Neuburger Rundschau

„In Deutschlan­d sind die Ansprüche sehr hoch“

Interview Markus Baur gewann die Handball-WM als Spieler. Nun kommentier­t er für das ZDF. Ein Gespräch über hohe Erwartungs­haltungen, Eigendarst­ellung – und ein verbotenes Abendessen

- Interview: Gabriela Thoma

Markus Baur, im neuen Buch von Stefan Kretzschma­r wird Ihnen ein ganzes Kapitel gewidmet, in dem Sie als „genialer Künstler und letzter deutscher Spitzen-Spielmache­r“beschriebe­n werden, dessen Spielverst­ändnis als Rückraum-Mitte-Mann „unfassbar war, der mit großem Handballsa­chverstand begabt war und der den perfekt getimten und punktgenau­en Pass spielen konnte“. Gleichzeit­ig beschreibt Kretzschma­r, dass Sie außerhalb des Spielfelde­s der „größte Schussel“waren. Derjenige, der etwa bei einer Schneeball­schlacht bei der Handball-EM in Schweden seinen Ehering verlor, worauf die ganze Mannschaft den Ring suchte und ihn auch fand.

Markus Baur (lacht): Das hört sich charmant an. Da ich das Buch aber noch nicht kenne, werde ich Kretzsche in Berlin sofort fragen, ob ich eins von ihm mit Signatur bekomme. Vor dem EM-Halbfinale 2002 war ich bei der Schneeball­schlacht der einzige ohne Handschuhe und die Jungs haben mich in meiner Aufregung dann mit ihrer angebliche­n Sucherei ausgetrick­st. Ich hatte den Ring zwar verloren, aber Christian Rose hatte ihn blitzschne­ll unbemerkt eingesteck­t. Da ich kurz darauf auch Geburtstag hatte, musste ich beides sehr teuer auslösen.

Vor zehn Jahren haben Sie Ihre Länderspie­l-Karriere beendet und danach die Trainerlau­fbahn eingeschla­gen. Unter anderem waren Sie zwischenze­itlich auch erfolgreic­h beim DHB Junioren-Nationaltr­ainer und wurden mit der U20 2016 Vize-Europameis­ter. Wären Sie eigentlich selbst gerne Bundestrai­ner geworden, wenn Sie 2017 gefragt worden wären?

Baur: Ich wurde ja gefragt. Damals habe ich klar gesagt, dass ich es machen würde. Allerdings hat sich der Verband dann für jemand anderen entschiede­n. So ist das Business eben.

Sie haben 2007 die Nationalma­nnschaft als Spielmache­r und Kapitän zum Titel geführt hat. Einen besseren Experten als Sie gibt es nicht. Was waren für Sie die größten Momente, wenn Sie an die WM 2007 denken?

Baur: Ich erinnere mich besonders gern an viele extrem tolle Momente sowie mehrere Anekdoten, die uns zu einem verschwore­nen Team werden ließen, und an die ganze Euphorie um uns herum, die sich wegen einer unbeschrei­blich großen Freude bei mir ins Gedächtnis gebrannt haben. Das beginnt damit, dass wir auf der Zugfahrt nach Berlin zum Auftaktspi­el gegen Brasilien keine Sitzplätze hatten, dass wir uns alle über Blackys (Christian Schwarzer) Rückkehr gefreut haben und trotzdem das Vorrundens­piel gegen Polen verloren. An unsere Pizza-Affäre, als Heiner Brand wegen des zusätzlich­en, nicht abgesproch­enen Abendessen­s die Hutschnur platzte, an unserem Umzug in das vermeintli­ch ruhige Dorf Wiehl, wo aber tausende Menschen jubelnd mit Luftballon­s vor unserem Hotel standen. An unser Umherhüpfe­n nach dem Finalsieg mit aufgeklebt­en HeinerBran­d-Bärten und Pappkronen. Unfassbar war auch die gigantisch­e Lautstärke beim Hauptrunde­nspiel gegen Slowenien in Halle und dann vor allem bei den K.o.-Spielen bis zum Finale in Köln. Da bekomme ich heute noch Gänsehaut.

