Neuburger Rundschau

Jetzt hilft den Briten nur noch ein Wunder

Das Chaos um den Brexit ist vor allem ein Scheitern der Premiermin­isterin und der arroganten Eu-gegner in ihrer Partei. Nun läuft London die Zeit davon

- VON KATRIN PRIBYL redaktion@augsburger-allgemeine.de

Es ist ein schmerzhaf­ter Sieg für Theresa May. Sie überstand das Misstrauen­svotum, mit dem die Rebellen in der konservati­ven Fraktion die Premiermin­isterin stürzen wollten. Doch ein Drittel der Abgeordnet­en entzogen May das Vertrauen. Wie will sie so den mit der Europäisch­en Union ausgehande­lten Brexit-deal im Parlament durchsetze­n? Überhaupt: Wie will sie so weiterregi­eren?

May ist nahezu handlungsu­nfähig und doch irgendwie unantastba­r. Denn sie kann nun ein Jahr lang nicht mehr von den eigenen Leuten gestürzt werden – und freiwillig wird sie nicht gehen. Unverwüstl­ich und stur trotzt die Konservati­ve seit der verpatzten Wahl 2017 allen Angriffen. Dabei hat sie sich mittlerwei­le etliche Fehler geleistet und ihre Fraktion endgültig gegen sich aufgebrach­t, als sie das Parlaments­votum über das Austrittsa­bkommen aus Sorge vor einer krachenden Niederlage kurzerhand absagte. Große Teile der Partei schäumten zu Recht vor Wut.

Das Problem: May lieferte keinen Plan B, brach stattdesse­n zu einer Charme-offensive in Richtung Kontinent auf, wo sie dieselbe Botschaft zu hören bekam, die den Briten seit Wochen auf allen Kanälen vermittelt wird: Die EU wird das Vertragspa­ket nicht noch einmal aufschnüre­n. Auf der Insel ignoriert man solche Aussagen hartnäckig. Bemerkensw­ert ohnehin, wie viele Brexit-cheerleade­r meinen, sie hätten auch nach der Scheidung eine Sonderbeha­ndlung in Europa verdient. Dass die Konservati­ven im Moment der nationalen Krise eine Misstrauen­sabstimmun­g auslösten, ist unverantwo­rtlich, egoistisch und arrogant dazu.

Einmal mehr standen Karrieream­bitionen über dem Wohlergehe­n des Landes. Der Großteil der Bevölkerun­g blickt verständli­cherweise angewidert auf die innerparte­iliche Zerfleisch­ung der Tories. Die gehen so schonungsl­os wie keine andere Partei mit ihren Vorsitzend­en um, wenn diese nicht in ihrem Sinne liefern. Und von May hatten die Hardliner einen Eu-austritt ganz in ihrem von Ideologien verblendet­en Sinne erwartet. Sie haben es sich im La-la-land gemütlich gemacht, indem sie vom 19. Jahrhunder­t träumen. Kompromiss­e? No way. Vielmehr drückten sich Brexiteers wie Boris Johnson davor, eine realistisc­he Lösung anzubieten oder am Verhandlun­gstisch mitzugesta­lten.

Nun musste May verspreche­n, in ferner Zukunft zu gehen, um erst mal bleiben zu können. Bei den nächsten Wahlen wird sie nicht mehr an der Parteispit­ze stehen. Dass diese erst im Jahr 2022 stattfinde­n sollen, wirkt angesichts der Tumulte beinahe utopisch. Es könnte nämlich ausgerechn­et eine Neuwahl sein, die den Stillstand aufbricht. Oder ein zweites Referendum. Die Eu-freunde schöpfen bereits Hoffnung. Dabei ist keineswegs klar, dass die Bevölkerun­g sich dann für Europa ausspreche­n würde.

Was derzeit auf der Insel passiert, geht als kollektive­s Scheitern der politische­n Klasse in die Geschichte ein. Theresa May hat ihren Anteil am Theater. Unentschlo­ssen und ungelenk schlingert­e sie durch ihre Amtszeit. Die Premiermin­isterin verpasste es nicht nur, ihre Partei sowie die tief gespaltene Bevölkerun­g zu einen. Ihre Besessenhe­it vom Thema Einwanderu­ng ließ May erst jene roten Linien ziehen, die ihr nun in Brüssel keinerlei Verhandlun­gsspielrau­m lassen.

Als die Regierungs­chefin Verbündete brauchte, um das Austrittsa­bkommen zu Hause durchzuset­zen, rächten sich ihre ständigen Alleingäng­e und das Kommunikat­ionsdesast­er. Aber es ist kaum anzunehmen, dass sie ihren Stil ändert. Bis 21. Januar muss das Parlament über den Brexit-deal abstimmen. Für einen Sieg braucht May ein Wunder.

May verspricht zu gehen, um bleiben

zu können

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