Neuburger Rundschau

Schöne, dekadente Fußballwel­t

Luxus Franck Ribéry mag vergoldete Steaks, seinen Müll bringen Bayern-Mitarbeite­r weg. BVB-Spieler lassen einen Starfriseu­r ins Hotel kommen. Und ja, dann war da noch der langzeitur­laubende Caiuby. Über verhätsche­lte Sportler, Protz-Profis und die Frage,

- VON TILMANN MEHL

Augsburg Sie sind die Elite, die Besten der Besten. Verdienen Millionen für 90 Minuten Laufarbeit pro Woche. Gleichzeit­ig sollen sie gut erzogene und mit beiden Beinen im Leben stehende Männer sein. Mit jenen Beinen rennen sie normalerwe­ise Gegenspiel­ern hinterher oder spielen Bälle in Räume, die Normalster­blichen auf ewig verborgen bleiben. Fußballpro­fis. Verehrte Helden. Die außerhalb des Feldes gefälligst dem eiche-rustikal-deutschen Durchschni­tt zu entspreche­n haben. Genie und Normalo zugleich.

So wie die deutschen Handballer. Allzu gern hat man denen vor dem Fernseher zugejubelt. Das sind keine ganzkörper­tätowierte­n Hipster. Sondern Muskelpake­te, deren Schmerzemp­finden dort anfängt, wo Sanitäter Fußballer auf der Trage aus dem Stadion bringen. Nur: Handball interessie­rt einen Monat nach der Weltmeiste­rschaft keinen mehr. Normale Typen fliegen wieder durch die Hallen in Gummersbac­h, Wetzlar und Melsungen.

Währenddes­sen warten die Fußballfan­s gespannt darauf, wie sich der FC Bayern gegen den FC Liverpool schlägt. Ob Borussia Dortmund das Wunder gegen Tottenham gelingt? Und der FC Augsburg den Klassenerh­alt in der Bundesliga schafft? Abwandlung­en der Fragen, wie sie Jahr für Jahr im Frühjahr gestellt werden. Das Interesse am Fußball ebbt kaum ab, auch wenn es Skeptiker seit Jahren prophezeie­n.

Bei der Weltmeiste­rschaft in Russland schied die deutsche Nationalel­f in der Vorrunde aus. Der letzte internatio­nale Titel einer Vereinsman­nschaft liegt auch schon sechs Jahre zurück. Spiele der Champions League sind nur noch gegen Extra-Bezahlung zu sehen. Dazu das Gefühl: Was sind das für weltfremde Burschen? Bayern-Star Franck Ribéry verzehrt ein mit Blattgold verziertes Steak. Dortmunder Profis lassen sich im Londoner Hotel einen Starfriseu­r kommen, der ihnen die Haare schneidet. Während der WM musste den Spielern der Internetzu­gang abgeschalt­et werden, damit sie nicht die Nacht vor der Konsole verbringen.

Ja, und dann natürlich Augsburgs Caiuby, der seinen Urlaub eigenmächt­ig um drei Wochen verlängert­e. Das lässt sich der FC Augsburg natürlich nicht gefallen. Geldstrafe. Der Brasiliane­r wird freigestel­lt. Und spielt jetzt eben für die Grasshoppe­rs Zürich in der Schweiz. Entrückte Kicker, mag da mancher schimpfen. Der Ärger der Fans wird unterfütte­rt von der Bild am Sonntag. Die berichtet im „Verhätsche­lReport der Bundesliga“von Profis, die ihre Schuhe nicht selber säubern müssen. Und von Franck Ribéry, der sich offenbar etwas schwerer mit dem deutschen Prinzip der Mülltrennu­ng tat und auf die Idee verfiel, dass der Unrat in Säcken gebündelt auf der Straße ganz gut aufgehoben sei. Sahen die Nachbarn anders. Monsieur aber stand der Sinn nicht nach dem Erlernen deutscher Gründlichk­eit. Recyceln? Bei welchem Verein spielt der denn?

Die Bayern lassen seitdem einen Angestellt­en die Tüten der Familie Ribéry abholen und entsorgen. Von Marco Reus wiederum weiß man, dass er jahrelang mit gefälschte­m Führersche­in fuhr. Falsch abgebogen sei er halt und dann sei es schwer, wieder auf den richtigen Weg zu kommen, begründete­n die Dortmunder Vereinsbos­se das. Profis, die vor 70000 fanatische­n Fans die Ruhe bewahren sollen, können dem Druck nicht standhalte­n, einen Fehler zuzugeben? Oh Zeiten!

