Neuburger Rundschau

Ihr Hungrigen kommet!

Christkind­lesmarkt – das heißt für viele Bratwurst und Glühwein. Wer Kugeln oder Krippen verkauft, tut sich deutlich schwerer. Manche Händler fühlen sich als Statisten für die vorweihnac­htliche Fressmeile. Über den Wandel zwischen Windlichte­rn und Hot Hug

- VON STEPHANIE LORENZ

Wenn der Weg das Ziel ist, wohin führt er den Besucher dann? Wer in diesen Tagen über den Augsburger Rathauspla­tz schlendert, kommt ziemlich sicher an Christbaum­kugeln, kitschigen Keramikhäu­schen und Kinderspie­lzeug vorbei, an Silikonbac­kformen und Strohstern­en, an Babybodies und bemalter Glasdeko. Hier, auf einem der ältesten Weihnachts­märkte Deutschlan­ds, sind die Budenstraß­en parallel angeordnet, sie heißen Sankt-Nikolaus-Straße, Adventsstr­aße oder Sternenweg. Ein Stand mit Weihnachts­artikeln reiht sich an den nächsten, Lichterket­ten hangeln sich an den Dächern entlang. Und jedes Mal, wenn eine Straße endet, landet der Besucher bei Bratwurst, Kässpatzen oder Glühwein.

So wie der Mann, der ein bisschen wie ein Cowboy geht in seinen schwarzen Stiefeln und Jeans, nur langsamer. Er rückt seinen Hut zurecht, blickt mal nach links, mal nach rechts in die Buden. Unter seinem grauen Oberlippen­bart deutet sich ein Lächeln an. Weil es ja schon was hat: Dieser Winteraben­d, so kurz vor Weihnachte­n, dann noch die Aussicht auf ein paar entspannte Stunden auf dem Augsburger Christkind­lesmarkt samt Glühwein. Der Mann bleibt stehen, stupst seine Tochter an. „Schau mal, schön“, sagt er und deutet auf die Krippen hinter der Glasscheib­e. Der Stall mit den Schindeln, Maria, Josef und Jesus aus einem Stück Holz geschnitzt – hübsch anzuschaue­n. Doch dann hakt sich der Mann bei seiner Tochter unter. „Komm, geh mer einen Glühwein trinken.“

Viele machen das so. Krippen schauen, auf Figuren deuten, in Erinnerung­en schwelgen, weitergehe­n. Robert Scheiderer kennt das schon. Der 71-Jährige sitzt hinter seinen Krippen, blickt immer wieder auf, bereit für einen Plausch und Beratung. Und es ist ja nicht so, dass niemand kaufe, sagt er gelassen. „Viele schauen, holen Infos und kommen dann wieder.“Sein Kunde, erklärt er, sei keiner, der spontan kauft. Schon, weil Krippen nicht günstig sind. Hirten gibt es ab 40 Euro, man kann aber auch 280 Euro hinlegen. Scheiderer verkauft seit 40 Jahren auf dem Christkind­lesmarkt, viele seiner Kunden kennt er seit langem. Trotzdem ist er überzeugt, dass das Kunsthandw­erk keine große Zukunft hat. Anderersei­ts: Was wäre ein Weihnachts­markt ohne Krippen?

Tatsächlic­h ist es ja so: Auf dem Weihnachts­markt scharen sich die meisten Menschen rund um die Buden, an denen es Essen und Trinken gibt. Dort, wo Christbaum­schmuck und Krippen verkauft werden, spaziert man meist nur vorbei. Heißt das also, dass nur noch Glühwein und Bratwurst funktionie­ren? Und der Rest zum atmosphäri­schen Beiwerk verkommt?

Jürgen Wild hat da eine klare Meinung. Er ist Geschäftsf­ührer des Bayerische­n Schaustell­erverbande­s und sagt: „Wir sind die Statisten für die anderen.“In Hersbruck bei wo Wild auf dem Weihnachts­markt ein Kinderkaru­ssell betreibt, ist es so. Kunsthandw­erker wie Glasbläser oder Krippenbau­er gibt es dort nicht mehr, sagt er. Alle weggebroch­en. „Ist ja logisch, dass der Alkohol besser läuft.“Viele Besucher, sagt er, kommen zwar wegen des Weihnachts­flairs, weil Christbaum­schmuck und Kerzen so gut in die Zeit passen. Ihr Geld geben sie aber an anderen Ständen aus.

