Dem Meuchelmorden ein Ende
Der Neuburger Landwirtssohn Johann Habermeyer muss 1917 an die Front nach Rumänien. Nach einem Steckschuss hat er Glück und darf zur Genesung zurück in die Heimat. Seine Fronterlebnisse hat er niedergeschrieben
Der Große Krieg, wie der Erste Weltkrieg in Großbritannien und Frankreich auch genannt wird, dauerte vier Jahre und kostete 17 Millionen Menschenleben. Die Schrecken dieses ersten industrialisierten Krieges mit dem vieltausendfachen Tod in den Schützengräben überstiegen jedes bis dahin gekannte menschliche Leid. Der Landwirt Johann Habermeyer aus Neuburg war einer der über 13 Millionen Soldaten im deutschen Heer, von denen über zwei Millionen gefallen sind. Jedes Schicksal ist individuell und allzu vieles blieb unerzählt. Habermeyer, Jahrgang 1890, hatte Glück im Unglück, wurde verwundet und durfte frühzeitig heimkehren. Seine Fronterlebnisse in Rumänien hat er niedergeschrieben – ein Schicksal, stellvertretend für viele. Enkelin Gertraud Habermeyer hat das Tagebuch, ein authentisches zeitgenössisches Dokument, der Neuburger Rundschau zur Verfügung gestellt.
Am 28. Januar 1914 erfährt der damals 26-Jährige von seiner Einberufung, zwei Wochen später kommt der Marschbefehl. „Schwer fiel mir der Abschied von den Meinen. Aber was half’s? Das Vaterland rief. Nach kurzer Ansprache und Gebet des Herrn Stadtkaplan Angerer auf dem Kasernenhof...ging’s mit Musik zum Städtele n’aus“, fängt Johann Habermeyer die ambivalente Stimmung unter den Kameraden ein. Vom Neuburger Bahnhof aus rollte der Truppentransport auf Schienen gen Osten. „Lange flatterten unsere weißen Taschentücher zu den Fenstern hinaus, bis das letzte Haus verschwunden war. Jeder dachte, er würde diesen Ort wohl nie wieder sehen. Manch Gebet stieg da noch zum Himmel!“Über München, Salzburg und Graz ging die an Eindrücken reiche Fahrt, sah Habermeyer doch zum ersten Mal in seinem Leben die Alpen „in schönstem Winterkleide“, weiter durch Ungarn in Richtung Balkan und via Subotica (Serbien) und Hermannstadt (Sibiu) zur vorläufigen Endstation Zeiden (Codlea) ins damals österreich-ungarische Siebenbürgen, heute Rumänien. Freilich ist dies ein Truppentransport und keine Ferienreise, der Komfort entsprechend bescheiden.
„Unser Zug...war vollständig ohne Heizung“, schreibt der noch grüne Frontsoldat. Dabei seien die Nächte im Februar so kalt gewesen, dass die Männer nicht schlafen konnten und Decken und Kleidung direkt an den Eisenteilen der Waggonwände festfroren. Die Fahrt dauerte acht Tage, erstes Quartier bezieht man in einer Kaserne bei Weidenbach (Ghimbav). Johann Habermeyer ist ein aufgeweckter und guter Beobachter. Er macht sich stets eigene, unvoreingenommene Gedanken über Land und Leute. Über die Siebenbürger Sachsen schreibt er: „Vor etwa 500 Jahren sind dieselben hierher ausgewandert und haben ihre schönen Sitten und Gebräuche noch gut erhalten. Die Leute hier sind sehr regsam und was Elektrizität, Wasserversorgung und Kanalisation betrifft, so könnten sich diese Ortschaften mit jeder Stadt unseres Vaterlandes messen. Der Religion nach ist fast alles evangelisch. Ich hatte Gelegenheit, ihren Gottesdienst zu besuchen. Mit welchem Empfinden ich ihr Gotteshaus verließ, kann ich schwer beschreiben. Eine junge Weidenbacherin gab das Lied ’Näher mein Gott zu dir’ in so rührender Weise wieder, dass es mein Herz rührte.“
Nach vier Tagen Schonfrist geht es zunächst zu Fuß und dann wieder per Bahn weiter an die Front. Jenseits der Transilvanischen Alpen kommen die Männer erstmals in Gegenden, „wo der Kriegssturm gewütet hatte.“Am Bahnhof in Cozmani treffen sie mit gefangenen Rumänen zusammen, auch erste Kontakte mit der ansässigen Bevölkerung gibt es. „Wir wurden bei einem rumänischen Maurer einquartiert und gut verpflegt. Er kochte Kaffee ganze Kübel voll. Hier sah ich zum ersten Mal eine orthodoxe Kirche mit ihrem Pfarrer. Die Kirche ist sehr schön und gehalten nach der alten, ersten Kirche in Betraum und Allerheiligstes. An Gold und Silber wurde da nicht gespart. Merkwürdig war der alte Pfarrer mit seinem Zopf und dem schmutzigen Talar“.