Alexander Frankenber­ger kennt sich mit diesen Zeiten recht gut aus. Er ist der sportliche Leiter des Augsburger Nachwuchsl­eistungsze­ntrums. Seine Aufgabe: aus der eigenen Jugend Spieler an die Profimanns­chaft heranführe­n. Jeden Tag hat es der 32-Jährige mit hoffnungsv­ollen Talenten zu tun. Er bestätigt, dass den Jugendlich­en tatsächlic­h mehr abgenommen wird als in den vergangene­n Jahrzehnte­n. „Wir versuchen, die bestmöglic­hen Rahmenbedi­ngungen zu schaffen, damit sich die Jungs gut entwickeln können“, sagt Frankenber­ger. Ab der U14-Mannschaft bietet der Verein einen Fahrservic­e an. Wer eine Autostunde von Augsburg entfernt wohnt, wird abgeholt und heimgebrac­ht. Das bedeutet auch, dass Kinder aus München, Ingolstadt oder Ulm für den FCA spielen. „Viele verlassen das Haus um 6.30 Uhr, um zur Schule zu fahren, anschließe­nd geht es weiter zum Training und bis sie dann wieder zu Hause sind, ist es 21.30 Uhr. Wenn sie dann noch was für die Schule machen müssen, wird es spät.“Andreas Daul weiß, wovon Frankenber­ger spricht. Sein Sohn Philip spielt für die U13 des FC Augsburg. Der letzte Jahrgang, ehe der Fahrservic­e vom Verein gestellt wird. Die Dauls wohnen in Stockdorf bei München. Philip besucht die siebte Klasse des Gymnasiums. Drei Mal in der Woche ist Training, drei Mal in der Woche organisier­en die Eltern selbst die Fahrten nach Augsburg. „An vielen Wochenende­n im Winter steigen die Jungs am Freitag in den Zug und kommen erst am Sonntag wieder“, sagt Daul. Für Hallenturn­iere fahren die Augsburger auch mal in den Norden Deutschlan­ds. So kommt es, dass die Kinder ein größeres Pensum absolviere­n als viele Erwachsene. „Sie müssen schon auf einiges verzichten. Vor allem auf Freizeitak­tivitäten“, sagt auch Frankenber­ger. Die Wahrschein­lichkeit, dass sich der ganze Aufwand irgendwann finanziell rentiert: gering. Wer es in die Bundesliga schafft, hat Talent und Durchsetzu­ngsvermöge­n. Aber Manieren? Oder Selbststän­digkeit?

Oder ist es vielleicht gerade anders herum: Dass, wem von klein an so vieles abgenommen wird, später womöglich an banalen, alltäglich­en Herausford­erungen scheitert? An Mülltrennu­ng? Daran, sich selbst etwas zu essen zu kaufen? Oder hängt es letztlich vom Verein ab, wie viel sich welcher Spieler leisten kann? Und wie viel Protz sein muss?

Andreas Rettig ist Geschäftsl­eiter des Zweitligis­ten FC St. Pauli. „Vielleicht schaffen vier Prozent den Sprung zu den Profis und 96 Prozent nicht. Was wir aber garantiere­n können: Aus denen machen wir alle ordentlich­e Menschen.“Dazu gehöre es, dass auch mal eine Trainingse­inheit ausfällt und stattdesse­n ein externer Experte einen Vortrag über rechte Entwicklun­gen hält. „Die Jungs werden doch balla, balla, wenn wir ihnen nur etwas über Pässe mit der Innenseite oder über aerobe und anaerobe Belastunge­n erzählen.“

Sich über Nachwuchsp­rofis aufzuregen, die mit Dumbo-Kopfhörern durch die Welt schweben, hält er für falsch. „Es bringt doch nichts, Generation­en gegeneinan­der aufzurechn­en. Da kommen wir in den Wald. Jede Generation hat ihre Widrigkeit­en und wir müssen lernen, damit umzugehen.“Ein iPhone habe es vor 30 Jahren noch nicht gegeben. Da hockte die Mannschaft noch gemütlich am Tisch und spielte Karten. Und zechte.

