Wilde Jahre im Trikot des AEV
100 Jahre Freistaat Der älteste Eislauf-Verein Deutschlands erlebte aufregende Zeiten: Kerzenlicht in der Umkleide und eine besondere Lohntüte. Persönliche Erinnerungen
Augsburg Wie ich zum Eishockey kam? Durch Zufall. Als Bub bin ich, wie man so sagt, wohlerzogen. Das kommt unter Gleichaltrigen selten gut an. Mir fehlt eine Prise Härte, meint mein Vater und bringt mich auch auf Empfehlung seines Freundes Josef Capla, einem ehemaligen CSSR-Nationalspieler und späteren AEV-Trainer, zum Eishockey. Eine Entscheidung, die mein Leben bis heute prägen sollte. Das Curt-Frenzel-Stadion, das nach dem Gründer der Augsburger Allgemeinen und Eishockey-Mäzen benannt ist, und ich führen eine lose, aber Jahrzehnte währende Beziehung. Mit Höhen, wie grandiosen Spielen vor fast 8000 Zuschauern. Aber auch Tiefen, wie zwei Pleiten.
Das frisch überdachte FrenzelStadion wird ab 1973 zu meinem Spielzimmer. Drei Mal Training die Woche, zuerst bei Ernst Baumgartner, später bei Günther Hauck oder Rudi Schneider. Ich freue mich auf jede Einheit und vor allem auf die Spiele. Sich verausgaben und dann mit den Freunden in der Umkleide stundenlang abhängen großartig. Schnell vergessen auch die Episode, als zu Beginn der Pubertät der damals schon baumlange Milan sich schämt, nackt zu duschen. Eishockeyspieler führen keine langen Gespräche die mit „Duuuuu, wir möchten mal mit dir reden ...“beginnen. Sie stellen mich in voller Montur unter die Brause. Ich schmolle und probiere es mit Fußball beim FC Hochzoll. Nach wenigen Wochen kehre ich ins vertraute Curt-Frenzel-Stadion zurück. Und dusche.
1982 ist es an der Zeit, dass der Juniorenspieler Sako in die erste Mannschaft aufrückt. An mein erstes Spiel kann ich mich gut erinnern. Es passiert beim ERC Selb. Als 19-Jähriger sitze ich in einer Kabine mit Ex-Nationalspieler Ernst Köpf senior, Bronzemedaillengewinner von Innsbruck 1976. Was hängen geblieben ist: „Gore“Köpf reibt sich von oben bis unten mit einem penetrant riechende Kräuteröl ein. Auch Karl-Heinz Fliegauf (später Manager in Augsburg, jetzt in Wolfsburg), Horst Pätzig, Georg Hetmann, Gary Prior und Torwart Thomas Schön sitzen in der Umkleide. Es ist eine traurige Saison, weil sich finanzielle Probleme abzeichnen. Es folgen wilde Zeiten beim AEV. Ein Beispiel: Wir kommen zum Abendtraining und in der Kabine brennen lediglich ein paar Kerzen. Der Grund für die romantische Stimmung: Die Stadt hat dem Ver- ein den Strom abgestellt, weil der AEV seine Rechnungen über Monate nicht beglichen hatte.
Oder eine besondere Lohntüte. Die Mannschaft rebelliert, weil die Klubführung mit der Gehaltszahlung in Rückstand geraten war. Torjäger Dennis May, mit dem ich befreundet bin, droht: „No pay, no play.“Nach einem Heimspiel soll es endlich Geld geben. Zuerst erhalten die Stammspieler wie May, Bill Terry oder Sepp Neumüller Bares. Als ich an die Reihe komme, liegen nur noch Fünf-Mark-Münzen auf dem Schreibtisch. Seit diesem Abend weiß ich, wie schwer 600 Mark in einem Leinenbeutel mit dem Aufdruck „Bayerische Staatsbank Augsburg“sind. Bei meinem Freund Robert Merk sind FünfMark-Münzen aus. Der ältere Bruder des Nationaltorhüters und jetzigen Nationalmannschafts-Manager Klaus Merk erhält Rollen mit ZweiMark-Stücken. Robert Merk haut seine Lohntüte in den Diskotheken „Le Chat“und „Jerome“auf den Kopf.
Große und traurige Momente zugleich bietet die Saison 1984/85. Wir spielen um den Aufstieg in die Bundesliga und reisen zum SC Rießersee. 1800 AEV-Fans begleiten die Mannschaft im Sonderzug nach Garmisch und trinken rund 8000 Flaschen Bier. Bis zur 52. Minute läuft alles prima. Dann folgt ein brutales Foul an dem kanadischen AEV-Stürmer Bill Terry, der sich mehrfach das Schienbein bricht. Unsere Fans verwandeln die Olympiahalle in ein Tollhaus, Feuerzeuge fliegen aufs Eis und der Schiedsrichter bricht schließlich die Partie ab.
Nach dem Wechsel zu Waldkraiburg in die zweite Liga und den Pinguinen Königsbrunn (Oberliga) kehre ich als „Eigentum“des in Konkurs spielenden Augsburger EV im Dezember 1987 wieder ins Frenzel-Stadion zurück. Und spiele meine beste RestSaison in der Oberliga mit 16 Toren und 27 Vorlagen in 30 Einsätzen. In diese Zeit fällt auch eine Boxeinlage mit einem Sonthofener Stürmer – er heißt Duanne Moeser und schießt Tore wie am Fließband. Damals gegen uns. Längst sind wir Freunde, Duanne Moeser beendet 2005 seine großartige Karriere bei den Panthern und arbeitet seit Jahren als Sport-Manager für den Klub. Sein Trikot hängt unter dem Hallendach. Die Nummer sieben wird ebenso wie die fünf der 2015 verstorbenen Klub-Legende Paul Ambros nicht mehr vergeben. Gut in Erinnerung geblieben ist auch ein 1:12 gegen den UdSSRMeister ZSKA Moskau mit TrainerLegende Viktor Tichonov und den Weltstars Fetisov, Kasatonov, Larionov, Makarov und Krutov. Nach dem Oberliga-Jahr 1988/89 verlasse ich den Klub endgültig. Und kehre nur wenige Jahre später als Reporter zurück. Seit mehr als 25 Jahren berichte ich für unsere Zeitung über die Augsburger Panther. Eishockey, das spüre ich immer wieder beim Gang durch das Eisstadion und den Gesprächen mit den Fans, ist in dieser Stadt tief verwurzelt.
Der Augsburger EV ist immerhin der älteste Eislauf-Verein (Achtung: Nicht Eishockey-Verein) in Deutschland. 1878 gegründet feiert der AEV in diesem Jahr sein 140. Vereinsjubiläum. Der Klub zählt zu den Gründungsmitgliedern der Deutschen Eishockey-Liga (DEL), die 1994 gestartet ist und in die 25. Saison geht. Die Profis spielen unter dem Dach der Panther GmbH, die zum größten Teil den Nachwuchsverein AEV mit seinen Jugendteams finanziert. Eishockey spiele ich noch immer. In einer Alt-Herren-Mannschaft der EG Woodstocks Augsburg. Irgendwie lässt mich das Spiel mit der schwarzen Scheibe nicht los.