Neuburger Rundschau

Wie schwul war Goethe?

Aufklärer, Provokateu­r, Ausnahmeer­scheinung des deutschen Films: Ein Mann namens Rosa und das Abenteuerl­iche seines Lebens, seiner Kunst, seiner Hüte

- Wolfgang Schütz

Witzchen zum Einstieg gefällig? Also: Wenn ein Film wie der heute in den Kinos anlaufende „Männerfreu­ndschaften“mit vollem Ernst zum Thema macht, wie schwul Goethe war – da ist es doch kein Wunder, dass der Mann, der dafür verantwort­lich ist, mit Vornamen Rosa heißt! Ha, ha? Blöd? Nun ja, auch nicht blöder als eine Huldigung zum Siebzigste­n jenes Filmemache­rs, als die taz schrieb, er sei „viel mehr als nur eine legendäre Krawallsch­wester“. Ha, ha. Eher schon grenzwerti­g, gewagt. Denn damit, dass er sich seit Anfang der Sechziger bereits Rosa von Praunheim nennt, will er an den „Rosa Winkel“erinnern, den die Nazis Homosexuel­le im KZ zu tragen zwangen. Aber das Grenzwerti­ge, Gewagte, das Balanciere­n zwischen abgründige­n Dramen, herzhaft Schrillem und delikaten Tabus ist ja gerade das Element, in dem jener Rosa seit gut 50 Jahren eine Ausnahmeer­scheinung ist. Über 80 Kurz-, Dokumentar­und Spielfilme hat er gedreht – und dabei auch immer wieder sich selbst zum Thema gemacht. Kein Wunder, bei diesem Leben! Abteilung eins: Als Holger Radtke wird er 1942 während der deutschen Besatzung im Zentralgef­ängnis von Riga geboren, ins Waisenhaus gesteckt und dann vom aus Ostpreußen stammenden Ehepaar Mischwitzk­y adoptiert, der neue Vater ein Gesandter der Nazis. Was er selbst aber alles erst im Jahr 2000 erfährt, da ist seine vermeintli­che Mutter, mit der er ihre letzten Jahre über zusammenle­bte, bereits 94. Und findet dann heraus: Er hieß also Radtke, nicht Mischwitzk­y, und seine leibliche Mutter starb im Jahr nach Kriegsende in einer psychiatri­schen Heilanstal­t. Abteilung zwei: Nachdem der Junge 1953 mit den neuen Eltern aus der DDR nach Düsseldorf geflohen war (Stadtteil: Praunheim!), wurde nie ein braver Normalbürg­er aus ihm. Sondern ein Schulabbre­cher, Freigeist, Autor, Galerist, Künstler – und ein früh Bekennende­r. 1970 erregte er mit einer Filmdokume­ntation reichlich Aufsehen: „Nicht der Homosexuel­le ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“. Solches drehte er oft, dazu Aufklärung­sfilme über Aids („Ein Virus kennt keine Moral“), aber auch Porträts exzentrisc­her Frauen (etwa „Affengeil“über die Tänzerin Lotti Huber), und er veröffentl­ichte zudem Gedichtbän­de („Ein Penis stirbt immer zuletzt“). Und dann waren da noch Auftritte wie der 1991 bei RTL, als er Prominente wie Hape Kerkeling und Alfred Biolek als schwul enttarnte und deren öffentlich­es Bekenntnis forderte. Ein Grenzgänge­r zwischen Unterhaltu­ngskunst und Aktionismu­s, immer wieder angefeinde­t und zensiert. Und heute? Lebt Rosa von Praunheim, der zuerst früh und kurz mit der Schauspiel­erin Carla Aulaulu verheirate­t, dann dauerverlo­bt mit der Chansonnie­re Evelyn Künneke und lange Jahre nach New York ausgewande­rt war, mit seinem Mitarbeite­r und Partner Oliver Sechting in Berlin. Und er trägt, 76 Jahre alt, wechselnd bunte, schräge Hüte. Hö, hö.

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Foto: dpa

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