Ihr Hungrigen kommet!
Christkindlesmarkt – das heißt für viele Bratwurst und Glühwein. Wer Kugeln oder Krippen verkauft, tut sich deutlich schwerer. Manche Händler fühlen sich als Statisten für die vorweihnachtliche Fressmeile. Über den Wandel zwischen Windlichtern und Hot Hug
Wenn der Weg das Ziel ist, wohin führt er den Besucher dann? Wer in diesen Tagen über den Augsburger Rathausplatz schlendert, kommt ziemlich sicher an Christbaumkugeln, kitschigen Keramikhäuschen und Kinderspielzeug vorbei, an Silikonbackformen und Strohsternen, an Babybodies und bemalter Glasdeko. Hier, auf einem der ältesten Weihnachtsmärkte Deutschlands, sind die Budenstraßen parallel angeordnet, sie heißen Sankt-Nikolaus-Straße, Adventsstraße oder Sternenweg. Ein Stand mit Weihnachtsartikeln reiht sich an den nächsten, Lichterketten hangeln sich an den Dächern entlang. Und jedes Mal, wenn eine Straße endet, landet der Besucher bei Bratwurst, Kässpatzen oder Glühwein.
So wie der Mann, der ein bisschen wie ein Cowboy geht in seinen schwarzen Stiefeln und Jeans, nur langsamer. Er rückt seinen Hut zurecht, blickt mal nach links, mal nach rechts in die Buden. Unter seinem grauen Oberlippenbart deutet sich ein Lächeln an. Weil es ja schon was hat: Dieser Winterabend, so kurz vor Weihnachten, dann noch die Aussicht auf ein paar entspannte Stunden auf dem Augsburger Christkindlesmarkt samt Glühwein. Der Mann bleibt stehen, stupst seine Tochter an. „Schau mal, schön“, sagt er und deutet auf die Krippen hinter der Glasscheibe. Der Stall mit den Schindeln, Maria, Josef und Jesus aus einem Stück Holz geschnitzt – hübsch anzuschauen. Doch dann hakt sich der Mann bei seiner Tochter unter. „Komm, geh mer einen Glühwein trinken.“
Viele machen das so. Krippen schauen, auf Figuren deuten, in Erinnerungen schwelgen, weitergehen. Robert Scheiderer kennt das schon. Der 71-Jährige sitzt hinter seinen Krippen, blickt immer wieder auf, bereit für einen Plausch und Beratung. Und es ist ja nicht so, dass niemand kaufe, sagt er gelassen. „Viele schauen, holen Infos und kommen dann wieder.“Sein Kunde, erklärt er, sei keiner, der spontan kauft. Schon, weil Krippen nicht günstig sind. Hirten gibt es ab 40 Euro, man kann aber auch 280 Euro hinlegen. Scheiderer verkauft seit 40 Jahren auf dem Christkindlesmarkt, viele seiner Kunden kennt er seit langem. Trotzdem ist er überzeugt, dass das Kunsthandwerk keine große Zukunft hat. Andererseits: Was wäre ein Weihnachtsmarkt ohne Krippen?
Tatsächlich ist es ja so: Auf dem Weihnachtsmarkt scharen sich die meisten Menschen rund um die Buden, an denen es Essen und Trinken gibt. Dort, wo Christbaumschmuck und Krippen verkauft werden, spaziert man meist nur vorbei. Heißt das also, dass nur noch Glühwein und Bratwurst funktionieren? Und der Rest zum atmosphärischen Beiwerk verkommt?
Jürgen Wild hat da eine klare Meinung. Er ist Geschäftsführer des Bayerischen Schaustellerverbandes und sagt: „Wir sind die Statisten für die anderen.“In Hersbruck bei wo Wild auf dem Weihnachtsmarkt ein Kinderkarussell betreibt, ist es so. Kunsthandwerker wie Glasbläser oder Krippenbauer gibt es dort nicht mehr, sagt er. Alle weggebrochen. „Ist ja logisch, dass der Alkohol besser läuft.“Viele Besucher, sagt er, kommen zwar wegen des Weihnachtsflairs, weil Christbaumschmuck und Kerzen so gut in die Zeit passen. Ihr Geld geben sie aber an anderen Ständen aus.
