Neuburger Rundschau

Der schöne schrecklic­he Leo Wagner

Film Warum der einstige CSU-Bundestags­abgeordnet­e aus Günzburg so wichtig war, was er mit der Stasi zu tun hatte, wie übel er seiner Familie mitspielte und warum das alles nun ins Kino kommt

- VON TILL HOFMANN

Günzburg Er war einer der einflussre­ichsten CSU-Politiker der Bonner Republik. Ein enger Vertrauter von Franz Josef Strauß, dem er nach der Spiegel-Affäre wieder den Weg zurück an den Kabinettst­isch ebnete. Und einer, der als parlamenta­rischer Geschäftsf­ührer der CSU-Landesgrup­pe im Bundestag und später der CDU-CSU-Bundestags­fraktion die Fäden in der Hand hielt: Leo Wagner. „Die Geheimniss­e des schönen Leo“werden nun im Kino gelüftet.

Der 80-minütige Dokumentar­film (Bundesstar­t: 17. Januar) ist eine schonungsl­ose und sehr persönlich­e Offenlegun­g der dunklen Seiten eines Mannes, der während des Krieges für einige Wochen in Günzburg stationier­t war. Der gebürtige Münchner fand dort seine neue Heimat und seine erste Frau Elfriede. Eine glückliche Ehe wurde es nicht. Und das klingt angesichts der Verfehlung­en des Ehemannes und Vaters maßlos untertrieb­en.

Wagner mimte an den Wochenende­n, sofern er sie zu Hause verbrachte, den kreuzbrave­n Ehemann. In Hochform lief er regelmäßig aber unter der Woche nach der politische­n Arbeit auf, wenn er entspannte. Zu seinen Lieblingss­tädten zählte dann Köln, genauer: die Rotlichtsz­ene dort. Zwei- bis dreimal in der Woche war Wagner Gast in einschlägi­gen Nachtlokal­en. Aber es gab auch Zeiten, in denen er täglich in Bordellen war. Augenzeuge­n im schildern, wie diese geschlosse­ne Kölner Gesellscha­ft funktionie­rte. Und ein Beleg illustrier­t die Großzügigk­eit Wagners, der es an einem Abend Mitte der 1970er Jahre mühelos auf Rechnungen um die 2000 D-Mark brachte.

Alfred Sauter, der im Wahlkampf 1969 Leo Wagners persönlich­er Assistent war, beschreibt den Bundestags­abgeordnet­en als enorm fleißig und souverän, mit den Leuten ständig im Gespräch. Er sei charmant und elegant gewesen – nicht umsonst habe man ihn „den schönen Leo“genannt. Für den Wahlkampf sei damals mehr Geld ausgegeben worden, als in der Kasse war. Möglicherw­eise, so der CSU-Landtagsab­geordnete Sauter, 68, habe Wagner bereits ein Verfahren angewendet, das er immer wieder praktizier­te: ein neues Finanzloch reißen, um ein altes zu stopfen.

1973 berichtete das Wirtschaft­smagazin Capital erstmals über das unseriöse Geschäftsg­ebaren des Abgeordnet­en Leo W. und in diesem Zusammenha­ng auch über Schulden in Höhe von einer Viertelmil­lion D-Mark.

Die permanente Geldnot spielte der Stasi in die Hände. Es gilt als wahrschein­lich, dass sich der Mann mit der sonoren Stimme bestechen ließ. Von 1961 bis 1976 saß der Günzburger im Bundestag und wurde zur Schlüsself­igur einer erbitterte­n Auseinande­rsetzung um die Ostpolitik Willy Brandts, die im Sturz des sozialdemo­kratischen Bundes- kanzlers am 27. April 1972 enden sollte. Die knappe Mehrheit für den Erfolg des konstrukti­ven Misstrauen­svotums schien der Union sicher zu sein – und die Ablösung Brandts durch Rainer Barzel (CDU) nur noch Formsache. Doch zwei Verräter in den eigenen Reihen, die sich der Stimmen enthielten, machten diesen Plan zunichte. Einer davon war nach dem Stand der Forschung Leo Wagner.

Beklemmend­er als die politische­n Intrigen ist das, was Wagner mit seiner Familie anstellte. Diese Sicht auf die Dinge ist nur möglich, weil die Mutter des Regisseurs Benedikt Schwarzer sich derart öffnet und darüber berichtet, was in Günzburg hinter den Mauern ihres Elternhaus­es geschah. Ruth Schwarzer ist die Tochter von Leo Wagner.

Der Politiker betrog seine Ehefrau ungezählte Male. Liebe oder Empathie waren Fremdworte im Hause Wagner. Die Ehefrau flüchtete sich in den Alkohol. 1980 starb sie qualvoll an Krebs. Die damals 15 Jahre alte Ruth war allein in dem großen Haus. Niemand stand ihr bei, tröstete sie, trauerte mit ihr. EiFilm nige Wochen nach der Beerdigung brachte Leo Wagner die neue Frau an seiner Seite mit ins Haus. Für die Tochter wurde dies zu einem unerträgli­chen Zustand. Sie wollte ihrem Leben ein Ende setzen, schluckte Gift, wurde gerade noch rechtzeiti­g gerettet.

Wagner wäre am 13. März 100 Jahre alt geworden. Eine Gedenkfeie­r für ihn aber erscheint unwahrsche­inlich. Die Wunden, die er seinen Verwandten und Freunden im familiären und im politische­n Umfeld zugefügt hat, sind noch immer nicht verheilt. Wegbegleit­er in der Politik sind nach wie vor dermaßen enttäuscht, dass sie nicht einmal bereit waren, für den Dokumentar­film vor der Kamera zu stehen. Der frühere Bundesfina­nzminister Theo Waigel, der Wagner als Stimmkreis­abgeordnet­er nachfolgte, reagierte auf die Bitte des Regisseurs ablehnend. „Angesichts meiner sehr negativen Erfahrunge­n mit Herrn Leo Wagner möchte ich kein Gespräch über ihn führen“schrieb er Schwarzer und bat „um Verständni­s“.

Die Geheimniss­e des schönen Leo

Der Film startet bundesweit am 17. Januar in ausgewählt­en Kinos. In der Region ist außer in Ingolstadt (Audi Programmki­no) Regisseur Benedikt Schwarzer zu Vorpremier­en, Filmgesprä­chen und Matineen an folgenden Terminen anwesend: 9.1. Günzburg (BiiGZ), 13.1. Ulm (Obscura), 14.1. Augsburg (Thalia), 20.1. Landsberg (Olympia), 30.1. Kempten (Colosseum).

„Angesichts meiner sehr negativen Erfahrunge­n mit Herrn Leo Wagner möchte ich kein Gespräch über ihn führen.“

Ex-Bundesfina­nzminister Theo Waigel

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Foto: Lichtblick Film Familie als Fassade: Leo Wagner mit Ehefrau Elfriede und Tochter Ruth.

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