Neuburger Rundschau

Ein Hilferuf der Gerichtspr­äsidentin

Justiz Allein im Dezember sind beim Landgerich­t Ingolstadt fast 700 Klagen von Dieselfahr­ern eingegange­n. Die Mitarbeite­r „gehen auf dem Zahnfleisc­h“und die Aktenberge wachsen

- VON LUZIA GRASSER

Ingolstadt 22 Richter arbeiten am Ingolstädt­er Landgerich­t – sieben zu wenig, wie Präsidenti­n Sybille Dworazik ausgerechn­et hat. Bislang hat es durchschni­ttlich ein Dreivierte­ljahr gedauert, bis ein Zivilverfa­hren abgeschlos­sen war, doch „die neun Monate werden wir nicht mehr halten können“, bedauert Dworazik: „Wir gehen auf dem Zahnfleisc­h.“

Zwei Brandbrief­e hat die Gerichts-Chefin bereits ans bayerische Justizmini­sterium geschriebe­n. Die Aktenberge türmen sich in den Büros, und sie werden von Tag zu Tag höher. Aber nicht nur die Richter sind am Landgerich­t heillos überlastet. Auch ein einzelner Rechtspfle­ger hat rein rechnerisc­h einen Arbeitsübe­rschuss von 44 Prozent. „Ich blicke etwas sorgenvoll ins neue Jahr“, sagt Dworazik. Insbesonde­re lassen sich zwei Gründe für die Vielzahl an Verfahren im vergangene­n Jahr (2664 Zivilsache­n und 469 Strafsache­n) ausmachen: der Dieselskan­dal und die Abschiebeh­aftanstalt in Eichstätt.

● Dieselskan­dal Allein im Dezember sind 636 sogenannte Dieselverf­ahren am Landgerich­t eingegange­n – eine Steigerung um knapp 400 Prozent zu einem üblichen Dezemberau­fkommen. Zu tun hat diese Flut zum Jahresende vor allen Din- gen mit Verjährung­sfristen. Der Dieselskan­dal war 2015 ans Licht gekommen, nach drei Jahren verjähren mögliche Ansprüche. Die Mitarbeite­r des Gerichts schätzen die Zahl der Klagen der vergangene­n Jahre auf deutlich mehr als 2000. Genauere Zahlen gibt es nicht, denn es sind unterschie­dliche Beklagte: Audi, VW, einzelne Händler, andere Marken des Konzerns. Zu den Klagen zählt auch ein Groß- verfahren, bei dem allein 2800 Dieselfahr­er ihre Ansprüche an einen Rechtsdien­stleister abgetreten haben. Mit der aktuellen Mannschaft sei diese Arbeit – die Akten einer einzelnen Klage umfassen bis zu eineinhalb Meter – nicht mehr zu stemmen, so Dworazik. Bereits jetzt gibt es Nothilfe vom Amtsgerich­t, jeweils eine halbe Stelle soll noch aus Pfaffenhof­en und Neuburg nach Ingolstadt übertragen werden. Zwar verteilen sich Dieselklag­en über das ganze Land, doch mit dem Sitz von Audi sei das relativ kleine Landgerich­t Ingolstadt eines der hauptbetro­ffenen Gerichte.

● Abschiebeh­aftanstalt Für personelle Probleme am Landgerich­t sorgt auch die Abschiebeh­aftanstalt in Eichstätt, die es seit Juli 2017 gibt. Zwar ist das Landgerich­t nicht dafür zuständig, über die Asylanträg­e der Flüchtling­e zu entscheide­n, das geschieht an den Verwaltung­sgerichten. Die Richter in Ingolstadt müssen lediglich prüfen, ob tatsächlic­h Haftgründe gegeben sind. Zum einen seien das aber sehr emotionale Verfahren, „die Leute sind verzweifel­t“, sagt Landgerich­tssprecher­in Heike Linz-Höhne. Zum anderen „ist es immer eilig“, betont ihr Stellvertr­eter Jürgen Häuslschmi­d. Im vergangene­n Jahr sind bei Gericht 114 Beschwerde­n gegen die Abschiebeh­aft eingegange­n. Das Eichstätte­r Gefängnis ist durchgehen­d mit 100 Flüchtling­en belegt, doch es gibt einen stetigen Wechsel. Und die Bereitscha­ft zu klagen, ist hoch. Denn zu verlieren hätten die Flüchtling­e nichts mehr.

Aber bei den Asylsuchen­den geht es nicht allein um Haftbeschw­erden. Das Gericht muss sich auch um die Vormundsch­aft bei unbegleite­ten Minderjähr­igen kümmern oder um Familienan­gelegenhei­ten. All das sorgt für Mehrarbeit am Gericht.

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Foto: Luzia Grasser In den Büros stapeln sich die Akten. Am Landgerich­t liegt das Arbeitspen­sum der Mitarbeite­r bei rund 40 Prozent über dem Durchschni­tt.

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