In den 70er und 80er Jahren war das noch anders, erinnert sich Paul Müller. Da gab es auf dem Augsburger Christkindlesmarkt vier große Spielwarenstände, jeder zwölf Meter lang. Nach und nach haben sie alle aufgegeben. Auch die Müllers, eigentlich Schausteller, haben den Wandel erkannt. Paul Müller war vor 30 Jahren der Erste in Augsburg, der Crêpes verkaufte. „Sonst hat’s nur Bratwurst gegeben, vielleicht noch Reiberdatschi.“Vier, fünf Stände, mehr nicht. Heute kann der Besucher zwischen Schupfnudeln, Steaksemmeln und Ofenkartoffeln, Apfelküchle, Dampfnudeln und veganen Würstchen wählen. Statt zwei Sorten Glühwein gibt es Punsch mit Amaretto, Hot Hugo, Glüh-Gin und Kreationen mit Obstbrand.
Also immer mehr Essen, immer weniger Platz für Weihnachtliches? Vielleicht wirkt das so. Die Zahlen aber sprechen dagegen, zumindest in Augsburg. 135 Buden gibt es hier. Damit Essen und Trinken nicht überhandnehmen, hat der Stadtrat 2010 eine Quote festgelegt: 35 Prozent Gastronomie, 65 Prozent Weihnachtsartikel.
Trotzdem ist an den Imbissbuden mehr los. „Das sind die Stände, die am meisten frequentiert werden“, sagt Manuela Müller-Manz. Ihre Familie ist in dritter Generation auf dem Christkindlesmarkt vertreten. Sie selbst verkauft seit 17 Jahren – früher Kräuter, heute Mützen und Handschuhe. Wenn die 42-Jährige in ihrem schmalen Verkaufswagen steht, blickt sie direkt auf den Crêpes-Stand ihres Mannes und die Glühweinschenke. Jetzt, am frühen Abend, stehen dort immer mehr Besucher mit dampfenden Tassen. Wird man da nicht neidisch?
„Nein“, sagt Müller-Manz, „die setzen zwar schon am meisten um, haben aber auch höhere Ausgaben.“Auch wenn hier keiner preisgibt, wie viel Umsatz man macht, ist doch klar: Mit Glühwein lässt sich deutlich mehr verdienen als mit Windlichtern. Deshalb zahlt ein Weihnachtsartikel-Händler für einen Stand auf dem Rathausplatz pro Saison derzeit 100 Euro pro Frontmeter, ein Würstchenstand 950 Euro, ein Glühweinstand 1050 Euro.
Manuela Müller-Manz sagt aber auch: Der Eindruck, dass alle nur Glühwein trinken, täusche. Bei Imbissständen verweilten die MenNürnberg, schen länger, ihr Kunde kaufe und gehe. Andererseits ist es aber so: Wer immer wieder auf den Christkindlesmarkt kommt, „der trinkt zehnmal Glühwein, aber er kauft nicht zehnmal Handschuhe“.
Müller-Manz weiß, dass es an ihrem Stand auf anderes ankommt. Dass sie ihre Kunden im Blick hat, hilft, Beratung anbietet. Da ist die ältere Frau, die eine Mütze passend zu ihrer Jacke sucht. Eine wie das alte Modell, das sie vor Jahren hier gekauft hat. „So eine such’ i wieder“, sagt die Frau. Großer Andrang herrscht hier nur, wenn Ausflugsbusse kommen und ganze Gruppen am Stand von MüllerManz landen. Wie die fünf Frauen aus Franken, die sich Strickmützen aufgesetzt haben und sich nun im Spiegel betrachten.
Touristenbusse spielen in Augsburg eine immer größere Rolle. Inzwischen fahren jedes Jahr um die tausend Busse den Christkindlesmarkt an, heißt es aus dem Marktamt. Wie viele Besucher es insgesamt sind, lässt sich nur schätzen. Die Rede ist von etwa einer Million.
Gunther Hirschfelder weiß, dass es auch mal anders war. Dass Weihnachtsmärkte in den 60er Jahren noch beschaulich waren – weniger Besucher, weniger Konsum, stärker kirchlich geprägt. In den 90ern dann seien sie explodiert, sagt der Kulturwissenschaftler der Universität Regensburg. Immer mehr, immer größer. Und mit den Jahren wich die christliche Symbolik zunehmend der Winterdekoration. „Ochs und Esel sind letztlich zu Elch und Rentier geworden“, sagt Hirschfelder. Er spricht von Amerikanisierung, vom Trend zum Event und zur Volksfeststimmung. Auf mehreren Weihnachtsmärkten in Deutschland gibt es bereits große Fahrgeschäfte.
Vielleicht ist es ja auch so: Weihnachten ist inzwischen überall und immer früher. Lebkuchen gibt es schon im August, Glitzerdeko, Lichterketten und Kugeln ab Oktober. Und im Baumarkt oder Discounter noch dazu günstiger als auf dem Weihnachtsmarkt. „Das ist aussichtslos, wir können nicht mehr bestehen“, sagt Jürgen Wild vom Schaustellerverband.
