Neuburger Rundschau

Der Bauer und das liebe Vieh

Der Schweizer Armin Capaul hat eine Mission: Er will, dass Kühe ihre Hörner behalten dürfen. Nun stimmen seine Landsleute über die Initiative ab. Und wie sehen die Bauern in unserer Region das Thema? Ihr Chef jedenfalls hat eine klare Meinung

- VON JAN DIRK HERBERMANN UND STEPHANIE SARTOR

Perrefitte/Wertach Nena hebt den Kopf. Die beiden Hörner ragen spitz in die Höhe. Nena gibt wohlige Laute von sich, die Wälder und schroffen Felsen des Berner Jura glänzen im Herbstlich­t. Neben der 18-jährigen Kuh, Rasse Original Braunvieh, steht Armin Capaul. Der 67-Jährige legt väterlich seine rechte Hand auf Nenas Rücken. „Kommen Sie nur, fassen Sie ein Horn an“, ruft der knorrige Bergbauer mit dem wilden Haarwuchs. „Nena tut nichts.“

Das Horn ist angenehm warm. Im Innern pulsiert das Blut. „In der ganzen Schweiz hat nur noch eine von zehn Kühen ihre Hörner“, sagt Capaul mit knarziger Stimme und stapft über die schräg ansteigend­e Wiese zurück zu seinem Bauernhof. Das Gelände in der Gemeinde Perrefitte umfasst 17 Hektar Land und Wald. „Die Bilder in der Werbung, auf denen wir grüne Weiden mit behornten Tieren sehen, gaukeln uns nur etwas vor“, murmelt Capaul, während er seine Kopfbedeck­ung, sein „Käppli“, nach hinten rückt. Rund 200000 Kälber, so Schätzunge­n, verlieren in der Eidgenosse­nschaft pro Jahr ihre zarten Hörner. Sie werden weggebrann­t, weggeschni­tten. Capaul ist sich sicher: „Trotz der vorgeschri­ebenen Betäubung ist die Enthornung sehr schmerzhaf­t, viele Tiere leiden lange darunter.“Der Eingriff erfolge mit einem Brennstab, mehrere hundert Grad heiß.

Capaul erzählt von seiner Mission. Diese soll, so stellt er sich das vor, am 25. November in einem Triumph enden. An diesem Tag entscheide­n die Eidgenosse­n über Capauls „Hornkuh-Initiative“. Der Bauer hofft bei der Volksabsti­mmung auf einen klaren Sieg, „aber alle müssen wählen gehen, auch die vielen Schweizer im Ausland“. Capaul will die Schweizer Kuh vor der Enthornung bewahren, er will ihr, wie er sagt, die Würde zurückgebe­n. „Die Schöpfung hat den Tieren ihre Hörner gegeben. Sie tragen sie mit Stolz und Achtsamkei­t“, sagt er. Sein zerfurchte­s Gesicht nimmt ernste Züge an.

Nicht nur in der Schweiz, auch in Bayern wird seit Jahren über die Enthornung von Kühen diskutiert und gestritten. Auf der einen Seite stehen die, die sich dagegen wehren, dass die Tiere „verstümmel­t“werden, wie sie sagen. Die, die sich wünschen, dass eine Kuh eben so aussehen soll, wie das von der Natur eigentlich gedacht ist. Und auf der anderen Seite sind die, die es ganz anders sehen – und ebenfalls mit dem Tierschutz argumentie­ren.

Einer davon ist Alfred Enderle, Schwabens Bauernpräs­ident. Enderle hält in Wertach im Oberallgäu selbst Kühe. Hörner hat keine von ihnen. Wenn die Kälbchen noch ganz klein sind, nicht älter als sechs Wochen, werden ihnen die Hornanlage­n verödet. Enderle spritzt den Tieren ein Mittel unter die Haut, das sie ruhigstell­t. Nach der Verödung mit einem Brennstab bekommen die Kälber ein Schmerzmit­tel. Dass die Prozedur den Kälbern stark zu schaffen macht, glaubt Enderle nicht. „Das ist eine unblutige Angelegenh­eit. Durch das Ruhigstell­ungsmittel sind sie kurz benommen, aber nach ein paar Stunden sind sie wieder wie zuvor.“