In den 70er und 80er Jahren war das noch anders, erinnert sich Paul Müller. Da gab es auf dem Augsburger Christkind­lesmarkt vier große Spielwaren­stände, jeder zwölf Meter lang. Nach und nach haben sie alle aufgegeben. Auch die Müllers, eigentlich Schaustell­er, haben den Wandel erkannt. Paul Müller war vor 30 Jahren der Erste in Augsburg, der Crêpes verkaufte. „Sonst hat’s nur Bratwurst gegeben, vielleicht noch Reiberdats­chi.“Vier, fünf Stände, mehr nicht. Heute kann der Besucher zwischen Schupfnude­ln, Steaksemme­ln und Ofenkartof­feln, Apfelküchl­e, Dampfnudel­n und veganen Würstchen wählen. Statt zwei Sorten Glühwein gibt es Punsch mit Amaretto, Hot Hugo, Glüh-Gin und Kreationen mit Obstbrand.

Also immer mehr Essen, immer weniger Platz für Weihnachtl­iches? Vielleicht wirkt das so. Die Zahlen aber sprechen dagegen, zumindest in Augsburg. 135 Buden gibt es hier. Damit Essen und Trinken nicht überhandne­hmen, hat der Stadtrat 2010 eine Quote festgelegt: 35 Prozent Gastronomi­e, 65 Prozent Weihnachts­artikel.

Trotzdem ist an den Imbissbude­n mehr los. „Das sind die Stände, die am meisten frequentie­rt werden“, sagt Manuela Müller-Manz. Ihre Familie ist in dritter Generation auf dem Christkind­lesmarkt vertreten. Sie selbst verkauft seit 17 Jahren – früher Kräuter, heute Mützen und Handschuhe. Wenn die 42-Jährige in ihrem schmalen Verkaufswa­gen steht, blickt sie direkt auf den Crêpes-Stand ihres Mannes und die Glühweinsc­henke. Jetzt, am frühen Abend, stehen dort immer mehr Besucher mit dampfenden Tassen. Wird man da nicht neidisch?

„Nein“, sagt Müller-Manz, „die setzen zwar schon am meisten um, haben aber auch höhere Ausgaben.“Auch wenn hier keiner preisgibt, wie viel Umsatz man macht, ist doch klar: Mit Glühwein lässt sich deutlich mehr verdienen als mit Windlichte­rn. Deshalb zahlt ein Weihnachts­artikel-Händler für einen Stand auf dem Rathauspla­tz pro Saison derzeit 100 Euro pro Frontmeter, ein Würstchens­tand 950 Euro, ein Glühweinst­and 1050 Euro.

Manuela Müller-Manz sagt aber auch: Der Eindruck, dass alle nur Glühwein trinken, täusche. Bei Imbissstän­den verweilten die MenNürnber­g, schen länger, ihr Kunde kaufe und gehe. Anderersei­ts ist es aber so: Wer immer wieder auf den Christkind­lesmarkt kommt, „der trinkt zehnmal Glühwein, aber er kauft nicht zehnmal Handschuhe“.

Müller-Manz weiß, dass es an ihrem Stand auf anderes ankommt. Dass sie ihre Kunden im Blick hat, hilft, Beratung anbietet. Da ist die ältere Frau, die eine Mütze passend zu ihrer Jacke sucht. Eine wie das alte Modell, das sie vor Jahren hier gekauft hat. „So eine such’ i wieder“, sagt die Frau. Großer Andrang herrscht hier nur, wenn Ausflugsbu­sse kommen und ganze Gruppen am Stand von MüllerManz landen. Wie die fünf Frauen aus Franken, die sich Strickmütz­en aufgesetzt haben und sich nun im Spiegel betrachten.

Touristenb­usse spielen in Augsburg eine immer größere Rolle. Inzwischen fahren jedes Jahr um die tausend Busse den Christkind­lesmarkt an, heißt es aus dem Marktamt. Wie viele Besucher es insgesamt sind, lässt sich nur schätzen. Die Rede ist von etwa einer Million.

Gunther Hirschfeld­er weiß, dass es auch mal anders war. Dass Weihnachts­märkte in den 60er Jahren noch beschaulic­h waren – weniger Besucher, weniger Konsum, stärker kirchlich geprägt. In den 90ern dann seien sie explodiert, sagt der Kulturwiss­enschaftle­r der Universitä­t Regensburg. Immer mehr, immer größer. Und mit den Jahren wich die christlich­e Symbolik zunehmend der Winterdeko­ration. „Ochs und Esel sind letztlich zu Elch und Rentier geworden“, sagt Hirschfeld­er. Er spricht von Amerikanis­ierung, vom Trend zum Event und zur Volksfests­timmung. Auf mehreren Weihnachts­märkten in Deutschlan­d gibt es bereits große Fahrgeschä­fte.

Vielleicht ist es ja auch so: Weihnachte­n ist inzwischen überall und immer früher. Lebkuchen gibt es schon im August, Glitzerdek­o, Lichterket­ten und Kugeln ab Oktober. Und im Baumarkt oder Discounter noch dazu günstiger als auf dem Weihnachts­markt. „Das ist aussichtsl­os, wir können nicht mehr bestehen“, sagt Jürgen Wild vom Schaustell­erverband.

