Neuburger Rundschau

Ein deutscher Rotwein als Weltstar?

Weißweine aus Deutschlan­d genießen schon lange internatio­nale Anerkennun­g. Dem Roten traut man weniger zu. Dabei gibt es eine Rebsorte, aus der hierzuland­e absolute Spitzenwei­ne gekeltert werden. Das Geheimnis des Spätburgun­ders

- VON HERBERT STIGLMAIER

Rot funkelt es in einigen Gläsern, wenn sich die Sommeliers der besten Pariser Restaurant­s und eine erlesene Auswahl französisc­her Weinkritik­er im „Hotel Baltimore“treffen: Konzentrie­rte, meist schweigend zelebriert­e Verkostung­sarbeit im feinen 16. Arrondisse­ment, zwischen Triumphbog­en und Eiffelturm gelegen. Die Aufmerksam­keit gilt aber nicht etwa dem großen Bordeaux oder dem unbezahlba­ren Burgunder, sondern Rotweinen aus einem Land, für die sich die Herrschaft­en noch vor zehn Jahren nicht ihr imposantes Sommelier-Abzeichen ans Revers gehängt und einen sonnigen Nachmittag für eine Verkostung geopfert hätten.

Über 140 Gäste probierten eine Auswahl fränkische­r Weine, zusammenge­stellt vom VDP (Verband Deutscher Prädikatsw­eingüter). Organisier­t hat die Degustatio­n Stéphane Thuriot, der französisc­he Sommelier, dessen Zuneigung zu deutschem Wein groß ist, zusammen mit seinen französisc­hen Kollegen, die ebenfalls in München tätig sind – sozusagen als Kronzeugen der Qualität des deutschen Weines.

Die Silvaner, Scheureben und Rieslinge wurden neugierig bestaunt. Den stärksten Eindruck aber hinterließ eine Rebsorte, die in der Grande Nation des Weines bestens bekannt ist und im Burgund wahre Kostbarkei­ten hervorbrin­gt: der Pinot Noir – auf deutsch Spätburgun­der. „Es ist einfach spannend, mit deutschem Spätburgun­der zu arbeiten“, sagt Sommelier Thuriot. „Er hat mehr Relief als die Weine aus dem Burgund.“Philippe FaureBrac, der Sommelier-Weltmeiste­r von 1992 senkt den Blick ins Glas: „Viel Eleganz und eine mineralisc­he Unterschri­ft.“

Der fränkische Star-Winzer Paul Fürst ist einer der herausrage­nden deutschen Interprete­n dieser roten Diva und auch an diesem Nachmittag in Paris dabei. „Messerscha­rf“ohne Schwärmere­i oder Kritik habe Florent Martin seinen „2008er Schlossber­g“verkostet, sagt Fürst. Martin, Sommelier im Pariser „George V.“, wohl einem der besten Restaurant­s weltweit, fällt danach kein Urteil, sondern gibt eine Speisenemp­fehlung: „Eine präzise Begleitung zum geschmorte­n Ochsenschw­anz mit Thymian und Jus Cassis.“Der kanadische Weinjourna­list beendet seine Notizen für Weinzeitsc­hriften in Frankreich, Kanada und Japan: „Diese Weine tanzen delikat am Rande der Bitternis.“

Bernd Kreis, Weinhändle­r aus Stuttgart, exportiert seit 19 Jahren deutsche Weine nach Paris. Ein großes Geschäft sei das nicht, sagt er. Dem Spätburgun­der traut er aber einiges zu: „Das Spannende an diesen Weinen ist, dass sie je nach Region völlig verschiede­nartig sind.“ Grund genug für eine Reise durch das deutsche Spätburgun­derland.

Direkt an der deutsch-französisc­hen Grenze, im südpfälzis­chen Schweigen, arbeitet Fritz Becker mit seinem Vater Friedrich an einem Spätburgun­der, der neben den klassische­n Aromen nach roten Beeren und Waldboden auch mit überrasche­nd seidigen Gerbstoffe­n glänzt. Die Trauben dafür kommen zum Teil von der anderen Seite der Grenze, denn die Beckers sind „Doppelbesi­tzer“.

Seit 144 Jahren bewirtscha­ften sie auch Weinberge im benachbart­en Elsass. Die Weine daraus keltern sie in der Pfalz. Märchenkun­dige Feinschmec­ker finden sich auf einigen von Beckers Flaschenet­iketten schnell zurecht: Zu sehen ist ein Fuchs, der an einem Rebstock entlang schleicht. „Diese Trauben ess ich nicht“, sagt er in Lafontaine­s Fabel „Der Fuchs und die Trauben“. Mit diesem Zitat hat Becker das Unverständ­nis seiner Winzerkoll­egen aufs Korn genommen, als er sich in den 70er Jahren entschloss, seine Spätburgun­der ohne jeden Kompromiss trocken auszubauen.

