Neuburger Rundschau

„Dazu sind wir momentan noch nicht in der Lage“

Eishockey Bundestrai­ner Marco Sturm war am Freitag in der Ingolstädt­er Saturn-arena zu Gast. Im Nr-interview spricht der 40-Jährige über „interessan­te“Panther-spieler für den Deb-kader sowie die Entwicklun­g der „jungen Wilden“in Deutschlan­d

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Herr Sturm, beim ERC Ingolstadt stehen mit Timo Pielmeier, Fabio Wagner und David Elsner Akteure im Kader, die in jüngerer Vergangenh­eit bei Deb-maßnahmen vertreten waren. Wie intensiv verfolgen Sie – auch im Hinblick auf den Deutschlan­d-cup (8. bis 11. November) in Krefeld – die Entwicklun­g dieser Spieler?

Sturm: Schon sehr intensiv – wie im Übrigen auch von jedem anderen deutschen Akteur, die bereits für die Nationalma­nnschaft gespielt hat beziehungs­weise ein Thema für uns werden könnte. Diesbezügl­ich geht mein Blick aber natürlich auch schon in die Zukunft. Im Januar beziehungs­weise Februar haben wir zum ersten Mal eine U 24/U 25-Maßnahme, die unter anderem zwei Partien gegen die Schweiz beinhaltet. Und da sind auch beim ERC Ingolstadt interessan­te Kandidaten dabei.

Trifft das auch auf den Kader für den Deutschlan­d-cup zu?

Sturm: Selbstvers­tändlich. Einige von diesen Jungs habe ich ja erst vor einigen Monaten persönlich kennengele­rnt. Das war auf alle Fälle sehr positiv. Die Bekanntgab­e des Kaders wird wohl Ende der kommenden Woche erfolgen. Wer dann letztlich tatsächlic­h im Aufgebot stehen wird, muss man sehen. Da spielt sicherlich auch eine gewisse Bauchentsc­heidung eine Rolle.

Bleiben wir konkret bei den „jungen Wilden“! Beim ERC Ingolstadt hat sich in dieser Saison Tim Wohlgemuth (19 Jahre) in den Vordergrun­d gespielt. Ist das ein Akteur, den Sie für die Zukunft besonders auf dem Rader haben?

Sturm:

Ja, absolut! Tim ist ja aktueller U 20-Nationalsp­ieler. Hier haben wir ja im Dezember die WM in Füssen, wo er sicherlich dabei sein wird. Da schauen wir definitiv ganz genau drauf. Aber auch auf die anderen Jungs richtet sich unser Blick bezüglich der bereits beschriebe­nen U 24/U 25-Maßnahme jetzt noch intensiver. Dass gerade die jungen Spieler in der Lage sind, sehr gutes Eishockey zu absolviere­n, hat zuletzt die WM wieder gezeigt. Von dem her möchte ich einfach immer auf dem neuesten Stand und bestens vorbereite­t sein.

Sie sind seit nunmehr 2015 Bundestrai­ner und General Manager der deutschen Eishockey-nationalma­nnschaft. Wenn man diese Zeit einmal Revue passieren lässt: Hat sich in den vergangene­n drei Jahren die Entwicklun­g von jungen deutschen Spielern in der DEL zum Positiven verändert?

Sturm: Im oberen Bereich denke ich eher nicht. Wo es aber definitiv Veränderun­gen gegeben hat, ist im Nachwuchsb­ereich. Wir haben beispielsw­eise das sogenannte „Fünfsterne-projekt“gestartet, das sich in eine gute Richtung entwickelt. Man sieht ganz deutlich, dass die Vereine immer mehr „Kids“hinzugewin­nen. Um dann in der Spitze davon zu profitiere­n, dauert es schlichtwe­g seine Zeit. In diesem Bereich merkt man schon den größten Unterschie­d, seit ich beim DEB angefangen habe. An allen anderen Themen müssen wir hart weiterarbe­iten, um uns entspreche­nd nachhaltig zu verbessern.

Seit dieser Saison gibt es in der Deutschen Eishockey-liga eine Regeländer­ung: Um einen 19. Feldspiele­r auf den Spielberic­htsbogen schreiben zu können, muss dieser U 23 oder jünger sein. Ist das ein Schritt in die richtige Richtung oder nur ein „Alibi“?

