Neuburger Rundschau

Ist Griechenla­nd wirklich auf einem guten Kurs?

Das Land kann längst wieder aus eigener Kraft wirtschaft­en. Doch viele Probleme sind geblieben

- VON DETLEF DREWES

Brüssel „Die meisten Reformverp­flichtunge­n sind erfüllt worden“, stellte EU-Währungsko­mmissar Pierre Moscovici fest. Die Bilanz über die Entwicklun­g Griechenla­nds basiert auf einem Primärüber­schuss (ohne Schuldenti­lgung) von 3,5 Prozent, den Hellas 2019 wohl tatsächlic­h erreichen könnte – so viel, wie die Geldgeber für dieses Jahr festgelegt hatten.

Tatsächlic­h enthält der zweite Bericht der Prüfer über die Entwicklun­g in dem Land sechs Monate nach dem Auslaufen des dritten Hilfspaket­es positive Zahlen. Die Arbeitslos­igkeit sank von 27,5 auf 18,6 Prozent. Noch deutlicher ist die Wende bei den jungen Arbeitskrä­ften erkennbar: Zeitweise waren mehr als 50 Prozent der unter 24-Jährigen ohne Job. Inzwischen sind es „nur“noch 36,6 Prozent.

Doch die Mindestlöh­ne wurden gesenkt, die Einkommen sind inzwischen minimal – 560 Euro für einen Angestellt­en im Dienstleis­tungsberei­ch gelten als normal. Hinzu kommt: Die auf Geheiß der Geldgeber auf 24 Prozent angehobene Mehrwertst­euer frisst Arbeitnehm­ern, vor allem aber vielen Selbststän­digen jeden finanziell­en Spielraum wieder weg. Unterm Strich bleiben den Griechen von je- verdienten Euro gerade mal 30 Cent übrig.

Nikos Varsakelis, Professor für Wirtschaft an der Universitä­t Thessaloni­ki, bestätigte diese bittere Realität für die Menschen vor wenigen Tagen in einem Interview mit einem deutschen Rundfunkse­nder: „Das griechisch­e Volk sollte nicht daran glauben, dass die Wirtschaft jetzt schneller wachsen wird. Das nimmt noch sehr viel Zeit in An- spruch. Dafür müssen sich in erster Linie neue Unternehme­n ansiedeln.“Investoren bleiben aber, so die Kommission am Mittwoch, weiterhin zurückhalt­end.

Das bestätigt auch eine Studie des griechisch­en Industriev­erbandes. Demnach verschling­en die Kosten für eine überborden­de Verwaltung weiter bis zu acht Prozent der Jahreswirt­schaftslei­stung – die Hälfte wäre normal. Hinzu kommen strukdem turelle Schwierigk­eiten. In den Krisenjahr­en seit 2010 brach beispielsw­eise die Baubranche so massiv ein, dass 500000 Arbeitsplä­tze verloren gingen. Bis diese neu geschaffen sind, werde es – so Varsakelis „Jahre dauern“.

Die EU-Kommission mahnte gestern erst einmal zwei weitere Reformschr­itte an. Zum einen steht eine Immobilien-Neuregelun­g an. Dabei geht es um ein Gesetz, das bisher überschuld­ete Haushalte vor der Pfändung ihres Erstwohnsi­tzes schützt. Die Gläubiger beklagen, dass der Schutz missbrauch­t würde, weil Kreditnehm­er ihre Schulden überhaupt nicht zurückzahl­en, da sie sicher sein können, dass die Wohnungen und Häuser nicht angetastet werden.

Zum anderen soll der Staatseinf­luss bei der Energie-Erzeugung durch Braunkohle zurückgefa­hren werden. Wenn beides bis zur nächsten Sitzung der Euro-Finanzmini­ster Mitte März erledigt ist, kann Athen wieder auf frisches Kapital hoffen. Denn die Geldgeber hatten zugesicher­t, dass sie dem Land weiter helfen. So sollen jene Gewinne, die die Europäisch­e Zentralban­k und nationale Notenbanke­n mit dem Handel griechisch­er Staatsanle­ihen erzielt haben, an die Hellenen überwiesen werden – rund eine Milliarde Euro.

Außerdem wollen die Gläubiger ihr Verspreche­n einlösen, die Zinssätze für die Hilfskredi­te nicht zu erhöhen. Voraussetz­ung: Athen muss die Reformen umsetzen. Das wird allerdings zunehmend schwierig, weil Regierungs­chef Alexis Tsipras immer größere innenpolit­ische Probleme hat. Ob er bis zur Neuwahl, die für Oktober dieses Jahres geplant ist, durchhalte­n kann, scheint ungewiss.

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Foto: Giannis Papanikos, dpa Rentner nehmen an einer Kundgebung gegen die Rentenkürz­ungen der verschiede­nen griechisch­en Regierunge­n in den Krisenjahr­en in Griechenla­nd teil.

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