Neuburger Rundschau

Eine strahlende Spitzengei­gerin aus Augsburg

Sophie Heinrich spielt in einem Opernhaus der deutschen Hauptstadt und künftig in einem der Spitzenens­embles der Donaumetro­pole. Hier wie dort steht die Violinisti­n ganz oben in der Orchesterh­ierarchie

- VON STEFAN DOSCH

Augsburg Seit sieben Jahren sitzt die Geigerin Sophie Heinrich auf dem vordersten Stuhl des Orchesters der Komischen Oper Berlin, ist damit die Erste Konzertmei­sterin an einem Haus, das zweimal zum „Opernhaus des Jahres“gewählt wurde und durch die Inszenieru­ngen seines Intendante­n Barrie Kosky internatio­nal von sich reden macht. Eine Stelle, die mancher Geige spielender Kollege gewiss gerne noch viele weitere Jahre besetzen würde. Sophie Heinrich dagegen sagt, sie habe den Eindruck, „gefühlt schon ewig“in Berlin zu sein, schließlic­h hat sie hier auch ihr Musikhochs­chul-Studium absolviert. Für sie jedenfalls genügend lange Zeit, um nun, mit 37, noch einmal einen Neustart zu unternehme­n. Umso mehr, als die gebürtige Augsburger­in Berlin als „kühle, preußische Stadt“empfindet und sich vorgenomme­n hat: „Ich will wieder in den Süden.“

Da traf es sich gut, dass die Geigerin vor einiger Zeit eine Einladung von den Wiener Symphonike­rn erhielt: Die Position des Ersten Konzertmei­sters sei neu zu besetzen, ob sie nicht vorspielen wolle? Sophie Heinrich – kupferrote Haare, direkter Blick, offenes Lächeln – kam, spielte, siegte. „Sackschwer“sei’s gewesen, sagt sie in sympathisc­h unverblümt­er Wortwahl und erzählt von den heiklen Solostelle­n in Richard Strauss’ „Bürger als Edelmann“, die sie in Wien vorzuspiel­en hatte. Jedoch – am Ende hatte sie das Orchester, dessen Mitglieder mindestens mit Zwei-Drittel-Mehrheit zustimmen mussten, auf ihrer Seite. Dass gerade sie, die in Berlin engagierte Augsburger­in, von den Wiener Symphonike­rn ins Auge gefasst worden war, kommt nicht von ungefähr. Über Jahre hinweg hat Sophie Heinrich immer wieder auf der Position des Ersten Konzertmei­sters bei diversen renommiert­en Orchestern ausgeholfe­n. Das spricht sich herum. Vor ein paar Jahren musizierte sie auch mal an der Spitze des Bayerische­n Staatsorch­esters im Münchner Nationalth­eater, Gastdirige­nt war Philippe Jordan – der Chef der Wiener Symphonike­r.

Was hebt eine Erste Konzertmei­sterin eigentlich aus der Schar der zahlreiche­n anderen Geigerinne­n und Geiger im Orchester heraus? Sophie Heinrich zählt auf: Zum Beispiel müsse man solistisch ausgebilde­t sein, für all die Solostelle­n in Opern wie Sinfonien, die vor- zutragen Aufgabe der Geige am ersten Pult sei. Und vorneweg natürlich: Führungsqu­alität haben und zeigen. Wobei, sagt Sophie Heinrich, „ich bin da nicht so der alte Typ Konzertmei­ster“. Und um zu demonstrie­ren, wie es gemeint ist, rutscht sie ganz nach vorne auf die Stuhlkante, klappt die Beine weit auseinande­r und wirft sich, eine imaginäre Violine unters Kinn geklemmt, theatralis­ch in die Brust – Sinnbild des Orchester-Chefgeiger­s vom alten Schlag. Nein, als solchen versteht sie sich nicht, eher sieht sie sich in der Rolle eines Adlers, der da wachsam und schützend über dem Orchester schwebt. Sophie Heinrich weiß auch: Es ist oft unheimlich schwer, bei einem Musikstück den ersten Ton zu setzen, gerade dann, wenn das Orchester nicht so vertraut ist mit den gestischen Gepflogenh­eiten eines Dirigenten. Auch in solchen Momenten ist sie als Konzertmei­sterin gefragt. „Ich muss den Kollegen neben und hinter mir das Gefühl geben: Ihr könnte euch auf mich verlassen! Deshalb sage ich ihnen: Schaut auf mich!“

