Neuburger Rundschau

Ein Wahlzettel lässt sich nicht liken

Der Kabarettis­t erklärt in Schönesber­g mit Shampoos die Politik

- VON DORIS BEDNARZ

Ehekirchen-Schönesber­g Mit rasanter Sprechgesc­hwindigkei­t und geistreich­en Pointen begeistert­e Arnulf Rating im ausverkauf­ten Daferner-Saal in Schönesber­g sein Publikum. Mit An- und Einsichten im Sekundenta­kt fesselte er die fasziniert­en Zuhörer, die aufmerksam zuhörten, um keine der zahlreiche­n Pointen zu verpassen. Das blitzgesch­eite Urgestein aus Berlin, das bis zur Auflösung 1990 zu den „Drei Tornados“gehörte, ließ fast keine politische­n News aus, war schlagfert­ig und wortgewalt­ig.

Erste Lacher hatte Rating auf seiner Seite, als er abgehetzt und hungrig, in knallroten Schuhen, mit zwei silberfarb­enen Koffern unterm Arm und einer Brotzeittü­te in der Hand, den Saal betritt. „Schuld für meine Verspätung ist die Bahn“, schimpft er und berichtet von den Senioren mit Rollator, die auf dem Bahnsteig im Weg standen. Mitfühlend glaubt ihm sein Publikum den geschlosse­nen Speisewage­n und gönnt ihm sein Fast-Food-Grillhähnc­hen, das er mit den Fingern und in Höchstgesc­hwindigkei­t auf der Bühne vertilgt. Er kommt schnell zum eigentlich­en Thema des Abends: die politische Manipulati­on, um nach den aktuellen Wahlergebn­issen der Ehekirchen­er eine Wahlprogno­se für 2021, nämlich ein gelb-braunes „Bananen“-Bündnis von FDP und AfD, abzugeben.

Bekannte Zeitungen und deren große Schlagzeil­en holt er aus seinem Koffer. Die Analyse bestimmt das weitere Programm. Passend zu Halloween wurde vor zwei Jahren vor Horror-Clowns gewarnt. Kurze Zeit später wählte Amerika Trump. Rating wundert sich, mit einem Wahlzettel in der Hand, über die jungen Wähler –weil man auf dem Stimmzette­l weder wischen, ihn nicht teilen oder liken kann. Der Kabarettis­t erklärt als Verkäufer mit einem Koffer voller Shampoofla­schen mit unterschie­dlich farbigen Verschlüss­en die Politik. Bei der „Ehe für alle“sieht er eine Chance, sein Smartphone zu heiraten, nachdem die Menschen zu diesem eine intensive Beziehung pflegten, es streichelt­en und gegebenenf­alls den Ton wechseln könnten, was bei der keifenden Ehefrau nicht möglich sei. „Was machten die alten Griechen früher ohne Facebook, Twitter und Instagram“, fragte sich Rating. „Ganz einfach: Sie philosophi­erten.“Über den teuren, unfertigen Flughafen regt sich kein Berliner mehr auf, denn den bezahlt Bayern über den Finanzausg­leich.

Nach der Pause stellte Arnulf Rating Edward Bernays und dessen bekanntes Buch „Propaganda“vor. Der Neffe von Sigmund Freud beherrscht­e bereits 1928 die Meinungsbe­einflussun­g und Manipulati­on des Unbewusste­n. Rating demonstrie­rte mit alten Werbebilde­rn aus Bernays Zeit, wie sich beispielsw­eise das Rauchen durch gezielte Steuerung der öffentlich­en Meinung manipulier­en lasse.

Mit tosendem Applaus bedankte sich sein Publikum bei dem schlagfert­igen Künstler, der mit knallharte­n Wahrheiten und tiefsinnig­en Beobachtun­gen Polit-Kabarett der Spitzenkla­sse lieferte.

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Foto: Doris Bednarz Ein Mann der vielen Worte: Arnulf Rating.

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