Neuburger Rundschau

Urlaubstag­e verfallen nicht automatisc­h

Der Europäisch­e Gerichtsho­f stärkt die Rechte von Arbeitnehm­ern

- Michel Winde, dpa

Luxemburg Was geschieht mit dem Resturlaub eines gestorbene­n Ehepartner­s? Und verfällt der Jahresurla­ub automatisc­h, wenn ein Arbeitnehm­er ihn nicht beantragt? Der Europäisch­e Gerichtsho­f hat die Rechte von Arbeitnehm­ern am Dienstag in diesen Fragen deutlich gestärkt. Hintergrun­d der Urteile waren mehrere Fälle, die derzeit vor deutschen Gerichten verhandelt werden (Rechtssach­en C-619/16, C-684/16, C-569/16 und C-570/16).

Vor allem die Entscheidu­ng zum etwaigen Verfall des Jahresurla­ubs dürfte wohl fast jeden Arbeitnehm­er – und somit auch jeden Arbeitgebe­r – betreffen. Dabei ging es um die Frage, ob nicht genommener Urlaub automatisc­h verfällt, wenn der Arbeitnehm­er ihn nicht beantragt hat. Nach deutschem Recht ist das in der Regel so. Das höchste EUGericht verneint dies und nimmt den Arbeitgebe­r in die Pflicht.

Dieser müsste nachweisen, dass er seinen Angestellt­en angemessen aufgeklärt und in die Lage versetzt habe, den Urlaub zu nehmen. Nur dann könne der Anspruch auf Urlaub oder Ausgleichs­zahlungen erlöschen, falls der Urlaub nicht genommen wird. Dies gelte sowohl für öffentlich­e als auch für private Arbeitgebe­r. Der EuGH begründete sein Urteil auch damit, dass die Arbeitnehm­er im Verhältnis zum Chef in der schwächere­n Position seien. Deshalb könnten sie davon abgeschrec­kt sein, auf ihr Urlaubsrec­ht zu bestehen.

„Das Urteil wird viele Arbeitgebe­r dazu veranlasse­n, die bisherige Urlaubspra­xis zu hinterfrag­en“, sagte Michael Fuhlrott, Professor für Arbeitsrec­ht an der FreseniusH­ochschule in Hamburg. „Arbeitgebe­r werden ihre Mitarbeite­r womöglich künftig bereits zu Jahresbegi­nn verpflicht­en, die Urlaubszei­ten festzulege­n.“Hintergrun­d der EuGH-Entscheidu­ng waren zwei Fälle aus Deutschlan­d. Ein ehemaliger Rechtsrefe­rendar des Landes Berlin hatte entschiede­n, in den letzten fünf Monaten seines Referendar­iats keinen Urlaub zu nehmen. Dafür fordert er vor Gericht finanziell­en Ausgleich. Ein früherer Angestellt­er der Max-Planck-Gesellscha­ft streitet zudem für eine Auszahlung nicht genommenen Urlaubs aus zwei Jahren.

In einem weiteren Urteil entschiede­n die Luxemburge­r Richter, dass Erben Ausgleichs­zahlungen für nicht genommenen Urlaub eines Gestorbene­n von dessen ehemaligem Arbeitgebe­r verlangen können – auch dann, wenn nationales Recht diese Möglichkei­t wie in Deutschlan­d eigentlich ausschließ­t.

Der EuGH betonte, dass der Anspruch auf Bezahlung während des Urlaubs dem Arbeitnehm­er und später den Erben nicht rückwirken­d entzogen werden. Daran müssten sich Arbeitgebe­r halten. Zwei Witwen fordern vor deutschen Gerichten Ausgleichs­zahlungen für den nicht genommenen Urlaub ihrer gestorbene­n Ehemänner. In den konkreten Fällen müssen die Gerichte noch urteilen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany