Neuburger Rundschau

„Die Agenda 2010 wird völlig überschätz­t“

Peter Bofinger macht nach 15 Jahren als Wirtschaft­sweiser Schluss. Er erklärt, warum er sowohl die schwarze Null als auch die Hartz-Reformen für einen Fehler hält. Und er spricht über seinen größten eigenen Irrtum

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Herr Bofinger, was machen Sie ab März mit Ihrer freien Zeit?

Peter Bofinger: Ich bin ja weiter als Professor an der Uni Würzburg tätig und will mich verstärkt der ChinaForsc­hung und dem Wachstum dort widmen. Die deutsche Wirtschaft­swissensch­aft beschäftig­t sich noch erstaunlic­h wenig mit China.

Ruft eigentlich mal ein Minister bei Ihnen an und holt sich Rat ein? Bofinger: In der alten Koalition habe ich mit Herrn Gabriel häufiger telefonier­t und mich mit ihm getroffen. Mit dem neuen Wirtschaft­sminister hat das noch nicht stattgefun­den.

Werden Sie auch privat von Leuten nach Rat gefragt?

Bofinger: Ja, die Leute fragen manchmal. Was ich grundsätzl­ich nicht mache: spezielle Aktientipp­s zu geben. Meine Prognosen sind da zu schlecht.

Verhalten Sie sich als Privatmann so wie der Wirtschaft­sweise? Dann müssten Sie in der Null-Zins-Phase gerade ordentlich Geld ausgeben.

Bofinger: Es ist ja ein Unterschie­d, ob man als Staat, Unternehme­r oder als Professor agiert. Da ist es besser, vorsichtig zu sein und nicht in großem Stile Kredite aufzunehme­n.

Also privat steht bei Ihnen die schwarze Null?

Bofinger: Ja. Aber Ihre Frage verdeutlic­ht den Denkfehler, den die Leute machen: Sie übertragen das Denken eines Privathaus­halts auf den Staat. Eine Privatpers­on kann nur in einer bestimmten Lebensphas­e ein hohes Einkommen erzielen und muss damit auch für das Alter sorgen. Staaten dagegen leben ewig und sollten wie vernünftig­e Unternehme­n handeln: Wenn die Investitio­n eine Rendite bringt, die höher ist als die Verzinsung, sollte man in die Verschuldu­ng gehen.

Ein Land, dem es so gut geht, in dem aber Schulen und Straßen marode sind. Wie passt das zusammen? Bofinger: Wir haben so große ungenutzte Finanzspie­lräume wie kein anderes Land! Wir sollten dazu übergehen, die öffentlich­e Verschuldu­ng nicht in Euro, sondern im Verhältnis zur Wirtschaft­sleistung konstant zu halten. Dann hätten wir jedes Jahr 60 Milliarden Euro mehr zum Investiere­n – in Bildung, Infrastruk­tur, Bahn oder Umwelt.

Warum hört ein SPD-Finanzmini­ster nicht auf den „linken“Wirtschaft­sweisen Bofinger und pocht auf die schwarze Null?

Bofinger: Weil die schwarze Null in Politik und Öffentlich­keit sehr ideologisc­h gesehen wird. Das hat sich festgesetz­t. Wenn man in 20 bis 30 Jahren auf unsere Zeit zurückscha­ut, wird man fragen: Wie konnten die Briten so bescheuert sein, den Brexit zu machen. Und warum haben wir in Deutschlan­d an einer reinen Ideologie festgehalt­en, die uns so viele Potenziale genommen hat, unser Land noch viel stärker zu machen. Es gibt keinerlei ökonomisch­e Rechtferti­gung für diese schwarze Null.

Vergangene­s Jahr wurden Sie von ihren Kollegen im Sachverstä­ndigenrat angegangen, weil Sie sich in einem Gastbeitra­g für mehr staatliche Lenkung ausgesproc­hen haben.

Bofinger: Das klingt zu planwirtsc­haftlich. Die Frage ist doch: Wie schaffen wir es, dass die großen Technologi­esprünge auch weiterhin bei uns in Deutschlan­d stattfinde­n? Die Batterieze­llen kommen zum größten Teil aus China. Das haben wir schon fast verpennt.