Die Händlerin mit Windlichtern und Mützen versucht es trotzdem – so wie sie es auch die letzten 20 Jahre auf dem Landsberger Christkindlmarkt getan hat. „Das Geschäft läuft schlecht“, sagt die Händlerin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will. Ihr Stand steht auf dem großen Platz vor der Pfarrkirche, wo sich Holzbude an Holzbude reiht. Ein Paar wirft einen kurzen Blick in ihre Auslage und geht weiter. Die Verkäuferin nickt. Natürlich gibt es gute und schlechte Jahre, erklärt sie, aber vor 20 Jahren liefen die Dinge tatsächlich noch anders. Sie seufzt. „Heute haben die Leute doch alles.“Dazu kommt, dass es Weihnachtsmärkte heute in fast jedem Ort gibt, die Konkurrenz sei groß. Sie spricht von „Sightseeing-Ausflügen“zu anderen Märkten, davon, dass die Leute mehr Animation wollen und die Einheimischen sich am Wochenende lieber Buden in anderen Städten ansehen.
Die junge Frau am Stand von Marianne Gigler schaut sich gerade eine Schneekugel an. Sie dreht sie nach links, nach rechts, schüttelt sie, überlegt. „Schwierige Entscheidung, gell?“, sagt Gigler und lächelt unaufdringlich. Sie wartet, ehe sie ihre Kunden anspricht, hält sich zurück – bloß keine Hektik. Die Frau nimmt gleich zwei Kugeln.
Seit 2001 verkauft Marianne Gigler auf dem Landsberger Christkindlmarkt. Der Unterschied zu früher? „Die Leute überlegen eher, ob sie den Euro noch ausgeben.“Lange kann sie nicht reden, schon wieder Kundschaft. Ein Ehepaar, das letztes Jahr bei ihr Kugeln gekauft hat, braucht jetzt eine passende Spitze. Die beiden erzählen eine Anekdote über ihre Lieblingskugel, Gigler eine über ihre. Dann entscheiden sie sich für eine rote Spitze mit goldenen Sternen. Läuft doch gut, oder? Gigler sagt: „Wenn eine Schneekugel vier Euro kostet, muss ich viele verkaufen, bis ich 100 Euro eingenommen habe.“Da seien die Essens- und Getränkestände im
Ist ja logisch, dass Alkohol besser läuft, sagt einer
Woher die Tradition kommt
Weihnachtskugeln gibt es ab Oktober im Baumarkt
Vorteil. Und bei Christbaumschmuck schaue man erst daheim, was passe, überlege länger. „Essen und trinken tut jeder.“
Auch in Landsberg bemüht sich das Marktamt, dass das Gleichgewicht auf dem Christkindlmarkt stimmt. Fest zugelassen sind zwölf Essensstände, dann wird in einem bestimmten Verhältnis ausgelost. In diesem Jahr gibt es 16 Essensstände und 42 normale Buden.
Kurz nach sechs Uhr abends, die Stehtische füllen sich. An einem kleinen Eckstand ist die Schlange am längsten. Zehn Meter für eine Bratwurstsemmel. „Das ist hier immer so“, sagt eine Frau und lacht. „Da gehen wir immer als Erstes hin.“
Auch bei Manfred Weiß wird es immer voller. Es riecht nach Glühwein, Zuckerwatte und gebrannten Mandeln. An der Theke geht es Schlag auf Schlag. Zwei Punsch hier, drei Glühwein da, eine Bestellung für die ganze Familie, 30 Euro. Scheint, als liefe das gut hier. Aber so einfach ist es trotzdem nicht, stellt der alteingesessene Wirt klar. Weil der Besucher ja nicht sieht, wie hoch die Auflagen sind, vom Durchlauferhitzer bis zu einzelnen Leitungen, dass der Wirt Betrieb und Mitarbeiter anmelden muss, dass er 14 Tage lang den Stand samt Deko aufbaut. „Und ich zahl sechsmal mehr als der Stand nebenan, Grundgebühr plus Ausschankfläche.“
Dann erzählt Weiß noch, wie wetterabhängig das Geschäft ist. Dass es dieses Mal zehn Tage geregnet hat. Immer wieder winkt er Gästen zu, lacht, grinst. Dann entschuldigt er sich. Keine Zeit mehr zu plaudern. Er muss wieder mit anpacken, Glühwein ausschenken. Die Kunden haben schließlich Durst.