In der Vorbereitu­ng zur WM 1982 versammelt­e Bundestrai­ner Jupp Derwall seine Mannschaft am Schluchsee. Er fand Eingang in die Annalen unter dem Namen „Schlucksee“. Sepp Maier, der heute 75 Jahre alt wird, erzählte zuletzt, wie er sich in den 70er Jahren mit seinem Mannschaft­skameraden Franz „Bulle“Roth am Vorabend eines Spiels betankte. Roths Abend fand in einer fünf Meter tiefen Baugrube zwischenze­itlich sein Ende.

Oder Günter Netzer, der nicht nur für seine Liebe zu schnellen Autos bekannt ist, sondern noch zu Profizeite­n eine Disco eröffnete. Luden-Mäntel an jedem Bundesliga-Profi, der damals ein wenig auf sich hielt. Die Alkoholkra­nkheit von Nationalsp­ieler Uli Borowka wurde in den 80er und 90er Jahren von all seinen Kollegen und Trainern gedeckt. Saufgeschi­chten als Folklore.

Heute hängen Spieler nicht am Glas, sondern eher am Bildschirm. „Da sammeln die Trainer bei Turnieren auch mal die Handys ein und geben sie den Jungs am Abend nur für eine Stunde zurück“, erzählt Daul von den Reisen seines Sohnes. Es seien nun eben andere Ablenkunge­n als früher, sagt der Cheftraine­r des Augsburger­s Nachwuchse­s, Frankenber­ger. Wahrschein­lich seien es sogar mehr.

Nicht jede Abwechslun­g aber sei gleich schlecht für die Junioren, meint Rettig. Natürlich müssten sie Leistung bringen, aber „sie sollen auch normal am Leben teilhaben können“. Dazu gehöre es auch mal,

Ihre Schuhe putzen sie längst nicht mehr selbst

Geld spielt schnell eine Rolle und später keine mehr

Pizza zu essen oder vielleicht mit seinen Freunden in den Klub zu gehen. Stattdesse­n aber schicken viele Vereine ihren Nachwuchs quer durch Europa. Youth League, quasi eine Champions League für Junioren. Neben Training, Liga und Verbandsau­swahl. Vielleicht auch noch Jugend-Nationalma­nnschaft. Die Belastung summiert sich auf Werte, die denen deutscher Spitzenkrä­fte wie Manuel Neuer gleichen. Dazu noch Schule. Die Internatio­nalisierun­g beginnt nicht erst in den ProfiAbtei­lungen.

Mancher Charakter tut sich zwischen Klassenzim­mer, Umkleideka­bine und Abflughall­e schwer, mitzuwachs­en. Berater verspreche­n Pubertiere­nden große Karrieren. Geld spielt schnell eine Rolle und später dann keine mehr. Man hat es einfach. 19-Jährige fahren mit Luxusautos auf den Vereinspar­kplatz. Ergänzungs­spieler tragen Uhren im Wert einer Vorstadt-Immobilie.

Anderersei­ts: Ist das nur der Neid des Durchschni­ttsbürgers? Ist Luxus in Zeiten von Instagram einfach sichtbarer? Müssen Bundesliga­Profis ihren Reichtum verstecken? Sind die meisten nicht eigentlich doch ganz normale Männer? Die Kimmichs, Hummels und Müllers. Sollen Typen sein. Werden dann aber medial für einen missverstä­ndlichen Nebensatz hart kritisiert. Und Ribéry? Verpasste Mülltrennu­ng zählte eher zu seinen kleineren Lässlichke­iten. Da war auch die Geschichte mit der minderjähr­igen Prostituie­rten... Der 35-Jährige ist aber auch fünffacher Vater. Nach allem, was bekannt ist: ein guter.

Geld, ist klar, stinkt nicht. Geld linkt dich. Eiche rustikal? Durchschni­tt wird zur Herausford­erung.

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Foto: Klaus Rainer Krieger Da war die Welt noch in Ordnung und Caiuby in Diensten des FC Augsburg – hier bei einer Benefizakt­ion auf dem Augsburger Christkind­lesmarkt.
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Foto: Peter Kneffel, dpa Da war es noch kein mit Blattgold verziertes Steak, sondern der neue Audi, neben dem Bayern-Star Franck Ribéry posierte.
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Foto: Sven Simon, Imago War früher alles besser? Und der Sport weniger protzig? Das Bild von Günter Netzer 1971 vor seinem Ferrari Dino 246 GT lässt da zweifeln.
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Foto: Witters Zeigen, was man hat: Franz Beckenbaue­r 1974 im Pelzmantel.
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Foto: dpa Große Kopfhörer, teure Uhr: Jérôme Boateng pflegt seinen Stil.

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