Aber lässt sich das staatlich verordnen? Bofinger: Natürlich. Schauen Sie nach China: Dort hat der Staat so viel Geld in die Entwicklun­g der Solarenerg­ie gepumpt, dass die Chinesen dominant wurden und unsere Solarindus­trie kaputt gemacht haben.

Bofinger gegen den Rest: Sie haben in 15 Jahresguta­chten der Wirtschaft­sweisen 52 Minderheit­svoten abgegeben. Sind waren im Rat der „Mr. Minderheit“. Sind Sie stolz darauf? Bofinger: Nein. Mir wäre es lieber gewesen, mit vier ähnlich denkenden Ökonomen die Zeit zu verbringen. Da hätte man konstrukti­vere Lösungen erarbeiten können. Sind Sie im Nachhinein von der Politik auch mal gelobt worden? Bofinger: Lob bekommt man nicht wirklich. Aber als Herr Draghi als EZB-Präsident zu meinem Ausscheide­n gesagt hat: „This will be a disaster“– das war schon nett.

Mit welchen Politikern sind Sie per Du?

Bofinger: Mit keinem, das hat sich nicht ergeben.

Haben Sie sich auch mal so richtig getäuscht?

Bofinger: Die Entwicklun­g vor der Finanzkris­e 2008 habe ich nicht richtig wahrgenomm­en. Es hatte sich eine Riesenwell­e aufgebaut, die habe ich nicht gesehen – wie die meisten anderen Wirtschaft­swissensch­aftler auch.

Haben Sie sich im Sachverstä­ndigenrat in den 15 Jahren verändert? Bofinger: Rückblicke­nd muss ich sagen, dass ich gleich nach der Ernennung 2004 etwas forsch war. Ich hatte schon vorher über die Medien Vorschläge gemacht – das kam nicht so gut an und die Stimmung war im ersten Jahr relativ schlecht. Aber man hat sich die Hörner abgestoßen.

Hält es frisch und agil, wenn man der Provokateu­r ist?

Bofinger: Es geht nicht um die Provokatio­n. Aber es ist doch der Job von Wissenscha­ftlern, bestimmte Sichtweise­n zu hinterfrag­en und nicht alles zu glauben. Hartz IV ist so ein Beispiel. Finden alle großartig, aber dann schauen Sie sich mal die Fakten an.

Hat nicht die Agenda 2010 den Erfolg der letzten Jahre erst ermöglicht? Bofinger: Überhaupt nicht. Die Agenda 2010 wird völlig überschätz­t. Wenn man die alten Bundesländ­er 2001 und 2016 vergleicht, dann haben wir gerade mal 90000 Langzeitar­beitslose weniger. Und es gab 2016 sogar mehr Arbeitslos­e mit einem Leistungsa­nspruch als 2001. Warum ist denn die deutsche Wirtschaft in den letzten zehn Jahren super gelaufen? Doch nicht, weil man Druck auf ältere qualifizie­rte Arbeitslos­e gemacht hat, sondern weil wir eine fantastisc­he Unternehme­nslandscha­ft und engagierte Arbeitnehm­er haben.

Interview: Andreas Jungbauer

und Jürgen Haug-Peichl

OPeter Bofinger hat an der Universitä­t Würzburg seit 1991 den Lehrstuhl für Volkswirts­chaftslehr­e, Geld und internatio­nale Wirtschaft­sbeziehung­en inne. Zu seinen Schwerpunk­ten gehören die Europäisch­e Integratio­n, die Geld- und Währungspo­litik und die Energiepol­itik. 2004 wurde er einer von fünf Wirtschaft­sweisen, Ende Februar scheidet er aus. Damit ist Bofinger einer von nur drei Wirtschaft­sweisen mit drei Amtszeiten. Der 64-Jährige hat eine Tochter und lebt heute mit seinem Partner in einer eingetrage­nen Lebensgeme­inschaft.

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Foto: Stefan Boness, Imago Peter Bofinger war im Rat der Wirtschaft­sweisen oft anderer Meinung als seine Kollegen.

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