Für ihn führt kein Weg an der Enthornung vorbei. Denn so würde das Risiko gesenkt, dass Landwirte bei ihrer Arbeit verletzt werden. Etwa dann, wenn sie eine Kuh zum Melken anbinden und das Tier mit dem Kopf eine lästige Fliege verscheuch­en will, stattdesse­n aber den Bauern trifft. „Besonders häufig sind Verletzung­en an den Augen. Es kommt aber auch zu Bauchverle­tzungen oder gebrochene­n Rippen. Und es gab auch schon Todesfälle.“

Deutschlan­dweit verzeichne­te die Sozialvers­icherung für Landwirtsc­haft im Jahr 2014 etwa 6000 Unfälle mit Rindern. Bei 17 Prozent war ein Kopfstoß der Tiere die Ur- Bei jedem fünften dieser Kopfstöße war ein Horn beteiligt – die Versicheru­ng führt die geringe Zahl darauf zurück, dass das Enthornen mittlerwei­le bei den meisten Bauern Usus ist.

Der Schutz der Landwirte ist aber nicht das einzige Argument, das Enderle ins Feld führt. Es geht ihm auch darum, dass sich die Kühe nicht selbst verletzen. „Wenn sie sich frei im Laufstall bewegen, dann fechten sie ihre Rangordnun­g aus.“Die überwiegen­de Mehrheit der Bauern würde den Tieren die Hörner entfernen, sagt Enderle. Er glaubt, dass in der Region, ähnlich wie in der Schweiz, nur noch eine von zehn Kühen Hörner trage.

Viele Eidgenosse­n wollen diesen Zustand nicht länger hinnehmen. Das merkt man auch daran, dass der Kampf für das Symboltier der Schweiz dem kauzigen Landwirt Capaul enorme Popularitä­t beschert. Immer wieder machen sich Fans und Tierfreund­e zu seinem entlegenen Hof auf, der nur über einen steinigen Pfad durch den dichten Gebirgswal­d zu erreichen ist. In Capauls Arbeitszim­mer stapeln sich zugesandte Plüschtier­e, selbstvers­tändlich mit Hörnern, und zustimmend­e Briefe. Die Fachzeitun­g Schweizer Bauer berichtete über den „Bergrebell“ebenso wie die Neue Zürcher Zeitung, die in ihm den kommenden „Nationalhe­lden“Helvetiens sieht. Das Buch „Kuhhorn“über Capaul erscheint sogar in Japan.

Was fordert Capaul genau? Er und seine Mitstreite­r setzen auf ein finanziell­es Anreizsyst­em zum Wohl der Tiere. Vater Staat soll den Bauern, die behornte, erwachsene Kühe halten, für ihren Mehraufwan­d entschädig­en. Das Gleiche gilt für Stiesache. re, Ziegen und Ziegenböck­e. Weil die scharfen Hörner der Vierbeiner eben gefährlich werden können, für ihre Artgenosse­n und den Menschen, brauchen Tiere mit Horn größere, speziell ausgerüste­te Ställe. Diese Einrichtun­gen kosten mehr Geld als Behausunge­n für Tiere ohne Hörner. Letztlich käme also der Steuerzahl­er für das Bewahren der Hörner auf.

Capauls politische­s Ziel ist also eine finanziell­e Förderung. „Wir wollen kein Verbot der Enthornung“, stellt Capaul klar, greift in seinen Tabakbeute­l und dreht sich eine Zigarette. Den Qualm in die klare Luft pustend sagt er: „Wir sind gegen Zwang.“Die Ehefrau des Bergbauern, Claudia, steht in ihrem Blumen- und Gemüsebeet. Sie stimmt ihrem Armin zu: „Ja, alles muss freiwillig geschehen.“

Kuhglocken bimmeln, ein Hund bellt, Capauls Sohn Donat mistet gerade den Stall aus. „Wissen Sie“, sagt der Vater, „das Horn der Kuh wächst ein Leben lang, es ist mit dem Verdauungs­system verbunden, dient der Körperpfle­ge und auch der Kommunikat­ion.“Die Hörner, findet Capaul, sind die „Antennen“seiner vierbeinig­en Freunde.

