„Wichtig ist, dass die Stadt barrierefrei ist“
Interview Wie wird eine Kommune generationengerecht? Sendens Bürgermeister Raphael Bögge hat sich Ideen geholt
Raphael Bögge: Nicht altersgerecht ist für die Zukunft entscheidend, sondern demografiegerecht. Denn nicht nur die Bedürfnisse der alten Menschen müssen berücksichtigt werden, sondern die Bedürfnisse aller Bürger. Und demografiegerecht ist eine Stadt, ein Stadtteil, wenn er Schulen hat und Kindertagesstätten, die gut erreichbar sind, aber auch, wenn für Seniorenbetreuung gesorgt ist und die Möglichkeit besteht, betreut zu wohnen. Wichtig ist, dass diese Stadt barrierefrei ist und über eine Nahversorgung verfügt, die auch ohne Auto erreichbar ist. Bögge: Also auf unseren Seniorentreff, den wir seit über zehn Jahren betreiben, können wir stolz sein. Er ist eine hervorragende Einrichtung, in der viele Ehrenamtliche aktiv sind. Damit haben wir einen ersten Schritt gemacht. Daneben gibt es weitere gute Ansätze, auf die wir aufbauen können. Bögge: Entscheidend ist nicht, was ich umsetzen will. Damit eine Stadt für die Zukunft gerüstet und demografiegerecht ist, müssen vor allem so viele Bürger wie möglich, und zwar aus allen Altersgruppen und in den unterschiedlichen Lebenssituationen, teilhaben. Es müssen also Jugendliche, Familien, Singles und Senioren ihre Vorstellungen einbringen können.
Bögge: Ja genau. Wir haben schon Erfahrungen mit Bürgerwerkstätten, zum Beispiel bei der Erarbeitung des Integrierten Stadtentwicklungskonzeptes. Bürgerwerkstätten sind hier aus meiner Sicht sehr geeignet, um miteinander ins Gespräch zu kommen und sich über die verschiedenen Vorstellungen auszutauschen. Denn das ist ein ganz wichtiges Ziel einer demografiegerechten Stadt: Verschiedene Generationen müssen sich treffen. Daher wäre es falsch, nur auf altersgerechte Kriterien zu achten. Ich kann mir gut vorstellen, dass wir zu dem Konzept einer demografiegerechten Stadt nun eine Bürgerwerkstatt in Senden haben werden.
Bögge: Zunächst muss sich eine Stadt wirklich demografiegerecht wollen und sich dazu auch Gedanken machen. Zweitens muss definiert werden, wie alles aussehen soll. Der dritte wichtige Punkt ist die Frage: Stehen hinreichend Flächen zur Verfügung beziehungsweise kann man sie kaufen? Und wie lassen sich die Ideen finanzieren? Und viertens gilt es sich zu überlegen, aus welchem Bestand kann so etwas hervorgehen?
Bögge:
Ich sehe eine Reihe von Möglichkeiten, wie Senden weiter zu einer demografiegerechten Stadt heranwachsen kann. Aber, wie gesagt, ganz wichtig ist es, dass so ein Konzept nicht von oben vorgegeben wird, sondern zusammen mit den Bürgerinnen und Bürgern entsteht. Bögge: Die überraschendste Idee kam aus Finnland – aus der Stadt Tampere mit etwa 300 000 Einwohnern. Die haben sogenannte social markets, also soziale Informationspunkte, geschaffen, bei denen sich die Bürger über alle Themen von der Rente über Gesundheit bis hin zu betreuten Wohnmöglichkeiten beraten lassen können. Das ist eine einzige Anlaufstelle sowohl von privaten als auch öffentlichen Anbietern – finanziert von der Kommune und dem Staat gemeinsam. In Deutschland ist das oft ein Problem: Wir haben keine zentrale Anlaufstelle.
Bögge: Ich habe immer wieder an unseren Seniorentreff gedacht. Ihn könnten wir auf lange Sicht – und diese demografiegerechten Konzepte sind ja alle auf die Umsetzung über Jahre hin ausgelegt – ausbauen. Indem man beispielsweise Mittagsentwickeln tischangebote entwickelt und auch mehr Angebote erstellt, damit er zu einem Generationentreff wird. Bögge: Sehr zügig müssen wir uns generell um Barrierefreiheit kümmern. An zweiter Stelle steht die Wohnraumschaffung und hier auch die Möglichkeit von betreutem Wohnen, weil wir es nie schaffen werden, alle Menschen in Pflegeeinrichtungen unterzubringen. Daher sollte es Wohnmöglichkeiten geben, in die schon Menschen ab 60 einziehen können, die gar keine Betreuung brauchen. Aber, wenn sie mal nötig ist, kann sie Schritt für Schritt hinzugenommen werden. Damit aber alle Generationen profitieren, müssten wir auch Tauschmöglichkeiten schaffen, dass beispielsweise ein Ehepaar, dessen Kinder aus dem Haus sind und das in einem großen Haus wohnt, in eine kleinere Wohnung umzieht und damit Wohnraum für eine Familie ermöglicht.