Sturm: Da bin ich jetzt der Falsche, der darauf antworten soll (lacht). Nein, es ist sicherlich ein guter Anfang. Aber ich blicke in diesem Fall immer auf das „Endresulta­t“– und das ist die Nationalma­nnschaft! Ich bin einfach der Meinung, dass, wenn man dauerhaft unter den „Top Acht“oder „Top Zehn“bleiben möchte, dann wird es unter diesen Voraussetz­ungen schwierig. Das „Schlimme“daran ist, dass die Topnatione­n an erstklassi­gen Talenten immer weiter zunehmen, da es in diesen Ländern ganz andere Förderunge­n gibt. Und das macht es für uns sicherlich nicht leichter.

Wenn Sie heute mit deutschen Vereinsode­r Verbandsfu­nktionären sprechen: Haben Sie den Eindruck, dass diese – gerade mit dem Gewinn der Silbermeda­ille bei den Olympische­n Spielen in Pyeongchan­g im Rücken – nun offener für Veränderun­gen sind oder werden doch noch vermehrt die alten Strukturen verteidigt?

Nein, ich denke schon, dass jedem bewusst ist beziehungs­weise bewusst sein sollte, woran wir noch arbeiten müssen. Was jetzt die Deb-seite betrifft, werden wir uns nach den Olympische­n Spielen sicherlich nicht auf die faule Haut legen. Im Gegenteil. Und ich hoffe, dass alle dieser Meinung sind.

Nach einem derart großen Erfolg, der in der Regel ja auch immer mit einer riesigen öffentlich­en Wahrnehmun­g verbunden ist, heißt es stets: Man müsse die entstanden­e Euphorie nutzen und umsetzen! Ist das in Ihren Augen gelungen?

Auf alle Fälle! Ich spüre diese Euphorie vor allem im Nachwuchsb­ereich. Beispielsw­eise hat die Anzahl an U10-spielern in den Vereinen seit den Olympische­n Spielen um 15 Prozent zugenommen. Aber auch in anderen Bereichen hat sich viel verändert. Man wird heutzutage viel öfter auf Eishockey angesproch­en – auch von Leuten, die bislang gar nichts damit zu tun hatten. Das öffentlich­e Interesse ist seit Pyeongchan­g nochmals deutlich gestiegen. Gleichzeit­ig muss uns aber auch bewusst sein: Wenn wir weiter auf dieser Erfolgswel­le reiten wollen, dann müssen im Grunde auch wieder die gleichen Erfolge her. Doch dazu sind wir momentan einfach noch nicht in der Lage. So realistisc­h und ehrlich muss man einfach sein.

Vor allem aus Ihrer aktiven Zeit haben Sie nach wie vor erstklassi­ge Kontakte nach Nordamerik­a. Haben Sie den Eindruck, dass das deutsche Eishockey seit dem Gewinn der olympische­n Silbermeda­ille in den USA und Kanada anders wahrgenomm­en wird?

Sturm: Absolut! Während des Sommers war ich zweimal in Nordamerik­a – unter anderem beim Draft und einem Trainer-symposium in Dallas. Wie oft ich darauf angesproch­en und mir zu diesem Erfolg gratuliert wurde, war schon unglaublic­h. Nahezu jeder hat das in Nordamerik­a verfolgt. Aber man merkt das auch an den deutschen Spielern. Dominik Kahun, Yasin Ehliz, Brooks Macek, Marcel Noebels oder Jonas Müller waren plötzlich für die Nhl-klubs interessan­t. Das ist einfach schön zu sehen und bestätigt auch die harte Arbeit, die die Jungs in den vergangene­n Jahren investiert haben.

Dominik Kahun hat sich aktuell bei den Chicago Blackhawks festgebiss­en, während Yasin Ehliz und Brooks Macek in der AHL auf Torjagd gehen. Sieht es der Bundestrai­ner Marco Sturm mit einem weinenden und der ehemalige NHL-STAR Marco Sturm mit einem lachenden Auge, dass immer mehr Deutsche den Sprung nach Nordamerik­a wagen?

Sturm: (lacht) Nun, nachdem ich ja selbst viele Jahre in der NHL aktiv war, weiß ich, wie schön es dort ist. Wenn mich ein Spieler fragt, ob er rübergehen soll, bin ich der Erste, der „Ja“sagt. Ich merke das auch jetzt, wenn ich mit den Jungs drüben spreche. Sie sind einfach nur glücklich, dass sie dabei sind. Es ist einfach eine großartige Erfahrung, die dir keiner mehr nimmt. Nach Deutschlan­d zurück können sie dann immer noch.

Die Fragen stellte Dirk Sing

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Foto: dpa Gibt seit drei Jahren bei der deutschen Eishockey-nationalma­nnschaft die Kommandos: Bundestrai­ner Marco Sturm.Sturm:Sturm:

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