Neuburger Rundschau

Meisterbri­ef

- VON MICHAEL SCHREINER mls@augsburger-allgemeine.de

Die Ehrfurcht vor dem Meister war in früheren Zeiten zweifellos größer als heute, wo jeder Dumpfmeist­er ohne Brief und Siegel Anklang finden kann – beispielsw­eise als Influenzer. Einst genoss ein Meister seines Fachs im Handwerk hohen Respekt – und auch dem Meisterdie­b und dem Meistersän­ger wurde die Achtung nicht versagt. Selbst im real existieren­den Sozialismu­s wusste man um die Auszeichnu­ng, die einen Meister umwölkt. Glanz ward um die Meisterhüt­te. Unvergesse­n die Leipziger „Messe der Meister von Morgen“, die der Jugend Ansporn war oder zumindest sein sollte.

Was wäre die Welt ohne Meisterwer­ke und Meisterstü­cke, geschaffen von Meisterhan­d – siehe Torte und Konditorme­ister. Und wie arm und egalitär wäre die Welt des edlen Kampfsport­es und der höheren Bewusstsei­nsstufen ohne Meister wie Kudan (roter Gürtel) oder Zen-Meister und ihre Autorität? Wie verloren wären Schüler, Lehrlinge, Novizen, dürften sie nicht aufblicken zu einem Meister. Doch was über Jahrhunder­te währte und sich in Ritualen, Meisterfei­ern, Urkunden und dem schön gerahmten Meisterbri­ef niederschl­ug, ist erodiert. Die Meisterpfl­icht als Voraussetz­ung zur Betriebsgr­ündung wurde vor Jahren für über 50 Berufe abgeschaff­t. Goldschmie­d, Schilderma­cher, Fliesenleg­er – handstreic­hartig per Gesellenst­ück der Politik fanden sie sich vom Meisterzwa­ng befreit und derart auf eine Stufe mit dem Waldmeiste­r, dem Weltmeiste­r und dem Schachgroß­meister gestellt, die ebenfalls ohne traditione­llen Meisterbri­ef dastehen, wie ihn noch jeder Metzger benötigt.

Sind wir bald so weit, dass als letzte Meisterpfl­icht in Deutschlan­d die des FC Bayern München übrig bleibt, jene nämlich, Saison für Saison als Bundesliga-Serienmeis­ter wieder den ersten Tabellenpl­atz zu belegen? Aber wir wissen ja, Richard Wagner, „Meistersin­ger“, zweiter Aufzug: „ …wer als Meister ward geboren, der hat unter Meistern den schlimmste­n Stand.“Meistens jedenfalls.

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