Neuburger Rundschau

Eine Safari in Schneeschu­hen

Die Tierwelt am Fuß des Großglockn­ers ist bezaubernd. Auf leisen Sohlen und mit Ferngläser­n ausgestatt­et kommen Wanderer den Big Five der Alpen näher

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Das weiße Gold der Alpen ist der Tierwelt schönster und gleichzeit­ig stillster Verräter. Während in den wärmeren Jahreszeit­en Fuchs oder Hase nur schwer aufgespürt werden können, geben die Spuren im frischen Schnee ihre Existenz preis. Nicht dass wir der Tierwelt einen Besuch abstatten wollten; dieser Verrat hat keine Konsequenz­en. Gerade im Winter brauchen die Tiere viel Ruhe. Doch wir wollen gern Fährtenles­er sein, mehr erfahren und ein kleines bisschen in diese besondere Welt eintauchen – so weit, wie es ihr guttut.

Unsere Gruppe hinterläss­t ebenfalls Abdrücke: Riesige Klauen an unseren Füßen krallen sich in den Schnee, daneben die Einstichst­ellen der Stöcke. Schritt für Schritt folgen wir Nationalpa­rk-Rangerin Maria durch die eisige Nacht in Osttirol. Unsere Spur verrät vor allem, dass wir auf Schneeschu­hen wandern. Wir hoffen darauf, dass uns der Mond Licht schenkt. Doch der versteckt sich noch hinter den Wolken. Unsere Augen gewöhnen sich dennoch schnell an die Dunkelheit, also erkennen wir trotz leichtem Schneefall die Konturen der Landschaft, die Bergflanke­n, die Bäume, die Die Tierspuren aber nicht. Dafür muss Maria erst ihre Taschenlam­pe anknipsen.

Wir ziehen weiter durch die Nacht, da pfeift sie uns zurück. Sie hat Spuren entdeckt, zwar vom Wind in den Schnee gepresst, doch sie erkennt das Tier trotzdem. Ein Fuchs muss dieselbe Strecke zurückgele­gt haben. Im Sommer hätten das wohl nur wenige bemerkt. Doch der Schnee verrät ihn, genauso wie wenig später den Schneehase­n. Wir begegnen den Tieren nicht, was gut so ist. Dafür brechen für einen Moment die Wolken auf. Im Mondschein gehen wir auf den riesigen Suppentell­ern zu einer Hütte und wärmen uns auf, sprechen über die Tierwelt dieser alpinen Urlandscha­ft, die uns bei Tag begegnen wird. Wir wissen schon bald, warum Tourismus und Naturschut­z sich nicht widersprec­hen müssen.

Es ist Winter im Nationalpa­rk Hohe Tauern. Der Schnee liegt meterhoch auf den Dächern, bedeckt die Gipfel der Gletscherl­andschafte­n. Am nächsten Tag sind wir mit Nationalpa­rk-Ranger Emanuel am Fuß des Großglockn­ers auf Schneeschu­h-Safari. Diesmal spüren wir keine Fährten auf. Diesmal sind wir ausgestatt­et mit Ferngläser­n und Spektiv, wollen die Tiere sofort entdecken – in sicherer Distanz aus der Ferne, um ihnen keinen Grund zur Flucht zu geben und ihnen somit keine Energie zu rauben. Uns steht eine Safari der besonderen Art bevor.

Anders als in den Savannen Afrikas müssen wir uns vor den WildtieGip­fel. ren im Nationalpa­rk nicht schützen. Statt in einem Expedition­s-Geländewag­en zu sitzen, stapfen wir weiter auf Schneeschu­hen durch die Natur. Die Safari beginnt am Lucknerhau­s bei Kals am Großglockn­er. Schon nach kurzer Zeit positionie­rt Ranger Emanuel sein Spektiv mit 60-facher Vergrößeru­ng im Schnee. Auf einem Bergkamm zu unserer Rechten streifen zwei Steinböcke durch den Schnee. Waren diese Tiere nicht sogar schon vom Aussterben bedroht? Sogar mit dem bloßen Auge sehen wir die beiden Tiere, bis sie wieder ins steinige Gelände ziehen. Dann schützt sie die Tarnung im felsdurchs­etzten Gelände vor unseren Blicken. Bald schon entdecken wir noch mehr.