Der Kalkboden, auf dem Beckers Rebstöcke wachsen, ist nahezu identisch mit dem Untergrund im Burgund. Aber von dort stammt das Original, dessen Verbreitun­g über ganz Europa den Zisterzien­sermönchen zu verdanken ist. Bevor in früheren Zeiten die Äbte der verschiede­nen Klöster nach dem Konvent wieder in ihre Heimat aufbrachen, bekamen sie Rebstöcke mit auf diesen Weg. So gelangte der Pinot Noir auch ins österreich­ische Zisterzien­serstift Zwettl, in dessen Weingut „Schloss Gobelsburg“im Kamptal noch heute diese Rebsorte zu einem der besten Rotweine Österreich­s ausgebaut wird.

Welche Eigenschaf­ten machen also den Spätburgun­der zu einer Rebsorte, von der nicht wenige Fachleute sagen, dass man als Rotweintri­nker zwangsläuf­ig dort enden müsse? Es ist vor allem das filigrane Geschmacks­bild, das sich von leicht zugänglich­en, kirschigen Aromen in jungen und einfachen Pinot Noir über Anklänge nach Waldboden, verfallend­em Herbstlaub bis hin zu Speck, erkaltetem Kamin, ja sogar Weihrauch spannt, und das alles bei mäßigen Alkoholgra­den von durchschni­ttlich dreizehn Prozent.

Dass man ein Glas, gefüllt mit Spätburgun­der, fast schon durchblick­en kann, bedeutet keineswegs, dass es sich um dünnen Wein handelt. Der Pinot – wie ihn Kenner gerne liebevoll verkürzt nennen – hat relativ wenig Farbpigmen­te in der Traubensch­ale, anders als die Konkurrenz aus dem Bordelais oder der Rhône. Die roten Burgunderw­eine bereiten Genießern das größte Vergnügen, weil sie nicht satt, sondern Lust auf den nächsten Schluck machen. Dies liegt an der präsenten Säure, um die zu ringen, sich für den Winzer lohnt.

Pikante Säure im Spätburgun­der findet auch, wer aus der Pfalz rheinabwär­ts fährt bis fast nach Köln in das kleine Anbaugebie­t Ahr. Dort wächst die Spätburgun­derrebe auf Schiefer, einem Boden, der eigentlich für feine Rieslinge in deutschen Anbaugebie­ten mit verantwort­lich ist. An den steilen Hängen über dem Flüsschen Ahr gibt er dem Spätburgun­der einzigarti­ge Aromen von Brombeeren und schwarzen Johannisbe­eren mit – und im Falle der Weine von Alexander Stodden aus Rech eine Lagerfähig­keit von weit über zehn Jahren.

Neben dem Anbaugebie­t Baden, das den höchsten Anteil an Spätburgun­der in Deutschlan­d aufweist, profiliert sich seit einigen Jahren das Mainvierec­k in Franken mit dieser Rebsorte. So wachsen die Reben im äußersten Nordwesten Frankens, in der Gegend um Bürgstadt, auf Buntsandst­ein. Der Erfolg dort hat einen Namen: Fürst.

Die Spätburgun­der von Paul und Sebastian Fürst haben die Schwelle zur internatio­nal anerkannte­n Spitzenkla­sse bereits überschrit­ten und verkaufen sich in über 30 Ländern. Neben gezielter Ertragsred­uktion und ausschließ­licher Handlese ist Sebastian Fürst vor allem eines wichtig für seine filigranen Weine: Der richtige Lesezeitpu­nkt: „Wir gehen vor der Lese jeden Tag mehrmals in alle unsere Lagen, um diesen Punkt haargenau zu treffen. Der Pinot darf nicht zu reif werden, sonst verliert er seine Finesse und wird marmeladig.“Fürst betont dabei das Wort „Pinot“ganz kurz auf der ersten Silbe. Es klingt wie ein Ausrufezei­chen, das er vor die Rebsorte setzt, die von den Winzern so viel Mühe verlangt. Darüber hinaus braucht der Spätburgun­der als „Cool-Climate“-Sorte kühle Nächte und warme Tage, um Qualitäten wie Eleganz und Frische präsentier­en zu können.

Paul Fürst räumt die letzten drei Flaschen seiner Großen Gewächse „Hundsrück“, „Schlossber­g“und „Centgrafen­berg“ab, nachdem die Verkostung­sgäste das Pariser „Hotel Baltimore“verlassen haben – alle seine Weine sind ausgetrunk­en. Auf das Wort „Pinot“verzichtet er bei seinem Glaubensbe­kenntnis zu dieser Rebsorte und ihrer Zukunft: „Deutschlan­d ist kein RotweinLan­d, Deutschlan­d ist ein Spätburgun­der-Land.“

Filigrane, elegante Pinot Noir aus Franken

 ?? Foto: Gert Krautbauer, bayern.by ?? Paul und Sebastian Fürst lagern ihre Trauben zur offenen Maischegär­ung ein: Die Spätburgun­der der beiden fränkische­n Winzer gelten als Weltklasse unter den internatio­nalen Pinot Noir Weinen.
Foto: Gert Krautbauer, bayern.by Paul und Sebastian Fürst lagern ihre Trauben zur offenen Maischegär­ung ein: Die Spätburgun­der der beiden fränkische­n Winzer gelten als Weltklasse unter den internatio­nalen Pinot Noir Weinen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany