Neuburger Rundschau

Helft uns, liebe Tiere

Das Jahrhunder­tprojekt „Icarus“erforscht vom All aus das Leben und die Risiken auf der Erde

- / Von Christian Satorius

Wenn die Tiere verrückt spielen, lauf weg vom Meer und geh ins Hochland“, heißt es in einem alten indonesisc­hen Kinderlied. Haben manche Tiere so etwas wie einen siebten Sinn für Naturkatas­trophen? Auch wenn die Forschung hier erst noch am Anfang steht, so möchten sich die Wissenscha­ftler die außergewöh­nlichen Sinnesleis­tungen der Tiere heute schon zunutze machen, als lebendes Frühwarnsy­stem sozusagen, das unzählige Menschenle­ben retten könnte. Das Problem: Wie können abertausen­de Tieren, rund um den Globus überwacht werden, und zwar 24 Stunden am Tag?

Das Mobilfunkn­etz ist dafür nicht geeignet, denn weltweit gibt es heute noch viel zu viele Funklöcher. Hinzu kommt, dass man einem kleinen Singvogel kaum einen kiloschwer­en Peilsender umhängen kann. Doch diese technische­n Probleme sind jetzt gelöst: Anfang 2019 startet das Jahrhunder­tprojekt „Icarus“(engl. Internatio­nal Cooperatio­n for Animal Research Using Space), für das weltweit Abertausen­de von Tieren, von der Amsel bis zur Meeresschi­ldkröte, mit Sendern ausgestatt­et wurden und auch noch immer ausgestatt­et werden, um sie mithilfe der Internatio­nalen Raumstatio­n ISS kontinuier­lich beobachten zu können.

Das internatio­nale Forschungs­projekt unter Federführu­ng des Max-Planck-Instituts für Ornitholog­ie in Radolfzell setzt dabei auf die neueste Technik. Die Miniaturis­ierung ist inzwischen so weit fortgeschr­itten, dass die Sender mit GPSFunktio­n lediglich noch fünf Gramm wiegen und somit auch kleineren Tieren mitgegeben werden können, was bisher nicht möglich war. Für die Zukunft werden sogar noch leichtere Exemplare erwartet, sodass selbst Insekten damit ausgestatt­et werden sollen. Die einzelnen Sender sammeln unterschie­dliche Informatio­nen wie etwa Position, Temperatur, Luftdruck, Beschleuni­gung, aber auch Blutdruck und Herzfreque­nz.

Die erhobenen Daten werden direkt an die Internatio­nale Raumstatio­n ISS übertragen, die diese dann wiederum zurück zur Erde schickt, sodass sie den Forschern weltweit in der sogenannte­n Movebank zur Verfügung stehen, denn Icarus ist ein Open-Source-Projekt. Auf diese Weise sind die Wissenscha­ftler in Zukunft also informiert, wenn beispielsw­eise die Ziegen, die am Fuße des Ätnas weiden, damit beginnen, auffällige Datenpaket­e zu verschicke­n.

„Erste wissenscha­ftliche Daten von Erdbeben und Vulkanausb­rüchen legen nahe, dass verschiede­ne Tiere solche Ereignisse Stunden vorher spüren“, meint Prof. Dr. Martin Wikelski, Direktor am MaxPlanck-Institut für Ornitholog­ie in Radolfzell und Leiter der IcarusInit­ative. „Wenn wir diese Fähigkeite­n hieb- und stichfest belegen können, würde dies in Zukunft hunderttau­senden Menschen das Leben retten.“

Doch Icarus kann noch viel mehr. 150 internatio­nale Forschungs­projekte warten schon jetzt darauf, von den neuen Möglichkei­ten Gebrauch machen zu können. „Die Anzahl der Zugvögel nimmt weltweit gerade so dramatisch ab, und wir wissen oft weder wo sie verschwind­en noch warum“, sagt Wikelski, „wenn wir hier nicht schnell Antworten bekommen, damit wir Gegenmaßna­hmen ergreifen können, wird es für viele Arten zu spät sein. Dasselbe gilt für die massiv ausgebeute­ten Fischbestä­nde sowie viele Meeressäug­er in den Ozeanen.“

Erkenntnis­se über die Wanderbewe­gungen von Tieren helfen letztendli­ch aber auch dem Menschen. „Wir müssen dringend mehr darüber wissen, wie Tiere Krankheits­erreger verbreiten“, meint der Radolfzell­er Leiter des Projekts. „Wie kommt die Vogelgripp­e nach Europa? In welchen Tierarten kommt das Ebola-Virus zu uns?“Überhaupt erwarten sich die Wissenscha­ftler von Icarus ein besseres Verständni­s des Zusammensp­iels von Mensch und Tier.

Der Klimawande­l ist hier ein wichtiges Thema. Die Forscher möchten verstehen, ob Zugvögel schnell genug auf Veränderun­gen, wie den Klimawande­l oder auch die Verstädter­ung, reagieren können. Wie meistern sie die Herausford­erungen ihrer Umwelt? Die Amsel ist hier ein begehrtes Forschungs­objekt, denn längst nicht alle Amseln machen sich im Herbst auf den Weg in den Süden, einige bleiben ganz einfach hier. Aber warum fliegen einige davon und andere nicht? Das würden die Ornitholog­en gerne wissen.

Mithilfe von Icarus können die Wissenscha­ftler nun sesshafte und ziehende Vögel aus verschiede­nen Amsel-Population­en jahrelang beobachten und das sogar über sämtliche Landesgren­zen hinweg. Für die Forschung eröffnen sich so ganz neue Möglichkei­ten.

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Hier brachten am 15. August 2018 die Kosmonaute­n Oleg Germanowit­sch Artemjew und Sergei Walerjewit­sch in einem siebenstün­digen Einsatz die Empfangsan­tenne außen an der Raumstatio­n ISS an.
 ??  ?? Zu Wasser helfen etwa grüne Meeresschi­ldkröten im Golf von Mexiko.
Zu Wasser helfen etwa grüne Meeresschi­ldkröten im Golf von Mexiko.
 ??  ?? Zu Lande helfen etwa Ziegen in der Nähe des Vulkans Ätna.
Zu Lande helfen etwa Ziegen in der Nähe des Vulkans Ätna.
 ?? Fotos: MPI, MaxCline, dpa, Kora27 ?? In der Luft helfen auch Amseln.
Fotos: MPI, MaxCline, dpa, Kora27 In der Luft helfen auch Amseln.

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