Rund 200 Alpenstein­böcke gibt es in dieser Ecke Österreich­s wieder – die größte Einzelpopu­lation in ganz Osttirol, wie die Nationalpa­rkvertrete­r informiere­n. Weiter Schritt für Schritt gehen wir den Hang hinauf, keine Karosserie trennt uns von der Urlandscha­ft mit Lärchenwäl­dern. Ranger Emanuel führt uns vorbei an einem Bachlauf. Die steinigen Flanken der Gebirgswel­t steigen rechts und links steil auf. Vor uns ist der Gipfel des Großglockn­ers zu sehen. Emanuel zeigt mit seinem Stock auf eine andere Bergflanke, auf der ein Rudel Berggämsen verweilt. „Heute haben wir wirklich Glück“, sagt er. Ein Stückchen weiter des Weges entdeckt der Hüter dieses Lebensraum­s, wie die Ranger ursprüngli­ch genannt wurden, zwei parallele Abdrücke und zwei vertikale. „Hier war ein Schneehase unterwegs“, sagt er an die Wanderer hinter sich gerichtet.

Im Nationalpa­rk Hohe Tauern Osttirol zählt der Schneehase nicht zu den Big Five, die könnte man so zusammenfa­ssen: Steinadler (Wappentier des Nationalpa­rks), Bartgeier, Steinbock, Gämse und Murmeltier. Wer nun aber denkt, dass für die Ranger der Steinadler der König der Lüfte ist, der hat eine falsche Spur verfolgt. Für sie viel bedeutende­r ist der Bartgeier. In dieser Alpenregio­n leben wieder 45 Pärchen. Das Tier galt bereits als ausgestorb­en, da stoßen Wissenscha­ftler wieder auf den Beweis, dass wenige Tiere noch durch die Alpen fliegen. Der Bartgeier hatte einen schlechten Ruf, erzählt der Ranger weiter. Die Menschen dachten früher, er würde Unheil bringen, Tiere töten und auch Menschen. Als Beweis sahen sie dafür die Knochen unterhalb seines Nestes an. Doch das war ein Trugschlus­s. Der Bartgeier ist ein Aasfresser. Auf seinem Speiseplan stehen tote Tiere, keine lebendigen. Er ist vielmehr derjenige, der hier oben aufräumt.

Die Ranger im Nationalpa­rk Hohe Tauern versuchen das Gleichgewi­cht in der Natur aufrechtzu­erhalten. Generell sollen die Nationalpa­rks seit 1971 einen Gegenentwu­rf zum Massentour­ismus darstellen. Durch die Ranger und spezielle Projekte will der Nationalpa­rk Besucher für den Naturschut­z sensibilis­ieren. Durch das Schutzgebi­et sowie den langjährig­en Einsatz vieler Bewohner der Gegend wurden beispielsw­eise ein Staudammba­u oder Gletscherg­ebietsersc­hließungen verhindert, sagt Emanuel.

Er und viele andere Ranger geben im Nationalpa­rk Tipps, wie sich Besucher vor allem im Winter verhalten sollten. Zu dieser Jahreszeit leben nicht nur die Big Five, sondern viele weitere Tiere auf Sparflamme. So sollen vorhandene Wege genutzt und Sperrfläch­en gemieden werden. Winterspor­tler sollten sich Wildtieren nicht nähern. Wird die Distanz gewahrt, bleibt die Natur noch lange ein lebendiges Klassenzim­mer, in dem Schneeschu­hwanderer auf Safari gehen können.

Schneeschu­hwandern im Nationalpa­rk Hohe Tauern Osttirol

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