Auf dem Weiterweg zum Fluss Putna folgt „der schlechteste Marsch, den ich während meiner bisherigen Militärzeit gemacht habe. Nichts als Schnee, soweit man sehen konnte. Gar mancher von uns sank bis zu den Hüften und der Brust ein.“Nicht nur die Kälte plagt die Soldaten, auch der Hunger macht ihnen zu schaffen. Zu allem Übel müssen sie, in den Stellungen angekommen, „von morgens bis abends noch schanzen.“Erst nach Tagen hat Habermeyer Gelegenheit, wieder einmal die Wäsche zu wechseln. „Daß diese voll Schmutz und Läuse war, braucht wohl nicht erwähnt werden“, hält er trocken fest. Es folgen Wochen des Wartens und kleinere Scharmützel. Der April „brachte wieder Freudigeres“. Es ist die Zeit des orthodoxen Osterfestes, zu der eine Waffenruhe angeordnet wird. „Zwei Russen kamen herüber und wurden von Major Wagner und Leutnant Lampa festlich empfangen, zum Stabe geführt und nach drei Stunden mit großen Räuschen wieder hinübergeschickt.“Dann sprechen wieder die Waffen.
In Reservestellung in der Stadt Foxani folgen lichtere Tage, schließlich ungewohnte Hitze. An manchen Tagen, dokumentiert der Tagebuchschreiber, steigt das Thermometer auf annähernd 50 Grad. Der Sommer, die Heeresführung ordnet den Vormarsch nach Bessarabien an, wird dann verlustreich und dramatisch. „Der 11. August wurde unserer Kompanie zum Verhängnis.“Durch ein ausgetrocknetes Flussbett soll es ohne Artillerieunterstützung gegen russische Stellungen gehen. „Jeder ahnte, dass das Leute kostet! Überschütteten uns doch die Russen mit einem fürchterlichen Maschinengewehrfeuer, daß man glaubte, die Hölle und alle Teufel seien los. Leute, die Verdun und Somme mitgemacht hatten, sagten, dort sei das Feuer auch nicht stärker gewesen. Aber was nützte es, wir mussten uns fügen.“Kaum sind die Frontkämpfer aus der Deckung, gibt es die ersten Verluste. „Neben mir fiel mein Kamerad Volz durch einen Querschläger ins Gesicht. Er war sofort tot.“Habermeyer verliert bei dem Ausfall seine Einheit und bei der Suche, „50 bis 70 Meter von den Unse- ren entfernt“, platzt über ihm ein Schrapnell. „Ich fühlte sogleich einen Schlag auf dem rechten Oberarm. Ich schrie ’Au!’“. Der Getroffene denkt zuerst an einen Streifschuss, doch als das Blut durchsickert und die Schmerzen größer werden, wirft er in Panik seinen Tornister fort und rennt, „so schnell ich konnte rückwärts“. Doch er gerät in feindliches Sperrfeuer und duckt sich in ein schützendes „Loch hinein, so gut ich konnte. Die Granaten schlugen links und rechts von mir ein, dass ich fast bewusstlos war. Was ich da aushielt, kann keine Feder schreiben. Ich glaubte, so oft eine herüberpfiff, sie müsse mich in Stücke zerreißen. Ich solchen Augenblicken lernt man beten!“Bei Einbruch der Nacht wird es ruhiger und der Verwundete traut sich aus der Deckung. Auf dem Weg hinter die Linien stolpert er über einen sterbenden Russen, der ihn um Wasser anfleht. „Er zog mich dann auf den Boden und küsste mir Hand und Rock.“Als er endlich einem Sanitäter begegnet, weist der ihm den Weg zur Krankensammelstelle. Dort diagnostiziert man einen Steckschuss. Per Güterzug geht’s von der Front ins Lazarett nach Bukarest.
„Überglücklich waren wir dort, hatten wir doch nach langen Entbehrungen ein richtig gutes Bett und gut zu essen.“Doch in der ersten Nacht müssen die frisch Einquartierten bemerken, dass die Betten, „obwohl reinlich und alles weiß, von Wanzen bevölkert waren.“Nachdem das Projektil heraußen ist, bekommt er zusammen mit einem Kollegen erstmals Ausgang – und ist sauer. „Wir vertrieben uns die Zeit im Lichtspielhaus und in einer Bäckerei. Besonders empörten uns die sich herumdrückenden deutschen, österreichischen und türkischen Offiziere.“
Doch dann ist Habermeyer das Schicksal hold. „Ganz unerwartet sollte ich wieder in die Heimat kommen. Der Arzt kam und hielt Auslese. Ich musste noch hierbleiben, denn meine Wunde war nicht zugeheilt. Plötzlich kam die Nachricht, dass ein Lazarettzug nach Deutschland abgehe, es fehlten aber noch 46 Mann. Da gab der Arzt den Befehl, sämtliche Leichtverwundete sollten im Verbandszimmer antreten. Man kann sich dieses Drücken, Drängen und Stoßen denken, ein jeder wollte mit. Zu gut Glück kam ich noch dazu, hatte aber schon N° 46, also die letzte Nummer!“Retour ging’s wesentlich rascher, nach fünfeinhalb Tagen ist er im Lazarett in Freising. „Für mich begann eine schöne Zeit.“Die Genesung, unterbrochen von Heimaturlauben, dauert fast zwei Monate.
Noch während seiner Freisinger Zeit schreibt Johann Habermeyer seine Erlebnisse nieder. Der grausame Krieg sollte noch ein weiteres Jahr wüten, bis die deutschen Truppen geschlagen zurückkehrten, der Neuburger hat Glück. Weil die Verletzung ihn beim Schießen beeinträchtigt, kommt er in Ersatzstellung nach Mindelheim und ist dort bis November 1918 stationiert. Ein weiterer Gefechtseinsatz bleibt ihm erspart. Doch was er erlebt hat, brennt sich tief in seine Seele ein. „Ich hoffe, dass dies Meuchelmorden bald zum Abschluss kommt“, so endet sein Tagebuch.
Norbert Eibel