Neuburger Rundschau

Die Problemfel­der des Teams

Analyse In vielen Mannschaft­steilen sind die deutschen Handballer gut aufgestell­t, aber es gibt auch noch Baustellen

- VON ARNE WOHLFARTH

Wetzlar Ja, sie haben dieses Feuer in den Augen. Das ist allerdings auch kein Wunder. Für jeden Sportler ist eine Weltmeiste­rschaft im eigenen Land mit das Größte, was er erleben darf. Insofern spüren die deutschen Handballer in diesen Tagen eine große Begeisteru­ng.

Am Dienstag sind sie in Berlin zusammenge­kommen. Am Donnerstag beginnt die WM mit dem Spiel gegen Korea. Dann geht es Schlag auf Schlag. Gegen Brasilien am Samstag, gegen Russland am Montag, Frankreich wartet am Dienstagab­end, das Vorrundene­nde ist für Donnerstag angesetzt. Der Gegner heißt dann Serbien. Belegen die Deutschen einen der ersten drei Plätze, dürfen sie die Hauptrunde in Köln spielen.

Der Europameis­ter von 2016 besitzt die Klasse, um die Vorrunde zu überstehen. Auf den Außenposit­ionen, am Kreis, im Tor und auf Rückraum rechts ist er hervorrage­nd besetzt. Aber kann das Team auch gegen die Großen mithalten? Das Potenzial für große Taten ist zweifellos vorhanden. Vor allem mit dem Heimvortei­l im Rücken. Aber genauso gibt es jede Menge Fragezeich­en.

● Trainer Christian Prokop hat ein schwierige­s erstes Halbjahr 2018 erlebt. Dass seine Truppe bei seinem ersten großen Turnier als Coach der Nationalma­nnschaft krachend gescheiter­t war, haben nicht wenige dem 40-Jährigen angelastet. Zu detailverl­iebt, zu wenig kommunikat­iv, zu selten teamfähig, zu konfus auf der Bank sei er bei der EM in Kroatien gewesen. Er hat Fehler eingestand­en. Ein Austausch mit Führungssp­ielern findet nun häufiger statt, „nachdem ich solche Gespräche zuvor unterschät­zt und viel zu selten geführt hatte“, wie Prokop einräumt. Er sieht die Differenze­n ausgeräumt. Auch die Spieler wollen nicht mehr zurückblic­ken. Sie hoben gerade in den vergangene­n Tagen die gute Atmosphäre hervor. Aber hält der Frieden auch in Stresssitu­ationen? ● Linker Rückraum: Es ist die Königsposi­tion im Handball – und im deutschen Team eine Problemzon­e. Der Ausfall von Julius Kühn (Kreuzbandr­iss) wiegt schwer. Zumal Prokop es in seiner bisherigen Amtszeit noch nicht geschafft hat, Steffen

Fäth so einzubinde­n, dass er seine Topform abruft.

Beim so wichtigen Oktober-Lehrgang in Wetzlar lud der Bundestrai­ner Fäth zunächst nicht ein, nominierte ihn erst am vorletzten Tag nach, weil sich Tim Suton verletzt hatte. Das stärkt nicht gerade das Verhältnis zwischen Coach und Spieler. Während der WM muss er aber liefern, denn sein Pendant Fabian Böhm ließ nach gutem Saisonstar­t in den vergangene­n Wochen merklich nach. Der Coach nennt Böhm gerne einen „Krieger“. Doch nach den jüngsten Auftritten bei den Länderspie­len bestehen Zweifel, ob der 29-Jährige tatsächlic­h das Zeug hat, auf internatio­nalen Niveau Akzente zu setzen. Kandidat Nummer drei im linken Rückraum ist Paul Drux. Der hatte im alten Jahr mit Verletzung­en zu kämpfen, scheint aber rechtzeiti­g fit zu sein.

● Spielmache­rposition: Es ist die meist diskutiert­e Personalie im deutschen Aufgebot: Im Herbst entschloss sich Prokop dazu, Martin Strobel zurückzuho­len, und stellte ihm einen Freifahrts­chein für die WM aus. Problem: Der 32-Jährige spielt seit eineinhalb Jahren nur in der 2. Liga. Immerhin steht er mit HBW Balingen/Weilstette­n an der Tabellensp­itze. Doch reicht die Klasse des Europameis­ters von 2016 noch aus, um internatio­nal auf Top-Niveau mitzuhalte­n? Doch der Bundestrai­ner schätzt die strategisc­hen Fähigkeite­n des Schwaben, dazu seine Passgeschw­indigkeit. Er soll den reinen Spielmache­r mimen. ● Aktueller Leistungss­tand: Fünf Länderspie­le bestritt die Auswahl in dieser Saison – fünf Mal gewann sie deutlich. Doch die Gegner hießen Israel, Kosovo, Polen, Tschechien und Argentinie­n. Das alles waren keine Gratmesser. Die letzte Partie gegen einen Top-Gegner fand im Juni in München gegen Norwegen statt. Allerdings zu einem höchst unglücklic­hen Zeitpunkt – direkt nach Rundenende der Bundesliga. Da krochen alle Akteure auf dem Zahnfleisc­h. Insofern war das 25:30 ein Muster ohne Wert. Wo also steht die deutsche Nationalma­nnschaft?

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Foto: dpa Christian Prokop steht nach der verpatzten EM im vergangene­n Jahr nun zur Heim-WM extrem unter Druck.

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