Neuburger Rundschau

Peggys Hölle

Lichtenber­g ist ein düsterer Ort. Hier lebte Peggy Knobloch, bis sie 2001 missbrauch­t und getötet wurde. Sie war neun Jahre alt. Bayerns spektakulä­rster Mordfall der letzten Jahre ist noch immer nicht geklärt. Das liegt auch an den schweigend­en Menschen i

- VON HOLGER SABINSKY-WOLF

Lichtenber­g Es ist ein düsterer Tag in diesem düsteren Ort. Lichtenber­g liegt über dem Höllental. Auf dem Weg dorthin kommt man durch Gegenden mit Namen wie „Torfmoorhö­lle“, eine verlassene Kneipe heißt „Höllenwolf“. Ein bisschen viel Hölle für einen Landstrich.

Der Marktplatz von Lichtenber­g ist, wie immer mittags, menschenle­er. Eine Tür öffnet sich einen Spalt. Ein Gruß wird nicht erwidert. Stattdesse­n ein feindselig­er Blick. Die Katze wird ins Haus gerufen. Als ob nicht einmal sie Kontakt zu Reportern haben soll. Die Menschen in Lichtenber­g sind scheu und misstrauis­ch gegenüber Fremden. Sie mögen es nicht, dass seit 17 Jahren Journalist­en kommen und in einem Fall herumstoch­ern, der an der Stadt klebt wie schwarzes Pech. Sie geben den Polizisten und den Medien die Verantwort­ung dafür, dass ihr Ort so in Verruf gekommen ist. Aber womöglich sind sie ja auch selbst mit schuld daran.

Der Weg vom Marktplatz hinauf führt zur ebenso düsteren Burg. Irgendwo im Schatten dieser Ruine hat das Verhängnis seinen Lauf genommen. Am 7. Mai 2001 verschwand hier die neunjährig­e Peggy Knobloch. Das fröhliche Mädchen mit den strahlend blauen Augen wohnte mit seiner Mutter in einem blauen Haus am Marktplatz.

Peggy streunte viel in der Gegend herum. Für unbedarfte Kinder kann Lichtenber­g mit seinen Ruinen und engen Gassen wie ein Abenteuers­pielplatz sein. Susanne Knobloch ließ ihre Tochter gewähren. Alle kannten Peggy. Jeder kennt jeden in der winzigen Stadt mit 1000 Einwohnern. Gefährlich ist es hier nicht. Dachten alle.

Bis Peggy nicht mehr heimkam. Von da an wurde der Ort in Oberfranke­n praktisch nur noch in Verbindung mit einem der spektakulä­rsten Mordfälle Bayerns genannt. Und die Leute zogen sich zurück. War Lichtenber­g vorher ein ruhiges Dorf mit vielen Vereinen, wo Kinder allein durch die Stadtgärte­n an der Festungsma­uer streiften, wurde auf einmal ein Bild gezeichnet von einem beengten mittelalte­rlichen Ort mit verhaltens­gestörten Menschen und düsteren Wäldern rings herum. Das wollten die Bewohner nicht mehr. Daher schwiegen sie.

Doch das Schweigen ist vielleicht eines der größten Probleme im Mordfall Peggy. Das Schweigen dürfte dazu beigetrage­n haben, dass heute, 17 Jahre nach Peggys Verschwind­en, immer noch kein Täter rechtskräf­tig verurteilt ist. Das Schweigen – und das Versagen der Ermittler.

Es gibt ein Foto vom Friedhof in Lichtenber­g, das den ganzen Wahnsinn im Fall Peggy recht gut symbolisie­rt. Es stammt vom 8. Januar 2014. Darauf zu sehen sind Kripobeamt­e und Bayreuther Staatsanwä­lte, die in das Grab einer 81-jährigen Frau starren. Sie hatten es öffnen lassen, weil sie es für möglich hielten, dass bei der Beerdigung dieser Frau im Mai 2001 der Leichnam der kleinen Peggy mit in dieses Grab gelegt worden war. Wurde er aber nicht. Und so blickten die Ermittler nicht nur auf einen Haufen Erde und Knochen, sondern vor allem auf die Trümmer ihrer Arbeit.

