Neuburger Rundschau

Tödliche Muskelschw­äche

Die Amyotrophe Lateralskl­erose nimmt eigentlich immer einen tragischen Verlauf. Wie ein Professor aus Schwabmünc­hen mit der Diagnose ALS umgeht. Und warum seine Tochter einen Verein gegründet hat

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Schwabmünc­hen Thomas Königs erinnert sich noch gut: „Die Sache begann 2013 mit einem Muskelzuck­en in meinem rechten Unterarm. Schmerzen hatte ich zwar nicht. Aber ich war natürlich irritiert. Denn das ging stundenlan­g so“, sagt der heute 62-Jährige. Heute kann der Professor für Gitarre seinen Beruf, den er so sehr geliebt hat, nicht mehr ausüben. Wenn er einem die Hand gibt, dann fällt sofort auf, wie unglaublic­h schwach der Händedruck ist. „Ich bin froh, ich kann noch ein kleines Glas Bier heben. Aber es fühlt sich an wie ein ganzer Kasten Bier, so schwer ist das Glas für mich.“Der gebürtige Nürnberger, der seit 2017 – wieder – in Schwabmünc­hen wohnt, leidet an Amyotrophe­r Lateralskl­erose

(ALS, siehe Infokasten). Eine Krankheit, die ihn immer schwächer werden lässt. Die zum Tod führen wird, wie Thomas Königs weiß. Aber wenn man mit ihm redet, wirkt er ausgesproc­hen fröhlich. Denn er ist dankbar – für so vieles. Wenn er auf sein Leben zurückblic­kt.

Das hat auch damit zu tun, dass Thomas Königs seine Leidenscha­ft, das klassische Gitarrensp­iel, zu seinem Beruf machen konnte. „Ich habe das Ganze nie als Arbeit empfunden.“Er studierte in Nürnberg und Frankfurt und hatte schon mit 23 Jahren am Leopold-MozartKons­ervatorium der Stadt Augsburg einen Lehrauftra­g. „Ich hatte damals Studenten, die waren älter als ich.“Früh dran war Thomas Königs auf seine Weise auch beim Thema Beziehung. Mit seiner Frau Rita – sie sind gleichaltr­ig – ist er zusammen, seitdem er 15 ist. Und die beiden sind bis heute ein Paar. Jahrelang wohnten sie – dazu kam später noch Tochter Nina – in Schwabmünc­hen, bis die Eltern 2008 nach Nürnberg zogen, weil sich in der Zwischenze­it der Arbeitspla­tz von Thomas Königs von Augsburg in die Frankenmet­ropole verlagert hatte. Als 2013 die schon beschriebe­nen ersten Symptome auftauchte­n, der Professor war damals 56, dachte sich das Ehepaar zunächst nicht viel. Aber Thomas Königs wurde immer leichter. Ein, zwei Jahre später entdeckte seine Frau Löcher im Bereich der Schulter“. Die Muskeln waren verschwund­en. Der Musiker hatte davon nichts mitbekomme­n. „Ich habe den Kraftverlu­st unwohl bewusst ausgeglich­en.“

Rita Königs aber hatte dann den Verdacht, dass ihr Mann an ALS erkrankt war. Es gibt nicht viele medizinisc­he Zentren für ALS in Deutschlan­d – aber eines befindet sich in Ulm. Dort wurde Thomas Königs drei Tage lang untersucht. „Erst hieß es: Ich bin gesund. Dann hieß es auf einmal, ich habe doch ALS“, erinnert er sich. Man sagte ihm damals, er habe maximal drei bis vier Jahre zu leben. Königs lebt jetzt dreieinhal­b Jahre mit der Erkrankung. „Und ich kann sogar noch laufen“, sagt er lächelnd und ist darüber sehr froh. Es könnte ja schon längst im Rollstuhl sitzen. Allerdings braucht er nach etwa 100 Metern des Laufens schon eine Bank, um sich auszuruhen.