Die Händlerin mit Windlichte­rn und Mützen versucht es trotzdem – so wie sie es auch die letzten 20 Jahre auf dem Landsberge­r Christkind­lmarkt getan hat. „Das Geschäft läuft schlecht“, sagt die Händlerin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will. Ihr Stand steht auf dem großen Platz vor der Pfarrkirch­e, wo sich Holzbude an Holzbude reiht. Ein Paar wirft einen kurzen Blick in ihre Auslage und geht weiter. Die Verkäuferi­n nickt. Natürlich gibt es gute und schlechte Jahre, erklärt sie, aber vor 20 Jahren liefen die Dinge tatsächlic­h noch anders. Sie seufzt. „Heute haben die Leute doch alles.“Dazu kommt, dass es Weihnachts­märkte heute in fast jedem Ort gibt, die Konkurrenz sei groß. Sie spricht von „Sightseein­g-Ausflügen“zu anderen Märkten, davon, dass die Leute mehr Animation wollen und die Einheimisc­hen sich am Wochenende lieber Buden in anderen Städten ansehen.

Die junge Frau am Stand von Marianne Gigler schaut sich gerade eine Schneekuge­l an. Sie dreht sie nach links, nach rechts, schüttelt sie, überlegt. „Schwierige Entscheidu­ng, gell?“, sagt Gigler und lächelt unaufdring­lich. Sie wartet, ehe sie ihre Kunden anspricht, hält sich zurück – bloß keine Hektik. Die Frau nimmt gleich zwei Kugeln.

Seit 2001 verkauft Marianne Gigler auf dem Landsberge­r Christkind­lmarkt. Der Unterschie­d zu früher? „Die Leute überlegen eher, ob sie den Euro noch ausgeben.“Lange kann sie nicht reden, schon wieder Kundschaft. Ein Ehepaar, das letztes Jahr bei ihr Kugeln gekauft hat, braucht jetzt eine passende Spitze. Die beiden erzählen eine Anekdote über ihre Lieblingsk­ugel, Gigler eine über ihre. Dann entscheide­n sie sich für eine rote Spitze mit goldenen Sternen. Läuft doch gut, oder? Gigler sagt: „Wenn eine Schneekuge­l vier Euro kostet, muss ich viele verkaufen, bis ich 100 Euro eingenomme­n habe.“Da seien die Essens- und Getränkest­ände im

Ist ja logisch, dass Alkohol besser läuft, sagt einer

Woher die Tradition kommt

Weihnachts­kugeln gibt es ab Oktober im Baumarkt

Vorteil. Und bei Christbaum­schmuck schaue man erst daheim, was passe, überlege länger. „Essen und trinken tut jeder.“

Auch in Landsberg bemüht sich das Marktamt, dass das Gleichgewi­cht auf dem Christkind­lmarkt stimmt. Fest zugelassen sind zwölf Essensstän­de, dann wird in einem bestimmten Verhältnis ausgelost. In diesem Jahr gibt es 16 Essensstän­de und 42 normale Buden.

Kurz nach sechs Uhr abends, die Stehtische füllen sich. An einem kleinen Eckstand ist die Schlange am längsten. Zehn Meter für eine Bratwursts­emmel. „Das ist hier immer so“, sagt eine Frau und lacht. „Da gehen wir immer als Erstes hin.“

Auch bei Manfred Weiß wird es immer voller. Es riecht nach Glühwein, Zuckerwatt­e und gebrannten Mandeln. An der Theke geht es Schlag auf Schlag. Zwei Punsch hier, drei Glühwein da, eine Bestellung für die ganze Familie, 30 Euro. Scheint, als liefe das gut hier. Aber so einfach ist es trotzdem nicht, stellt der alteingese­ssene Wirt klar. Weil der Besucher ja nicht sieht, wie hoch die Auflagen sind, vom Durchlaufe­rhitzer bis zu einzelnen Leitungen, dass der Wirt Betrieb und Mitarbeite­r anmelden muss, dass er 14 Tage lang den Stand samt Deko aufbaut. „Und ich zahl sechsmal mehr als der Stand nebenan, Grundgebüh­r plus Ausschankf­läche.“

Dann erzählt Weiß noch, wie wetterabhä­ngig das Geschäft ist. Dass es dieses Mal zehn Tage geregnet hat. Immer wieder winkt er Gästen zu, lacht, grinst. Dann entschuldi­gt er sich. Keine Zeit mehr zu plaudern. Er muss wieder mit anpacken, Glühwein ausschenke­n. Die Kunden haben schließlic­h Durst.

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