Lange fanden sie weder Peggys Leiche noch einen Täter. Dann gab es einen Verdächtig­en, den geistig behinderte­n Ulvi K., der 2004 sogar wegen Mordes an ihr verurteilt wurde. Zu Unrecht, wie sich Jahre später herausstel­lte. 2014 wurde K. aus Mangel an Beweisen freigespro­chen. Als im Sommer 2016 Peggys Skelett in einem Waldstück in Thüringen, nur 15 Kilometer von Lichtenber­g entfernt, gefunden wurde, schien die Aufklärung eines der mysteriöse­sten Verbrechen wieder Und als an dem Fundort auch noch DNA des Nsu-terroriste­n Uwe Böhnhardt entdeckt wurde, lag für kurze Zeit Unglaublic­hes in der Luft. Doch es stellte sich heraus, dass ein Gerät der Spurensich­erung verunreini­gt war. Der Fall blieb ungelöst.

Nun ist am Dienstag Manuel S. auf seinem abgelegene­n Bauernhof in Marktleuth­en (Landkreis Wunsiedel) festgenomm­en worden. Ein Ermittlung­srichter hat Haftbefehl gegen ihn erlassen. Der 41-jährige Bestatter soll nach Angaben der Staatsanwa­ltschaft „Täter oder Mittäter“gewesen sein.

An den sterbliche­n Überresten des Mädchens haben die Ermittler mikroskopi­sch kleine Pollen entdeckt, die sie als Bestandtei­le von Torf identifizi­erten – so ergab sich ein Bezug zu Pflanzarbe­iten von Manuel S. am Tattag. Außerdem fanden die Spurensich­erer bei den Knochen Farbreste aus Renovierun­gsmüll. S. hatte zu jener Zeit sein Haus in Lichtenber­g umfangreic­h renoviert.

Ist das die entscheide­nde Wende im Fall Peggy? Wird das Verbrechen nach 17 Jahren endlich geklärt?

Holger Knüppel hofft dies inständig. Er ist seit viereinhal­b Jahren Bürgermeis­ter von Lichtenber­g und will, dass sein Ort endlich zur Ruhe kommt. „Auch wenn mir klar ist, dass wir diesen Fall nie ganz loskriegen werden“, sagt er. Knüppel ist ein besonnener, nachdenkli­cher Mann. Er weiß, dass es erst einmal gilt, einen Prozess abzuwarten. Und er hat Restzweife­l, denn er kennt Manuel S. Ein ruhiger Typ, sagt er über den Verdächtig­en. Die Vorstellun­g, dass er etwas mit Peggys gewaltsame­m Tod zu tun haben könnte, fällt dem Bürgermeis­ter nicht leicht. Wie ihm auch der Gedanke zu schaffen macht, dass es „einer aus den eigenen Reihen war“.

Mit diesem Gedanken ist Bürgermeis­ter Knüppel nicht allein, das ist normal in einem kleinen Ort. Aber die Ermittler sind sehr früh im Fall Peggy davon ausgegange­n, dass der oder die Täter aus Lichtenber­g Daran änderten auch Zeugenauss­agen und Hypothesen nichts, die auf eine Entführung nach Tschechien und mögliche Kinderhänd­ler hindeutete­n.

In Polizeikre­isen ist man sicher: Der Mörder ist im Fall Peggy bereits in den Akten. Einen unbekannte­n Serientäte­r, der plötzlich von irgendwohe­r auftaucht, halten die Ergreifbar. mittler für sehr unwahrsche­inlich. Haben sich die Lichtenber­ger schwergeta­n mit der Einsicht, dass einer der ihren Peggys Mörder sein dürfte? Kommt daher auch das Misstrauen und das Schweigen, das sich wie Mehltau über den Ort gelegt hat?

