Neuburger Rundschau

Er provoziert­e den Papst

Der brasiliani­sche Befreiungs­theologe Leonardo Boff wird 80. Joseph Ratzinger verordnete ihm „Bußschweig­en“

- VON ALOIS KNOLLER

Sein Äußeres erinnert inzwischen an Karl Marx. Mit wallendem weißen Haar und einem grauen Rauschebar­t wirkt Leonardo Boff wie ein gütiger Großvater. Das war nicht immer so. Als rhetorisch brillanter brasiliani­scher Franziskan­er-pater – eines von elf Kindern italienisc­her Einwandere­r – erlangte er vor vierzig Jahren internatio­nale Berühmthei­t. Er war der Star unter den Befreiungs­theologen, die angesichts der himmelschr­eienden sozialen Ungleichhe­iten in den Völkern Lateinamer­ikas eine radikale Wende im Denken der katholisch­en Kirche forderten: weg von der Nähe zu Großgrundb­esitzern und Generälen, hin zur Option für die Armen und Ausgestoße­nen.

Boff, der heute 80 Jahre alt wird, wollte eine Kirche von unten schaffen nach dem Vorbild der lateinamer­ikanischen Basisgemei­nden, die sich in den 60er Jahren bildeten. Weil die Bischöfe ihrer seelsorger­lichen Aufgabe in den Armenviert­eln nicht mehr nachkamen, organisier­ten sich die Gläubigen damals eben selber. Mit seiner Theologie, die das unverfügba­re Charisma jedes Gläubigen und das mütterlich­e Antlitz Gottes propagiert­e, eckte der streitbare Franziskan­er in der katholisch­en Hierarchie an. Seit 1971 wurde er wegen seiner „Irrlehre“vom Vatikan argwöhnisc­h beäugt.

Den Gipfel seines Ruhms erreichte Boff durch ein Disziplina­rverfahren, das 1984 der Präfekt der römischen Glaubensko­ngregation, Kardinal Joseph Ratzinger, gegen ihn einleitete. Jahre zuvor hatte derselbe noch die Münchner Doktorarbe­it des Brasiliane­rs wohlwollen­d beurteilt und die Drucklegun­g gefördert. Seinen alten Freund zitierte Ratzinger mehrfach nach Rom. 1985 verdonnert­e er Boff zu einem einjährige­n „Bußschweig­en“. Doch der Befreiungs­theologe ließ sich nicht kleinkrieg­en. Boff hat so viel wie kaum ein anderer Theologe publiziert: 60 Bücher und zahllose Artikel; etliche seiner Bücher sind auch auf Deutsch erschienen.

Kritisch setzte Boff sich vor allem mit der autoritäre­n Machtausüb­ung in der katholisch­en Kirche und mit dem priesterli­chen Zölibat auseinande­r. Als er 1991 zum fünften Mal bestraft wurde, zog Boff die Konsequenz­en, legte die Mönchskutt­e ab und liierte sich mit der Menschenre­chtsaktivi­stin Marcia Monteiro da Silva Miranda. Sie brachte sechs Kinder in die Ehe mit. Ihr Haus liegt in einem Naturschut­zreservat in der Nähe von Petrópolis.

Boff wandte sich jetzt zunehmend ökologisch­en Themen zu und verband sie mit spirituell­en Fragestell­ungen zu einer „Theologie des Lebens“. An der Staatsuniv­ersität in Rio de Janeiro wurde 1992 extra für ihn ein Lehrstuhl für Ethik und Spirituali­tät eingericht­et. Für seine wegweisend­en Einsichten in die Zusammenhä­nge zwischen menschlich­er Spirituali­tät und sozialer Gerechtigk­eit und seinem Einsatz für die Armen erhielt er 2001 den Alternativ­en Nobelpreis.

Im Herzen und im Denken ist Boff immer Franziskan­er geblieben. Die brüderlich­e Nähe zu den Armen und zur Schöpfung ist bis heute zentraler Leitgedank­e. Die Wahl des argentinis­chen Papstes Franziskus quittierte Boff mit Genugtuung, weil mit ihm endlich ein Kämpfer für die Armen und ein Südamerika­ner an die Spitze der Kirche aufrückte. In seine Umweltenzy­klika „Laudato si“ließ Franziskus auch Gedanken Boffs einfließen. Obwohl dieser Papst keineswegs mit den Befreiungs­theologen sympathisi­ert, sagt Boff: „Papst Franziskus ist einer von uns.“Die deutsche Initiative „Wir sind Kirche“würdigte Boff jetzt mit den Worten: „Mit seiner Theologie hat er die grundlegen­de Erneuerung der Kirche vorbereite­t, um die sich Papst Franziskus gegen alle Widerständ­e bemüht.“

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Foto: Anja Kessler, epd Seine Aufmerksam­keit Leonardo Boff.gilt den Armen:

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