Wie Kinder mit dem Tod umgehen
Soziales Der Familiennachsorgeverein Elisa hat einen neuen ambulanten Kinder- und Jugendhospizdienst. Anlässlich des Tags der Kinderhospizarbeit stellen die Verantwortlichen das Projekt vor. Die Koordinatorin selbst hat ihr Kind verloren
Neuburg Der Tod ihres Sohnes hat sie zu dem Menschen gemacht, der sie heute ist, sagt Nadine Kotzur. Loris wird am 13. Mai 2013 geboren. Zunächst scheint mit ihm alles in Ordnung zu sein. Doch er entwickelt sich nicht, wie er sollte. Er hebt seinen Kopf nicht, lächelt nicht, hört auf zu trinken. Untersuchungen bringen keine Erklärung. Loris ist gerade mal ein halbes Jahr alt, als ihm eine Sonde durch die Nase gelegt wird, um ihn künstlich zu ernähren. Was ihm wirklich fehlt, weiß niemand, nur, dass es sich wohl um eine Stoffwechselstörung handelt, erzählt die Mutter. Der Junge leidet immer wieder an Lungenentzündung, Infekten, bekommt Antibiotika. Dass ihr Sohn sterben könnte, zieht Nadine Kotzur nicht in Betracht. Dennoch stimmt sie einer Betreuung durch den Neuburger Familiennachsorgeverein Elisa zu. Im denkbar schlimmsten Moment, als sie am 8. Januar 2015 von Loris Abschied nehmen muss, steht der Verein ihrer Familie bei. Eine Erfahrung, die Nadine Kotzur nachhaltig geprägt hat. Mithilfe einer Psychologin, einer Trauergruppe und durch viele Gespräche schafft sie es, den Tod ihres Sohnes zu verarbeiten – in ihren alten Bürojob als Buchhalterin kann sie trotzdem nicht zurück. Stattdessen macht sie ein Praktikum bei Elisa und beginnt ein Studium der Sozialen Arbeit in München. Inzwischen leitet die 37-Jährige bei Elisa die Trauergruppe für verwaiste Eltern, arbeitet im Palliativ-Team mit und koordiniert den neuen ambulanten Kinder- und Jugendhospizdienst. Diesen Dienst stellte der Verein nun anlässlich des Tags der Kinderhospizarbeit am 10. Februar vor. Fünf Ehrenamtliche haben die Ausbildung bereits begonnen.
Jährlich werden rund 350 Familien in der Region 10 und den angrenzenden Landkreisen von Elisa betreut. Mittlerweile könne der Bedarf jedoch allein durch Fachpersonal nicht mehr gedeckt werden, erklärt Nadine Dier, Geschäftsführerin von Elisa. Ein Fall im vergangenen Jahr führte ihr dies schmerzlich vor Augen: Ein schwerstkrankes Kind aus der Region konnte zwar medizinisch versorgt werden, doch die Betreuung der Familie und der Geschwisterkinder blieb auf der Strecke. Dier: „Wir hätten kurzfristig eine helfende Hand gebraucht, die in die Familie geht.“Aber für eine permanente Begleitung waren keine Kapazitäten vorhanden. So entstand die Idee eines ambulanten Kinder- und Jugendhospizdienstes, wie es ihn zum Beispiel in Augsburg gibt. Dabei arbeitet Elisa mit den Hospizver- Die Mitarbeiter des Kinder- und Jugendhospizdienstes finden, dass man das Thema Tod nicht aus seinem Leben verbannen sollte. Im Gegenteil: Man muss offen damit umgehen. Hierbei können Erwachsene oft von Kindern lernen. Widmen sich dem Thema Kinder- und Jugendhospizarbeit in der Region (von links): Dieter Conrad, Petra Pfisterer, Stephanie Schulz, Rosemarie Reile, Nadine Kotzur, Anja Heinrich und Nadine Dier.
einen aus Neuburg-Schrobenhausen, Ingolstadt, Eichstätt und Pfaffenhofen zusammen. Ziel des Dienstes sei es, erläutert Kotzur, Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, die an einer lebensverkürzenden Erkrankung leiden, sowie deren Familien kostenfrei zu begleiten, zu entlasten und zu unterstützen. Der
Dienst soll quasi eine Lücke schließen, die Elisa in der notwendigen Intensität nicht mehr ausfüllen kann und die auch kein herkömmlicher Hospizverein bedient.