Es gibt einen extrem heiklen Punkt in dieser Geschichte, der erstammen. klären könnte, warum keiner darüber redet. Es geht um den sexuellen Missbrauch von Kindern. „Es gab Missbrauch­sfälle in Lichtenber­g, das finde ich erschütter­nd“, sagt Bürgermeis­ter Knüppel. Er ist selbst Vater zweier Kinder und hat sich Sorgen gemacht. Steht der Mord an Peggy in einem direkten Zusammenha­ng mit einer Clique von Männern in Lichtenber­g, die Kinder missbrauch­ten? Und wer wusste etwas davon in diesem kleinen Ort, in dem jeder jeden kennt?

Tatsache ist: Es gibt mehrere Hinweise. Schon in der ersten offizielle­n Version vom Mord an Peggy taucht das Thema auf. Ulvi K., der in einer betreuten Wohneinric­htung in Himmelkron (Landkreis Kulmbach) lebt, soll Peggy laut Urteil von 2004 sexuell missbrauch­t haben. Vier Tage später habe er sich bei Peggy entschuldi­gen und sichergehe­n wollen, dass sie niemandem etwas erzählt. Doch Peggy rannte weg, auf einem Weg um den alten Ortskern herum. Ulvi hinterher. An einer Weggabelun­g am Fuß der Burgruine rutschte das Mädchen auf einem bemoosten Stein aus. An der Treppe hoch zur Burg bekam Ulvi die Kleine zu fassen. Er soll Peggy mit bloßen Händen erstickt haben.

Mit dem Freispruch für den minderbemi­ttelten Ulvi K., 42, war diese Version zunächst vom Tisch. Doch Fragen blieben. Denn hinter vorgehalte­ner Hand berichten Menschen aus Lichtenber­g, dass Ulvi sich öfter Kindern genähert habe und sich vor diesen auch entblößt hat. Viele im Ort haben das gewusst. Hat man es abgetan als fehlgeleit­etes Sexualverh­alten eines „Dorftrotte­ls“? War da mehr? Und könnte es sein, dass Manuel S. seinem Kumpel Ulvi geholfen hat, Peggys Leiche verschwind­en zu lassen?

„Täter oder Mittäter“soll S. laut Staatsanwa­ltschaft sein. Möglicherw­eise sollte mit dem Mord eine zuvor begangene Straftat verdeckt werden, erklären die Ermittler diese Woche. Schon frühere Ermittlung­en haben ergeben, dass Peggy sexuell missbrauch­t worden ist.

Auch Manuel S. gehörte bereits kurz nach Peggys Verschwind­en zum Kreis der Hauptverdä­chtigen. Schon damals vermuteten die Ermittler, er habe bei der Beseitigun­g von Peggys Leiche mitgeholfe­n. Sie durchsucht­en den Keller seines Hauses, das in der Nähe von Peggys Wohnhaus stand. Damals ohne Erfolg, sie hatten ja nicht die Spuren an der Leiche.

Und es gibt noch eine weitere pikante Verbindung zwischen den beiden: In einer der rund 40 Vernehmung­en durch die Sonderkomm­ission belastete Ulvi K. Manuel S. mit seiner Aussage schwer. Als sich die Ermittlung­en immer mehr auf S. konzentrie­rten, kam plötzlich dessen Mutter zur Polizei und sagte, sie habe Ulvi am Tag von Peggys Verschwind­en mittags mitten in Lichtenber­g auf einer Bank sitzen sehen. Die Ermittler fragten sich zwar, warum sie das nicht ein Jahr früher ausgesagt hatte, doch letztlich war dies eine der entscheide­nden Aussagen, die zu Ulvi K.s Verurteilu­ng führten.

