Meisterbrief
Die Ehrfurcht vor dem Meister war in früheren Zeiten zweifellos größer als heute, wo jeder Dumpfmeister ohne Brief und Siegel Anklang finden kann – beispielsweise als Influenzer. Einst genoss ein Meister seines Fachs im Handwerk hohen Respekt – und auch dem Meisterdieb und dem Meistersänger wurde die Achtung nicht versagt. Selbst im real existierenden Sozialismus wusste man um die Auszeichnung, die einen Meister umwölkt. Glanz ward um die Meisterhütte. Unvergessen die Leipziger „Messe der Meister von Morgen“, die der Jugend Ansporn war oder zumindest sein sollte.
Was wäre die Welt ohne Meisterwerke und Meisterstücke, geschaffen von Meisterhand – siehe Torte und Konditormeister. Und wie arm und egalitär wäre die Welt des edlen Kampfsportes und der höheren Bewusstseinsstufen ohne Meister wie Kudan (roter Gürtel) oder Zen-Meister und ihre Autorität? Wie verloren wären Schüler, Lehrlinge, Novizen, dürften sie nicht aufblicken zu einem Meister. Doch was über Jahrhunderte währte und sich in Ritualen, Meisterfeiern, Urkunden und dem schön gerahmten Meisterbrief niederschlug, ist erodiert. Die Meisterpflicht als Voraussetzung zur Betriebsgründung wurde vor Jahren für über 50 Berufe abgeschafft. Goldschmied, Schildermacher, Fliesenleger – handstreichartig per Gesellenstück der Politik fanden sie sich vom Meisterzwang befreit und derart auf eine Stufe mit dem Waldmeister, dem Weltmeister und dem Schachgroßmeister gestellt, die ebenfalls ohne traditionellen Meisterbrief dastehen, wie ihn noch jeder Metzger benötigt.
Sind wir bald so weit, dass als letzte Meisterpflicht in Deutschland die des FC Bayern München übrig bleibt, jene nämlich, Saison für Saison als Bundesliga-Serienmeister wieder den ersten Tabellenplatz zu belegen? Aber wir wissen ja, Richard Wagner, „Meistersinger“, zweiter Aufzug: „ …wer als Meister ward geboren, der hat unter Meistern den schlimmsten Stand.“Meistens jedenfalls.