„Geben Sie mir die Höchststrafe“
Im Prozess um den Tod einer 34-Jährigen in der Obdachlosenunterkunft am Franziskanerwasser überrascht der Angeklagte mit emotionalen letzten Worten
Ingolstadt Die Staatsanwaltschaft wollte zehn, die Verteidigung sechs Jahre Haft. Und der Angeklagte? Der forderte die Höchststrafe. Im Prozess um den Tod einer 34-Jährigen in der städtischen Obdachlosenunterkunft offenbarten sich die Tiefen eines Beziehungsdramas. Montag war Zeit für die Plädoyers – und erstaunliche letzte Worte des Mannes, der seine Freundin getötet haben soll.
Vorangegangen waren der Tragödie leidvolle Monate für die Frau. Der Angeklagte hatte sie immer und immer wieder geschlagen. Dabei fing alles harmonisch an. Im Sommer 2016 lernte sich das Paar, beide starke Alkoholiker, in der Obdachdachlosenunterkunft am Franziskanerwasser kennen. Sie war zu diesem Zeitpunkt in einer anderen Partnerschaft, mit dem Angeklagten verstand sie sich gut. Schnell wurden sie zur „Zechgemeinschaft“– wie es Staatsanwältin Isabell Wirsching am Montag vor dem Landgericht in Ingolstadt formuliert. Der 49-Jährige und die Verstorbene kamen sich näher, kamen zusammen und teilten sich ab dann ein Zimmer. Doch schon zum Jahreswechsel war die Liebe mehr und mehr von Gewalt geprägt. Das Paar stritt sich, der Angeklagte schlug zu, die 34-Jährige versuchte es, unter Kleidung zu verstecken.
Die Eskalation dann im September 2017. Das Paar deckte sich erst mit dem täglichen Bedarf an Alkohol ein: sechs Flaschen Bier, zwei Schnaps – später wird ihnen die Gerichtsmedizin 2,5 Promille nachweisen. Wie die Staatsanwältin am jüngsten Verhandlungstag resümiert, habe man zusammen getrunken und Gras geraucht. Man habe Musik gehört, Reis gekocht und Sex gehabt. Dann sei man zusammen eingeschlafen. Am nächsten Morgen lag die 34-Jährige tot im Bett, gestorben an den Folgen einer Gehirnblutung.
Wie ist das passiert? Totschlag, glaubt die Anklage. Körperverletzung mit Todesfolge, die Verteidigung. Dementsprechend unterschiedlich fallen die Anträge beider Parteien aus. Während die Staatsanwältin zehn Jahre Gefängnis und eine stationäre Entziehungskur für den abhängigen Obdachlosen fordert, wollen die Anwälte des 49-Jährigen eine Haft von sechs Jahren, die für den Alkoholentzug ausgesetzt wird.
Am letzten Prozesstag vor der Urteilsverkündung am Freitag, 16. November, zeigt sich der Angeklagte schuldbewusst. „Ich habe sie geschlagen – viel häufiger als mir zur Last gelegt wird.“Warum er so sei – ob durch Stimmungsschwankungen oder Eifersucht – das frage er sich schon lange, habe aber keine Antwort. „Ich habe sie geliebt, liebe sie immer noch. Wir haben ein Leben zusammen geplant“, sagt er und bittet das Schwurgericht um etwas Außergewöhnliches. Es solle sich die Bilder der 34-Jährigen – die er wieder und wieder übel zugerichtet hatte, die grün und blau gewesen war von seinen Schlägen – vor dem Urteil noch einmal ansehen und in die Entscheidung einbeziehen. Sein Kopf gesenkt, die Stimme zittert. „Geben Sie mir die Höchststrafe.“