Als die Diagnose im Jahr 2015 aufkam, dachte sich Rita Königs: „Es zieht mir den Boden unter den Füßen weg.“Ihr Mann dachte: „Da kannst du nichts machen, genieße dein Leben, so lange es noch geht.“2017 zog das Ehepaar wieder nach Schwabmünc­hen. Nun wohnt es zu„regelrecht­e sammen mit Tochter Nina, 35, dem Schwiegers­ohn und den beiden Enkeln in einer Art Generation­enhaus. Es ist baulich schon auf die ALSProblem­atik eingericht­et, der 62-Jährige ist inzwischen, seit 2018, im Ruhestand. Er weiß, dass es mit seiner Erkrankung immer schwierige­r werden, dass er sich irgendwann gar nicht mehr selbst bewegen können wird. Auch das Lungenvolu­men wird kleiner, irgendwann könnte dann künstliche Beatmung oder künstliche Ernährung Thema werden. Etwas, das der Musiker in einer Patientenv­erfügung ausschließ­en könnte. Aber eine solche hat er noch nicht gemacht. Er will noch abwarten und sich die Sache in Ruhe überlegen. „Viele lehnen künstliche Beatmung und Ernährung zunächst ab – und wollen sie hinterher dann doch“, berichtet Ehefrau Rita, die sich natürlich ebenfalls intensiv mit der Krankheit ihres Mannes auseinande­rgesetzt hat. Irgendwann liegt dann ein sogenannte­s „Locked-InSyndrom“vor. Dann kann der Patient willentlic­h nur noch die Augen bewegen. Heute gibt es technische Mittel, mit denen man auch auf diese Weise mit der Umwelt kommunizie­ren oder beispielsw­eise einen Rollstuhl steuern kann. Der verstorben­e britische Astrophysi­ker und ALS-Patient Stephan Hawking ist ein bekanntes Beispiel dafür.

Thomas Königs hat jüngst in der Evangelisc­hen Akademie in Tutzing einen Vortrag über seine Krankheit gehalten. Dort sagte er: „Sie müssen mich nicht bedauern, sie müssen mich beneiden.“Und spielt damit auf seine Frau, seine Familie an, die ihn liebevoll auffängt und stützt. In einer besonderen Art und Weise, die man auch als Außenstehe­nder spürt, wenn man zu Besuch in das Haus der Königs kommt. Was Thomas Königs allerdings traurig stimmt: „Ich kann meine Frau leider nicht mehr umarmen.“Seine Kraft reicht nicht mehr aus, um die Arme ausreichen­d anzuheben.

Tochter Nina Königs hat unterdesse­n den Verein „niemALS aufgeben“gegründet, der unter anderem zum Ziel hat, Geld zur Erforschun­g der ALS aufzubring­en. „Das ist das Unfassbare: Es gibt keine Medikament­e, keine Therapie, keine Aussicht auf Heilung – absolut nichts“, sagt Nina Königs. Es gibt letztlich zu wenig Patienten, die Entwicklun­g von Medikament­en lohnt sich nicht. Der Verein, der inzwischen etwa 40 Mitglieder hat, will auch ein Forum für ALS-Patienten sein, mit dem sich Kontakte anbahnen können.

Aber trotz der Erkrankung spielt Musik immer noch eine große Rolle im Leben von Thomas Königs. Er hört viele klassische Stücke, hat viele Lieder, die eigentlich für andere Instrument­e geschriebe­n wurden, für Gitarre transkribi­ert. Diese Transkript­ionen vertreibt er in einem Onlineshop in alle Welt. Viele seiner Kunden sind frühere Studenten, die teils in Korea, Russland, Amerika oder Australien sitzen. Damit kann man kein großes Geld verdienen, aber es ist ein Hobby, das Thomas Königs gefällt. Zumal er momentan jedenfalls noch den Computer im Arbeitszim­mer bedienen kann, um die PDFs zu verschicke­n. Seine ganz große Liebe neben der klassische­n Musik ist die Folkmusik, durch die er schon als Jugendlich­er zu dem Instrument Gitarre kam. Er freut sich sehr, dass eines seiner Idole – Bob Dylan – bald ausgerechn­et nach Augsburg kommt. Aber zum Konzert hingehen, das kann er leider nicht.

 ??  ?? Der berühmtest­e zeitgenöss­ische Astrophysi­ker und ALS-Patient der Welt: Professor Stephen Hawking mit seiner Frau Elaine (die Aufnahme entstand 2005 bei einem Besuch der Frankfurte­r Buchmesse). Hawking starb 2018. Foto: Boris Roessler, dpa
Der berühmtest­e zeitgenöss­ische Astrophysi­ker und ALS-Patient der Welt: Professor Stephen Hawking mit seiner Frau Elaine (die Aufnahme entstand 2005 bei einem Besuch der Frankfurte­r Buchmesse). Hawking starb 2018. Foto: Boris Roessler, dpa
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Der Umgang mit dem Laptop geht noch: Professor Thomas Königs daheim im Arbeitszim­mer. Foto: Markus Bär

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