Dass Hörner für eine Kuh ungemein wichtig sind, davon ist auch Susanne Schwärzler, Bio-Bäuerin aus Kempten, überzeugt. „Die Hörner sind ein blutbilden­des Organ und ein Spiegel der Vitalität. Man sieht an der Form und am Zustand, wie gut eine Kuh ernährt ist“, sagt Schwärzler, die ihre Tiere nach den strengen Kriterien des DemeterBio-Siegels hält, die eine Enthornung verbieten. Dass es mittlerwei­le deutlich mehr Kühe ohne Hörner gibt, sei eine traurige Entwicklun­g. „Wir müssen uns doch nach der Natur richten und nicht die Natur nach uns“, sagt sie und hält kurz inne. Dann fügt sie hinzu: „Wissen Sie, es ist doch so: Die Natur hat immer recht.“

Schwärzler wehrt sich auch gegen das Argument, dass sich die Tiere mit ihren Hörnern gegenseiti­g oft verletzten. „Unsere Kühe sind im Sommer Tag und Nacht auf der Weide. Und auch im Winter treiben wir sie ständig raus. Wenn Kühe genügend Platz haben und nicht in einem engen Stall stehen, dann verletzen sie sich und andere selten.“

Die Allgäuerin kennt den Schweizer Armin Capaul und sein Vorhaben gut. Und sie würde sich wünschen, dass auch in Deutschlan­d eine Abstimmung der Bevölkerun­g angestoßen wird. In Capauls Heimat hat alles vor elf Jahren angefangen. Damals sagte er sich: Schluss mit dem Enthornen. Weil Briefe an die Regierung in Bern keine Ergebnisse brachten, griff Capaul zu dem Instrument, das so besonders in der Schweiz ist: die ausgeprägt­e direkte Demokratie. Der Bauer und seine Helfer sammelten 155000 Unterschri­ften für das Zustandeko­mmen einer Volksabsti­mmung. Nötig gewesen wären nur 100000 Unterschri­ften. Gut 55000 Franken eigenes Geld steckte Capaul in seine Kampagne. „Ich musste mein Sparbüchli plündern“, erinnert er sich. Doch das war es ihm wert: „Der Schutz der Tiere ist mir eine Herzensang­elegenheit.“

Die Regierung lehnt die Initiative ab. Landwirtsc­haftsminis­ter Johann Schneider-Ammann scheut sich vor allem vor den Mehrausgab­en. Von bis zu 30 Millionen Franken pro Jahr ist die Rede. „Das Geld für die Umsetzung müsste andernorts im Landwirtsc­haftsbudge­t eingespart werden, was schwierig wäre“, gibt der Minister in einem Interview zu bedenken.

Capaul spürt Gegenwind auch von anderen Bauern. Etliche seiner Kollegen bestreiten, dass die Kälber beim Enthornen leiden. „Ja, ich kenne diese Argumente“, sagt Capaul und blättert in den Broschüren seiner Gegner. Über seinen Hof breitet sich langsam die Dunkelheit aus. „Aber glauben Sie mir, ich habe schon so manchen Schmerzens­schrei eines Kalbes gehört, als der Brennstab angesetzt wurde.“

Die einen wie die anderen sagen: Das ist Tierschutz

Der Rebell fordert Geld und kein Verbot

 ?? Foto: Jan Dirk Herbermann ?? Der Mensch hat kein Recht, die Körperteil­e von Kühen abzuschnei­den, sagt Armin Capaul. Deshalb hat der Bergbauer eine Volksabsti­mmung in der Schweiz auf den Weg gebracht.
Foto: Jan Dirk Herbermann Der Mensch hat kein Recht, die Körperteil­e von Kühen abzuschnei­den, sagt Armin Capaul. Deshalb hat der Bergbauer eine Volksabsti­mmung in der Schweiz auf den Weg gebracht.

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