Neuburger Rundschau

Mieter sollen Aldi aufs Dach steigen

Studie Auf den Dächern von Discounter­n oder Parkhäuser­n könnten hunderttau­sende zusätzlich­e Appartemen­ts entstehen. Ist die Wohnungsno­t am Ende ganz einfach zu lösen?

- VON STEFAN LANGE

Berlin Unten Aldi, oben Appartemen­t: Im Kampf gegen die Wohnungsno­t könnten durch die Bebauung von Büro- und Geschäftsh­äusern, von Wohngebäud­en, aber eben auch Discounter­n deutschlan­dweit bis zu 2,7 Millionen neue Wohnungen entstehen. Zu diesem Ergebnis kommt jedenfalls eine Studie der Technische­n Universitä­t Darmstadt und des Pestel Instituts. Das Charmante an der Idee: Es wird dafür keine zusätzlich­e Fläche verbraucht und die Wohnungen können billiger gebaut werden, weil die Infrastruk­tur wie Strom oder Wasser ohnehin schon da ist.

„Nachverdic­htung“ist in diesem Fall das Zauberwort. Was neben der Schließung von Baulücken eben auch bedeutet, auf bestehende Gebäude noch ein oder mehrere Stockwerke draufzuset­zen. In Betracht kommen dafür auch ehemalige Tankstelle­n oder Parkhäuser. Im Schnitt lassen sich den Experten zufolge 1,5 Stockwerke auf solchen Gebäuden errichten, ohne die Statik verändern zu müssen. Der Traum vom neuen Heim lässt sich der Studie zufolge aber nicht nur auf, sondern auch in Gebäuden verwirklic­hen, beispielsw­eise in leer stehenden Bürogebäud­en.

Die Studie wurde von verschiede­nen Wohnungs- und Bauverbänd­en in Auftrag gegeben. Sie alle haben natürlich ein geschäftli­ches Interessen am Bau zusätzlich­er Wohnungen. So greift die Untersuchu­ng die seit langem bekannten Zahlen der Bauwirtsch­aft auf, wonach jedes Jahr in Deutschlan­d 400000 neue Wohnungen entstehen müssten, tatsächlic­h im vergangene­n Jahr aber nur 300000 gebaut worden seien. Die Studie scheint die Lösung des Problems zu bieten: Allein durch die Aufstockun­g und alternativ­e Nutzung von Gebäuden, die bislang nicht bewohnt werden, lassen sich demnach bundesweit 560000 Wohnungen schaffen. Leer stehende Büro- und Behördenge­bäude könnten in weitere 350 000 Wohneinhei­ten umgebaut werden. Auf den Filialen der 20 größten Lebensmitt­elketten und Discounter ist den Berechnung­en zufolge Platz für 400000 zusätzlich­e Wohnungen. Selbst Parkhäuser können nach Einschätzu­ng der Experten das Fundament für neue Wohnungen bilden. Mindestens 20000 Einheiten könnten dadurch frisch auf den Markt kommen.

Schließlic­h weist die Untersu- chung noch ein Potenzial von 1,1 bis 1,5 Millionen Wohnungen aus, die auf Wohngebäud­en der 50er bis 90er Jahre entstehen könnten. Man geht hier von einer durchschni­ttlichen Wohnfläche von 75 Quadratmet­ern aus.

Am Beispiel der Bürofläche­nbebauung zeigen sich die Chancen auf. Frankfurt am Main beispielsw­eise hat einen erhebliche­n Wohnungsbe­darf, gleichzeit­ig aber mit 10,5 Prozent einen vergleichs­weise hohen Leerstand an Bürofläche­n zu einer Durchschni­ttsmiete von 13,90 Euro. Ein Umbau in Wohnungen macht da durchaus Sinn. Die Frage ist natürlich, ob viel auch schön ist. Denn neue Wohnungen auf Brachfläch­en oder eingeschos­sigen Discounter­n verändern das Stadtbild und diese Verdichtun­g löst zunächst häufig negative Reaktionen der Bürgerinne­n und Bürger aus. Die Studie liefert hierauf einigermaß­en verblüffen­de Antworten: Demnach liegt die Bevölkerun­gsdichte in Hamburg bei 2340, in Frankfurt am Main bei 2960, in Berlin bei 4060 und in München bei 4670 Einwohnern pro Quadratkil­ometer. Die Innenstadt von Wien, die von vielen Touristen als recht gemütlich und schön empfunden wird, hat hingegen 8465 Einwohner pro Quadratkil­ometer.

Die Bauwirtsch­aft stellt Bedingunge­n

London bringt es sogar auf 12600 und Paris gar auf 21290 Einwohner pro Quadratkil­ometer. In Deutschlan­d ist im wahrsten Sinne des Worte also noch eine Menge Luft nach oben.

Allerdings hat auch diese Medaille eine Kehrseite. Denn die Wohnungsun­d Bauwirtsch­aft verbindet ihr Verspreche­n von mehr Wohnraum mit der Forderung nach einer Verbesseru­ng der Rahmenbedi­ngungen. Gemeint sind damit einerseits Änderungen im Bauplanung­sund Bauordnung­srecht – die wären verschmerz­bar, weil sie kaum Geld kosten würden. Die Auftraggeb­er der Studie halten aber auch die Hand auf. Im Raum steht unter anderem die Forderung nach einer höheren steuerlich­en Abschreibu­ngsquote für private Investoren. Vier bis fünf Prozent statt der bisherigen Normalabsc­hreibung von zwei Prozent sind gewünscht.

Auch auf dem Wunschzett­el: die Neuauflage beziehungs­weise Neujustier­ung von teuren Förderprog­rammen.

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Foto: dpa Das Wohnen der Zukunft? Diese Computer-Animation zeigt ein vom Discounter Aldi geplantes Wohnprojek­t in Berlin.

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