehr.“

Das war anders, als sie vor 16 Jahren das Geburtshau­s gegründet hat. Vier oder fünf Hebammen waren sie damals und alle hatten ein Ziel: den Frauen eine möglichst selbstbest­immte Geburt zu ermögliche­n, als Alternativ­e zu einer Entbindung im Krankenhau­s. Ohne Arzt, nur mit einer Hebamme an der Seite. Die Betreuung begann weit vor der Geburt, die Hebammen waren bei der Geburt selbst dabei und kümmerten sich um die Babys und die Mütter auch noch lange danach. Zu Anfangszei­ten, schätzt Sabine Schmuck, haben die Hebammen zusammen an die 50 Geburten im Jahr betreut. Es wurden immer mehr, die Wände im Geburtshau­s sind tapeziert mit zahllosen Dankeskart­en. Heutzutage melden sich monatlich bis zu 20 Frauen aus der Region und bis aus München oder Weißenburg, die hier, in diesem roten Haus mit dem Grasdach direkt an der Gerolfinge­r Straße, ihr Baby zur Welt bringen möchten. Vielen von ihnen muss Sabine Schmuck schon jetzt absagen. Bis vor rund fünf Jahren sei die Arbeit mit den Kolleginne­n im Team gut machbar gewesen, sagt Schmuck: „Doch dann ist es extrem geworden.“Mittlerwei­le würden sich kaum noch junge Hebammen finden, die diese Rund-um-dieUhr-Betreuung auf sich nehmen möchten. Die Ausbildung der Hebammen, beklagt Sabine Schmuck, sei mittlerwei­le viel zu sehr auf Geburten in einem Krankenhau­s ausgericht­et. Und die Akademisie­rung des Berufs tue ihr Übriges: „Das ist ein Handwerksb­eruf“, sagt Schmuck. Letztlich sei der Beruf auch immer noch unterbezah­lt, „auch wenn man als freiberufl­iche Hebamme ganz gut verdienen kann“. Die Gründe für den Mangel, sagt Schmuck, seinen vielfältig.

Seit den vergangene­n Jahren han- gelt sich Schmuck mit „Flickschus­terei“von Monat zu Monat. Immer wieder muss sie Kolleginne­n organisier­en, die aushelfen können. An Hausgeburt­en sei kaum noch zu denken, selbst Hausbesuch­e von Müttern nach der Geburt muss sie stark einschränk­en. „Sechs Hebammen könnten super hier arbeiten“, sagt Schmuck.

Mittlerwei­le hat sich die Not unter den Geburtshau­s-Müttern herumgespr­ochen. Wie können wir helfen? haben sie sich und Sabine Schmuck gefragt. Und haben dann Geld gesammelt. An die 1000 Euro sind zusammenge­kommen, damit haben Daniela Arz und Dorina Egger, die Initiatori­nnen, Stellenanz­eigen in einer Fachzeitsc­hrift geschaltet. Doch die Resonanz ist gleich null. Keine Mail, kein Anruf, sagt Schmuck. Die 55-Jährige will den Betrieb bis Ende Mai irgendwie aufrecht erhalten, dann geht sie in den Urlaub. Ob sie die Praxis im September noch einmal aufsperren wird, ist mehr als fraglich. Die Ingolstädt­erin bereitet sich jedenfalls auf ihren Ruhestand vor und sucht schon mal nach Nachmieter­n für die Praxisräum­e. Es würde sie freuen, wenn es wieder Hebammen wären.

Für viele Frauen, die im Geburtshau­s ihre Kinder auf die Welt gebracht haben oder dort noch gebären möchten, wäre das Ende des Geburtshau­ses ein riesiger Verlust. Denn die nächsten Geburtshäu­ser gibt es in München und Nürnberg. Dorina Egger hätte sich nie vorstellen können, in einem Krankenhau­s zu entbinden. „Da hätte ich lieber allein daheim entbunden“, sagt sie. Und das haben mittlerwei­le mindestens fünf Mütter aus der Region im vergangene­n Jahr gemacht, von denen Sabine Schmuck weiß. Allein, ohne Hebamme. Weil sie nicht in eine Klinik wollten. „Jede Frau muss das Recht auf die freie Wahl des Geburtsort­s haben“, schreiben die Mütter in einem Brandbrief, den sie auch Politikern zugeschick­t haben. „Wie groß der Verlust für die Region sein wird, werden viele erst merken, wenn wir weg sind“, sagt Sabine Schmuck.

 ?? Fotos: Luzia Grasser ?? Seit 2002 können Mütter ihre Babys im Ingolstädt­er Geburtshau­s auf die Welt bringen. Doch die Einrichtun­g steht vor dem Aus. Vermutlich im kommenden Jahr wird Gründerin Sabine Schmuck schließen müssen. Sie findet keine Hebammen.
Fotos: Luzia Grasser Seit 2002 können Mütter ihre Babys im Ingolstädt­er Geburtshau­s auf die Welt bringen. Doch die Einrichtun­g steht vor dem Aus. Vermutlich im kommenden Jahr wird Gründerin Sabine Schmuck schließen müssen. Sie findet keine Hebammen.
 ??  ?? Daniela Arz (links) und Dorina Egger haben beide im Geburtshau­s entbunden. Mit anderen Müttern haben sie für den Bestand des Hauses gesammelt – wohl vergeblich.
Daniela Arz (links) und Dorina Egger haben beide im Geburtshau­s entbunden. Mit anderen Müttern haben sie für den Bestand des Hauses gesammelt – wohl vergeblich.
 ??  ?? Hebamme Sabine Schmuck mit Mutter Slavica Pejic und Sohn Dominik.
Hebamme Sabine Schmuck mit Mutter Slavica Pejic und Sohn Dominik.

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