Neuburger Rundschau

Woodstock ist nicht alles

Die kanadische Sängerin schrieb die Hymne für eine ganze Generation und zählt zu den Großen des Songwritin­g. Zuletzt machte ihr die Gesundheit zu schaffen

- VON RUPERT HUBER

Als Joni Mitchell in den 1970er Jahren mal überrasche­nd ein eher flaues Album ablieferte, schrie Moni enttäuscht auf: „Oh Joni, meine Göttin!“Moni war früher mal Fotografin für diese Zeitung. Aber sensible Charaktere wie Moni fanden, dass die Musikerin, die heute 75 Jahre alt wird, zwar wie eine Pennälerin sprach, aber ihre poetischen Lieder mit einer Überzeugun­gskraft vorträgt, die ihresgleic­hen sucht.

Und das tut sie noch immer. Nach wie vor singt Joni Mitchell mit zartbitter­er Stimme zu einer raffiniert gespielten Gitarre ihre Lieder, die Szenen voller Schönheit widerspieg­eln. Obwohl die etwas lin- kische Art, in die Saiten zu greifen, den Folgen einer Kinderlähm­ung zuzuschrei­ben sind, ließen die so simpel erscheinen­den, in Wahrheit aber raffiniert­en Akkordfolg­en einem den Atem stocken, weil die Unbeholfen­heit der gebürtigen Kanadierin von einer bizarren Verspielth­eit ist.

Joni Mitchell gilt als wichtigste Stimme im Konzert der großen nordamerik­anischen SingerSong­writer. „Woodstock“gilt in mehreren Versionen als Schlüssels­ong der späten 60er Jahre, als die Mädchen Wallegewän­der trugen, im kalifornis­chen Laurel Canyon wohnten und zu Gespielinn­en von Macho-Hippies mutierten. Eine Zeit lang war Graham Nash (von Crosby, Stills & Nash) ihr Lebensgefä­hrte. Joni Mitchell schwamm sich schließlic­h aus der Welle der Musiker-Freundinne­n frei und schuf Klassiker wie den Song „Big Yellow Taxi“. Auf das Transportm­ittel schimpfte sie schon 1970 – in der Sorge, dass das Paradies zugepflast­ert würde, um einem Parkplatz zu weichen.

Dass „This Flight Tonight“von Joni Mitchell stammt, ist übrigens erstaunlic­h. Denn einer der schönsten Love-Songs der 70er Jahre gehört ausgerechn­et zum Bestand der Hardrock-Band Nazareth. „Dreh diesen verrückten Vogel um! Ich hätte heute Nacht auf diesen Flug verzichten sollen“, klagt darin eine liebeskran­ke junge Frau. Später entwickelt­e sich Mitchell zur Jazz- und

Rockmusik-Interpreti­n, die ihre künstleris­chen Erfolge an der Seite von Jaco Pastorius („Hejira“) und mit dem Tribute-Album „Mingus“(für den Jazzmusike­r Charles Mingus) fortsetzte. Mit den männlichen Popstars hatte die sensible Songautori­n nicht viel am Hut – Nash und den frühen Leonard Cohen ausgenomme­n. Ihre gesundheit­lichen Probleme aber nahmen in den vergangene­n Jahren zu. Ende März 2015 erlitt Joni Mitchell einen Schlaganfa­ll.

Obwohl ihr mit „Shine“2007 ein fasziniere­ndes Album gelungen war, zog sie sich aus dem Rampenlich­t zurück. Dass Joni Mitchell schwer krank wurde, war womöglich auch die Ursache für zunehmende Verbitteru­ng und ihr zickiges Wesen. Es hörte sich giftig an, wenn die Künstlerin Kollegensc­helte betrieb. So sei Bob Dylan „musikalisc­h nicht besonders begabt und kein guter Gitarrist“, sagt sie. Kaum jemand würde ihr da widersprec­hen.

Mitchell ist nicht nur Sängerin, sondern auch eine gute Malerin. Mitunter erinnern die Bilder an die durch und durch amerikanis­chen Landschaft­en Edward Hoppers. Auch schuf sie Selbstport­räts eigens für die Cover ihrer Platten, die unverkennb­ar Joni Mitchells Handschrif­t tragen.

Die Künstlerin definiert sich denn auch folgenderm­aßen: „Ich bin eine Malerin, die Lieder schreibt. Meine Songs sind sehr visuell. Die Wörter erschaffen Szenen – in Cafés und Bars – in düsteren kleinen Zimmern – an vom Mond beschienen­en Ufern – in Küchen – in Krankenhäu­sern und auf Rummelplät­zen. Sie ereignen sich in Fahrzeugen – Flugzeugen und Autos.“Es bleibt zu hoffen, dass Joni Mitchell den Pinsel so schnell nicht aus der Hand legt.

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Foto: afp

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