Die fünf Frauen, die sich zum ersten Kurs, der im Januar begann und bis Juli dauert, angemeldet haben, waren von dem Projekt sofort
begeistert. Vier von ihnen sind bereits in Hospizvereinen der Region tätig, wollen ihre Zeit „sinnvoll verschenken“, wie sie sagen. Sie wissen um die große Dankbarkeit, die man erfährt, um das tiefe Vertrauen, das zwischen einem Hospizhelfer und den Betroffenen entsteht. Die Arbeit mit Kindern sei jedoch noch einmal anders, etwas ganz Besonderes, sind sie sich einig. Stephanie Schulz vom Hospizverein Ingolstadt sagt unverblümt: „Egal wie hoch Kindern die Scheiße auch steht, sie sind immer am Lachen!“Die meisten Erwachsenen könnten von Kindern noch sehr viel über den Umgang mit dem Tod lernen. „Kinder gehen mit dem Thema sehr unbelastet, sehr offen um“, bestätigt Dieter Conrad, Vorsitzender des Hospizvereins Neuburg-Schrobenhausen, der an Neuburger Schulen das Projekt „Hospiz macht Schule“durchführt. Und auch Anja Heinrich, wie Schulz beim Ingolstädter Hospizverein, teilt diese Ansicht. Kinder zeigten überraschend viel Verständnis, müssten aber auch zurückstecken. Heinrich weiß das aus eigener Erfahrung: Ihr Sohn sei häufig krank gewesen, habe viel Zeit in Kliniken verbracht. Da kam eines Tages ihre Tochter zu ihr mit den Worten: „Mein Verstand hat gesagt, mein Bruder braucht dich. Aber mein Herz hat gesagt, ich möchte auch Zeit mit meiner Mama verbringen.“Eine Stelle, an der der ambulante Kinder- und Jugendhospizdienst andockt: Zeit mit den Geschwisterkindern verbringen oder mit den Kindern eines erkrankten Elternteils, in der diese sich einfach mal fallen lassen dürfen. Normalen Alltag erleben dürfen. Kind sein dürfen. Gleichzeitig wollen die Mitarbeiter des Hospizdienstes den Eltern als Gesprächspartner dienen, mit ihnen einen Kaffee trinken, einfach mal übers Wetter reden, beschreiben Petra Pfisterer und Rosemarie Reile vom Hospizverein Neuburg-Schrobenhausen ihre Aufgabe. Es sei wichtig, dass man die Betroffenen nicht als Opfer, sondern als Helden betrachte, betont Dier.
Nadine Kotzur hört ihren Kollegen aufmerksam zu. Die Neuburgerin weiß genau, wovon sie sprechen. Sie hat diese Hilfe selbst als Betroffene erfahren. Sie hat sie stark gemacht. Genauso wie das Verhalten ihrer Tochter Luna damals. An jenem 8. Januar vor vier Jahren. Als die Dreijährige alle Familienmitglieder an der Hand genommen und zum Sarg ihres toten Bruders geführt habe, erinnert sich Kotzur. „Du musst dich auch noch verabschieden“habe sie jeden Einzelnen angewiesen, auch wenn derjenige gar nicht wollte. Am Ende habe sie Loris über den Kopf gestreichelt und gesagt: „Und jetzt geh’ ich in mein Zimmer und spiel’ weiter.“
OKontakt Der ambulante Kinder- und Jugendhospizdienst sucht noch weitere Ehrenamtliche. Wer Interesse hat, soll sich bei Nadine Kotzur melden (Telefon 0160/96817223, E-Mail: nadine.kotzur@elisa-familiennachsorge.de).