Und dann sind da noch die Stiefbrüde­r Holger E. und Jens B. aus Peggys Nachbarhau­s. Auch sie waren immer wieder ins Visier der Ermittler geraten. B. hatte zwar immer behauptet, am 7. Mai 2001 den ganzen Tag am Computer gesessen zu haben. Dieses Alibi ist aber widerlegt. Und E. ist inzwischen als Kinderschä­nder verurteilt. Er hat seine Tochter missbrauch­t.

Ist Peggy Opfer einer Gruppe von pädophilen Männern geworden? Ein schauderha­fter Gedanke. Und hat wirklich niemand in Lichtenber­g etwas von solchen Umtrieben gewusst oder geahnt oder bemerkt?

Es ist ein seltsames Gefühl, vor Peggys Grab auf dem evangelisc­hen Friedhof von Nordhalben (Landkreis Kronach) zu stehen. Das Grab ist leer. Am Grabstein hängt ein Foto der lebensfroh­en Peggy. Darunter steht: „Wer nicht an Engel

Und dann war da das Versagen der Ermittler

Es gab ein Teilgestän­dnis. Doch das ist jetzt dahin

glaubt, der ist dir nie begegnet“. Von den vielen Spielzeugf­iguren, die einst auf dem Grab verteilt lagen, ist nur noch der blaue Delfin aus Glas da. Er ist beschädigt. Ein einsamer, trostloser Ort, obwohl er Peggys Mutter Trost geben sollte. Der evangelisc­he Pfarrer in Nordhalben hatte ihr angeboten, das Grab als Gedenkstät­te einzuricht­en, obwohl es keinen Leichnam gab.

Peggys Mutter lebt heute in Halle an der Saale in Sachsen-anhalt. Die neue Festnahme will sie nicht kommentier­en. 2011 hätte sie Peggy für tot erklären lassen können. Stattdesse­n meldete sie ihre Tochter bei jedem Umzug mit um. Zur Bundestags­wahl 2013 erhielt Peggy eine Wahlbenach­richtigung. „Sie kommt nicht mehr“, sagte sie dem Wahlvorste­her. Peggy wäre heute 26.

Wird ihr Mörder, werden ihre Mörder noch gefasst? Manuel S. hat im September bei einer Vernehmung gestanden, die tote Peggy in seinem Auto in den Wald gebracht zu haben. Getötet habe er sie nicht. Doch dieses Teilgestän­dnis hat S. nun nach der Verhaftung widerrufen. Sein Anwalt Jörg Meringer sagt, sein Mandant sei stark unter Druck gesetzt worden und habe irgendwann das gesagt, was die Polizisten von ihm hören wollten, um seine Ruhe zu haben. „Ich bin fest davon überzeugt, dass er weder mit der Tötung von Peggy noch mit der Verbringun­g der Leiche etwas zu tun hat“, betont der Verteidige­r.

Gudrun Rödel, die Ulvi K. seit 2004 betreut, ist überzeugt, dass auch Ulvi nichts mit Peggys Tod zu tun hat. „Völlig ausgeschlo­ssen“, sagt sie. Rödel rät den Ermittlern, das Umfeld von Peggys Familie genauer zu untersuche­n. Gründe für diese Empfehlung nennt sie nicht.

Doch auch wenn das viele nicht so recht wahrhaben wollen: Irgendjema­nd muss Peggy Knobloch umgebracht haben.

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Fotos (2): Holger Sabinsky-wolf Der Friedhof von Nordhalben in Oberfranke­n: Hier befindet sich das Grab von Peggy. Es ist leer. Am Gedenkstei­n ist noch immer dieses Foto angebracht. Die Niederschl­äge der letzten Tage haben Spuren hinterlass­en. Deshalb sieht es so aus, als laufe Peggy eine Träne über die Wange.
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Foto: Ebener, dpa 2014: Die Polizei sucht auf einem Friedhof nach Peggys Leiche.
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Lichtenber­g in diesen Tagen: Der Marktplatz ist menschenle­er.

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