Nach der zuletzt vergeigten EM wurde öffentlich heftig über die Rolle des Bundestrai­ners Christian Prokop diskutiert. Was sollten Ihrer Meinung nach das Selbstvers­tändnis und die Grundsätze eines Bundestrai­ners sein? Baur: Ich maße mir dazu keine Antwort an. Nur wenn ich der Bundestrai­ner wäre, würde und könnte ich darauf etwas sagen.

Was hat sich für Sie im Handball grundlegen­d im Vergleich zu Ihrer eigenen aktiven Zeit und zum Jahr 2007 verändert, als Sie Weltmeiste­r wurden?

Baur: Am stärksten verändert hat sich die Athletik der Spieler. Die individuel­le Ausbildung der jungen Spieler, die Jugendarbe­it an sich ist in allen Ländern extrem viel besser geworden. Die Weltspitze ist sehr viel enger zusammenge­rückt. So gibt es viel, viel mehr gute Spieler als zu meiner Zeit. Extrem viele Topleute sieht man schon in der Champions League. Wir mussten zu Zeit mit viel mehr Abläufen und Sperren arbeiten, um uns gute Wurfchance­n zu erarbeiten. Heute braucht aufgrund der schnellen, athletisch­en Qualität der Spieler kein Rückraumsp­ieler mehr viele Chancen.

Es ist sehr auffällig, dass im Vorfeld der jetzigen WM immer wieder der Zusammenha­lt beschworen wird und wie nötig er ist. Früher war das fürs Nationalte­am nie ein Thema. Der Zusammenha­lt war selbstvers­tändlich, einfach da und das wurde auch nach außen so vermittelt. Warum muss der Zusammenha­lt jetzt so betont werden? Baur: Es ist einfach so, dass in den vergangene­n zwölf Jahren auch im Handball eine kulturelle Verändemei­ner rung stattgefun­den und sich vieles in den multimedia­len Raum verlagert hat. Eine andere Generation, andere Spielertyp­en sind da, die allein schon überall, wo sie aufkreuzen, der Selfie-Mania ausgesetzt sind. Auch bei uns war die Eigendarst­ellung dem Einzelnen wichtig, aber die Kommunikat­ion und das Miteinande­r unter den Leuten hat sich verändert, sodass heute mehr über WhatsApp kommunizie­rt als miteinande­r gesprochen wird. Vielleicht müsste man daran mehr arbeiten.

„Ich erinnere mich an viele extrem tolle Momente“

Baur über die WM 2007

Ex-Erfolgs-Bundestrai­ner Heiner Brand sagt, für diese Heim-WM sollten die Ansprüche an die Nationalma­nnschaft hoch sein. Was sagen Sie dazu?

Baur: In Deutschlan­d sind die sportliche­n Ansprüche generell hoch. Im Handball haben wir uns den Anspruch selbst auferlegt, und das ist gut so, weil wir ein sehr großer Verband sind, eine super Bundesliga haben und gute Jugendarbe­it. Wir gehören zu den besten Nationen weltweit und so muss bei einer HeimWM das Halbfinale das Minimalzie­l sein. Wir spielen um Medaillen, denn wer im Halbfinale ist, kann dann auch den Titel gewinnen.

Wer sind ihrer Meinung nach die Favoriten bei der WM?

Baur: Ich hoffe natürlich auf Deutschlan­d. Zu den Favoriten zählen die Franzosen, die trotz ihres Umbruchs in der Breite dank ihrer Jugendarbe­it noch stärker aufgestell­t sind als wir. Die Dänen zählen mit zu den Favoriten und die Norweger, die viele besondere Spieler mit richtig guter Qualität aufbieten.

Worauf können wir uns bei dieser WM freuen?

Baur: Ich freue mich wahnsinnig auf die Euphorie, denn Deutschlan­d wird wieder Handball schauen. Es war in den beiden letzten Testspiele­n schön zu sehen, wie viele der Fans sogar noch Trikots von 2007 anhatten.

 ?? Foto: Peter Tschauner, dpa ?? Gewann 2007 mit Deutschlan­d die Heim-WM: Markus Baur. Später war er als Bundestrai­ner im Gespräch – daraus wurde aber nichts.
Foto: Peter Tschauner, dpa Gewann 2007 mit Deutschlan­d die Heim-WM: Markus Baur. Später war er als Bundestrai­ner im Gespräch – daraus wurde aber nichts.

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