Das verlangt Selbstbewu­sstsein. Aber daran hat es Sophie Heinrich schon früher nicht gefehlt. Als sie 23 war und gerade die Hochschule absolviert hatte, spielte sie bei den Berliner Philharmon­ikern vor, „rotzfrech“, wie sie heute sagt. Die feste Stelle hat sie zwar nicht bekommen, wohl aber das Angebot, hin und wieder als Aushilfe geholt zu werden. Eine wichtige Erfahrung: „Sicher, ich habe da in einem der besten Orchester der Welt gespielt. Aber eben nur im Tutti, als eine unter vielen nachgeordn­eten Geigen. Und ich habe gemerkt: Da werde ich nicht glücklich.“Von da an lautete das Ziel: Erste Geige im Orchester – wo es den Spielraum zum Mitgestalt­en gibt. Denn der Platz des Ersten Konzertmei­sters bildet die Spitze der hierarchis­ch gestaffelt­en Orchesters­truktur.

Sophie Heinrichs Anfänge mit der Musik und der Violine verliefen langsam, aber kontinuier­lich. Die Eltern sind keine Musikerpro­fis, aber humanistis­ch und musisch gesinnt. Mit vier Jahren bekam Sophie eine erste Geige in die Hand, später ging es auf das einschlägi­g orientiert­e Gymnasium bei St. Stephan, Jugend-musiziert-Wettbewerb­e folgten ebenso wie die Teilnahme bei diversen Jugendorch­estern. Schließlic­h die Entscheidu­ng, in Berlin Geige zu studieren. „Meine Eltern haben mich immer nach Kräften unterstütz­t“, sagt die Tochter, „dafür bin ich ihnen dankbar.“Die Verbindung zur Heimat hat Sophie Heinrich nie abreißen lassen, jedes Jahr konzertier­t sie zum Adventsbeg­inn in Friedberg bei Augsburg.

In sechs Monaten muss sie in Wien antreten, der Ortswechse­l beschäftig­t sie schon ausgiebig, auch im Hinblick auf die künftige Betreuung ihres kleinen Sohnes. Auf die Stadt freut sie sich, nicht nur, weil Wien eine Musikstadt sonderglei­chen sei, sondern „weil sich da gerade richtig viel tut“. Und natürlich sieht sie mit Spannung ihrem Einsatz bei den Wiener Symphonike­rn entgegen. Stimmt schon, sagt sie, im Vergleich mit den dortigen Philharmon­ikern sind die Symphonike­r der weniger bekannte Klangkörpe­r. Doch das 128 Musiker starke Orchester ist kaum weniger traditions­reich als die Philharmon­ikerKonkur­renz, wovon nicht zuletzt die Reihe illustrer Chefdirige­nten wie Karajan, Sawallisch oder Giulini zeugt. Die neue Erste Konzertmei­sterin schwärmt vom Klang („Diese typische Wiener Süße der Streicher“) und freut sich auf das große sinfonisch­e Repertoire, denn die Symphonike­r sind, wie der Name schon sagt, primär ein Konzertorc­hester.

„Die Oper“, seufzt Sophie Heinrich mit Blick auf ihre Berliner Jahre, „werde ich vermissen.“Diese „fantastisc­he Schule“, wie sie findet, wo man im Zusammenge­hen von Sängern, Dirigent und Orchester als Konzertmei­sterin immer wieder einzugreif­en hat – oder „es manchmal auch einfach nur laufen lassen muss“.

Ganz ist die Oper für Sophie Heinrich freilich nicht verloren, sind die Wiener Symphonike­r doch das Residenzor­chester der Bregenzer Festspiele und für bestimmte Projekte auch im Theater an der Wien zugange. „Und wer weiß“, lächelt Sophie Heinrich, „vielleicht rufen ja auch mal die Wiener Philharmon­iker an, wenn sie für die Staatsoper eine Aushilfs-Konzertmei­sterin suchen.“

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? „Ihr könnt euch auf mich verlassen“, lautet Sophie Heinrichs Motto als Erste Konzertmei­sterin.
Foto: Ulrich Wagner „Ihr könnt euch auf mich verlassen“, lautet Sophie Heinrichs Motto als Erste Konzertmei­sterin.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany