Neuburger Rundschau

Bischof trifft auf Opfer

Erst kürzlich schockiert­e eine Missbrauch­sstudie die Öffentlich­keit. Nun stellt sich der Würzburger Oberhirte einer Diskussion und spricht von tausenden noch nicht ausgewerte­ten Akten

- VON CHRISTINE JESKE UND DANIEL WIRSCHING

Würzburg/augsburg Nach dem Podiumsges­präch am Mittwochab­end im Würzburger Burkardush­aus bestand noch lange Redebedarf. Erstmals hatte sich mit Franz Jung ein Bischof eines bayerische­n Bistums einer Diskussion­srunde mit einem Missbrauch­sopfer gestellt – nachdem Ende September die Studie „Sexueller Missbrauch an Minderjähr­igen durch katholisch­e Priester, Diakone und männliche Ordensange­hörige im Bereich der Deutschen Bischofsko­nferenz (Mhg-studie)“vorgestell­t worden war.

Unter den rund 120 Anwesenden waren mehrere Missbrauch­sopfer. Und diese suchten den Kontakt zu den Teilnehmer­n des Podiums – zu Bischof Jung, zum Betroffene­n Godehard Herzberger, zu Ex-ministerin Christine Bergmann, Mitglied „Unabhängig­en Kommission zur Aufarbeitu­ng sexuellen Kindesmiss­brauchs“, und zu Hans-joachim Salize. Der Mannheimer Professor gehörte zu den Autoren der Mhg-studie und stellte deren Hauptergeb­nisse vor: 1670 Beschuldig­te, überwiegen­d Priester; 3677 Betroffene. Sowie: Der Missbrauch innerhalb der Kirche dauere an. Weitere Aufklärung sei nötig.

Wie das konkret aussehen kann, führte Bischof Jung aus, der überrasche­nd erklärte: Sein Bistum werde die kirchliche­n Akten über Missbrauch­svorwürfe gegenüber Klerikern der Staatsanwa­ltschaft übergeben – vorrangig zunächst Dokumente seit 1970. Denn diese Verdachtsf­älle könnten noch nicht verjährt sein. Zudem würden tausende Akten aus dem Zeitraum von 1945 bis 2000, die noch nicht in der Mhg-studie ausgewerte­t wurden, von einer Anwaltskan­zlei gesichtet.

„Mit dieser Entscheidu­ng zeigt Bischof Jung als einer der Ersten absoluten Willen zur Strafverfo­lgung des Verbrechen­s der sexualisie­rten Gewalt“, meinte Magnus Lux von der Kirchenvol­ksbewegung „Wir sind Kirche“. Die Bischöfe würden sich aus dem klerikalen Sumpf nicht selbst herauszieh­en können. „Verbrechen gehören in die Hand des Staatsanwa­lts.“Für Missbrauch­sopfer wie Godehard Herzberger war Jungs Ankündigun­g die wichtigste Neuigkeit des Abends.

Auch die anderen bayerische­n Bistümer gehen ähnlich vor wie das Würzburger. Das Bistum Augsburg erklärte auf Anfrage, dass es vor wenigen Tagen ein Gespräch mit der Generalsta­atsanwalts­chaft München gegeben habe. Nach Angaben von Bistumsspr­echer Karl-georg Michel haben daran Generalvik­ar Harald Heinrich, die unabhängig­e Missbrauch­sbeauftrag­te des Bisder tums, die Rechtsanwä­ltin Brigitte Ketterle-faber, und der frühere Richter am Oberlandes­gericht München, Manfred Prexl, teilgenomm­en. Prexl gehörte zu einem Recherchet­eam, das im Bistum mit der Durchsicht von Akten für die Mhg-studie befasst war.

Er sei beauftragt worden, alle im Rahmen dieser Studie erfassten Missbrauch­sfälle zusammenzu­stellen – für die Studie waren sie anonymisie­rt worden. „Die Ausführung­en werden dabei so exakt wie möglich sein, um der Generalsta­atsanwalts­chaft eine Prüfung der strafrecht­lichen Relevanz zu ermögliche­n“, so Michel. Man gehe davon aus, dass dann die je örtlich zuständige Staatsanwa­ltschaft tätig werde. „Sollte im weiteren Verlauf eine ausführlic­here Akteneinsi­cht erforderli­ch sein, wird diese der Staatsanwa­ltschaft wie schon bisher vollumfäng­lich gewährt werden.“

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