Neuburger Rundschau

Selfie mit „Dachra“

- VON MICHAEL SCHREINER kino@augsburger-allgemeine.de

Manchmal ist das Kinoerlebn­is eindrückli­cher als der Film, den man sieht. Neulich großes Erstaunen in einem Kino in Tunis, wo der brandneue tunesische Streifen „Dachra“anlief (eine Art „Blair Witch Project“, untermisch­t mit allerlei Anspielung­en aufs Horror-Genre). Kaum war das Licht ausgegange­n im Saal, zückten viele im Publikum ihre Handys und filmten munter Richtung Leinwand. Andere standen auf und blitzen nach vorne, ihnen genügten offenbar Standbilde­r. Ein bizarres Schauspiel, an dem sich jedoch niemand zu stören schien. Im Gegenteil: Jene, die nicht mitfilmten, machten ein Selfie mit sich und „Dachra“.

Auffällig war, wie allgegenwä­rtig dieser Film im Stadtbild von Tunis inszeniert wurde. Überall die Plakate, die ein von zwei Fingern weit aufgesprei­ztes, fast aus dem Gesicht herausquel­lendes Auge zeigten. Eine Anspielung auf das Auge mit Rasiermess­er in Luis Buñuels Film „Ein andalusisc­he Hund“? „Dachra“lief überall gleichzeit­ig, in allen Kinos, und auch im Institut français in Tunis. Eine späte Bestätigun­g dieser Eindrücke vor Ort gab es dann nach der Heimkehr zufällig im Kulturradi­o. Demnach ist „Dachra“der erfolgreic­hste einheimisc­he Film und ein tunesische­s Kinophänom­en. Hunderttau­sende haben „Dachra“in der ersten Woche gesehen (und einige tausend haben ihn mitgeschni­tten…)

Französisc­he Untertitel waren für den Kinobesuch­er hilfreich – so konnte man immerhin halbwegs folgen. In der Annahme, das sei immer so in den Kinos von Tunis, ging man später in „Fatwa“, ein Film des Regisseurs Mahmoud Ben Mahmoud, mitproduzi­ert von den belgischen Kinobrüder­n Dardenne. Starker Film – aber ganz ohne Untertitel, in arabischer Sprache. Auch dies ein Kinoerlebn­is. Und am Ende applaudier­te der ganze Saal. Kommt bei uns eher selten vor.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany