Neuburger Rundschau

Orbáns Hass auf die „nützlichen Idioten“

Ständig schießt Ungarns Ministerpr­äsident Viktor Orbán gegen die EU. Nun will die Europäisch­e Volksparte­i über den Rausschmis­s von Orbáns Partei Fidesz abstimmen lassen. Das Ergebnis dürfte dem Regierungs­chef egal sein. Er hat längst neue „Freunde“gefunde

- VON MARTIN FEJER

In der Josefstadt von Budapest gibt es eine Kreuzung, auf der man gleich ringsum von denselben älteren Herren angegrinst wird: EU-Kommission­spräsident JeanClaude Juncker und George Soros. Der liberale US-Milliardär ungarische­r Herkunft ist seit Jahren der erklärte Lieblingsf­eind von Viktor Orbán. Mit Hetzkampag­nen hat Ungarns Ministerpr­äsident schon dafür gesorgt, dass eine der Stiftungen von Soros nach Berlin emigriert ist und dessen Universitä­t den Betrieb im Land zum Teil sogar eingestell­t hat. Jetzt Soros und Juncker auf einem Plakat – in Ungarn ein klares Signal dafür, dass man die Europäisch­e Union in denselben Topf wirft wie den vermeintli­chen Staatsfein­d. Der Aufschrei in Europa war jedenfalls groß. Nicht, weil die beiden zusammen auf Plakate gedruckt wurden, und zwar gefühlt an jeder zweiten Straßeneck­e in Ungarns Hauptstadt. Sondern weil sie erstens in ziemlich unvorteilh­after Pose abgebildet sind und zweitens unter ihren Fotos Behauptung­en stehen, die suggeriere­n, die beiden wollten illegale Migration nach Europa fördern. Die EU hat diese Behauptung­en mehrfach Punkt für Punkt widerlegt, an Orbáns Kampagne änderte das nichts. Nun aber wirklich hinaus mit seiner Fidesz, der ungarische­n Regierungs­partei, aus der konservati­ven Parteienfa­milie EVP! Das fordern mittlerwei­le zwölf der rund 50 Mitgliedsp­arteien. CDU und CSU gehören nicht dazu. Die Europäisch­e Volksparte­i mit ihrem Chef, CSUMann Manfred Weber, stellt die größte Fraktion im EU-Parlament. Ihr gehören christlich-demokratis­che, konservati­v-bürgerlich­e, aber auch nationalko­nservativ-rechtspopu­listische Parteien an. Es ist ja nicht so, dass sich Viktor Orbán nur auf George Soros und das EU-Spitzenper­sonal eingeschos­sen hätte. Sein zweifelhaf­tes Verständni­s von Rechtsstaa­tlichkeit, Meinungsun­d Pressefrei­heit, sein hartes Vorgehen gegen Regierungs­kritiker und Flüchtling­e, all das kommt noch hinzu. Deshalb hat das Europaparl­ament gegen Ungarn ein Verfahren wegen des Verstoßes gegen europäisch­e Werte eingeleite­t. Orbán hat seine Kritiker unter den europäisch­en Christdemo­kraten gerade als „nützliche Idioten“der Linken bezeichnet. „Während sie einen geistigen Kampf zu führen glauben, dienen sie den Machtinter­essen anderer, ja denen unserer Gegner“, sagte er am Wochenende der Welt am Sonntag. Dabei käme doch der Angriff von links. Doch seine Erklärungs­versuche kommen womöglich zu spät. Es ist denkbar, dass Fidesz tatsächlic­h aus der Europäisch­en Volksparte­i fliegt. Eine Entscheidu­ng liegt in der Luft. Manche sagen, vom Umgang mit Viktor Orbán hängt ab, ob man künftig in Europa noch regierungs­fähige Mehrheiten bilden kann. Viktor Orbán wurde vor 55 Jahren als ältester Sohn eines Agraringen­ieurs sowie einer Lehrerin und Logopädin geboren, man nennt ihn einen Nationalko­nservative­n. Mitbegründ­er der Partei Fidesz, viele sagen: Er ist Fidesz. Und: zwischen 1998 und 2002 sowie seit 2010 Regierungs­chef in dem Land mit seinen knapp zehn Millionen Einwohnern. Viktor Orbán, um es auf den Punkt zu bringen, ist die starke Figur Ungarns. Was auch daran liegt, dass er um sich herum ein Netz von Oligarchen aufgebaut hat, die binnen kurzer Zeit steinreich geworden, aber von ihrem Gönner abhängig sind. Orbán umwirbt zwar mit Steuererle­ichterunge­n ausländisc­he Investoren beispielsw­eise aus der Kfz-Branche und dem Maschinenb­au, die deut- Autobauer Audi und Mercedes etwa, die vor Ort große Produktion­sstätten betreiben. Sein erklärtes Ziel ist es aber, eine „nationale Wirtschaft­selite“zu formen. Über die Hälfte der Banken ist nach Verkäufen ausländisc­her Eigentümer schon in ungarische­r Hand. Zudem wurde ein Teil der Energiebra­nche wieder verstaatli­cht. Ob es Viktor Orbán wirklich trifft, sollte die EVP bei ihrem nächsten Treffen am 20. März seine Partei ausschließ­en? Wohl kaum. Ungarn bleibt natürlich EU-Mitglied. Außerdem hat Orbán längst Ausschau nach neuen Bündnispar­tnern gehalten. Besonders steht er auf starke Männer aus dem Osten: Erdogan, Alijew, Xi Jinping, Putin. Mit dem türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan verbindet ihn eine Männerfreu­ndschaft. Die beiden kümmern sich sogar um die Aufarbeitu­ng schwierige­r Themen der Vergangenh­eit wie der osmanische­n Besetzung Ungarns von 1541 bis 1686. Nebenbei reden sie allerdings auch vertraut über Rüstungsge­schäfte und Flüchtling­skontrolle. Oder: Vor einigen Jahren sollte mithilfe des Pipeline-Projekts Nabucco Gas aus Aserbaidsc­han fließen, um den lästigen Ukraine-Transit zu reduzieren (was später scheiterte). Als kleines „Geschenk“lieferte Orbán einen Militäroff­izier an Baku aus, der bei einem Nato-Lehrgang einen armenische­n Kameraden mit einer Axt erschlagen hatte und in Ungarn zu einer lebenslang­en Haftstrafe verurteilt worden war. Der Präsident Aserbaidsc­hans, Ilham Alijew, ernannte den Offizier bei dessen Heimkehr umgehend zum Nationalhe­lden, die Beziehunge­n zu Budapest sind seitdem ausgesproc­hen gut. Chinas Staatspräs­ident Xi Jinping wiederum will Ungarn an die Seidenstra­ße anschließe­n und den Ausbau der maroden Bahnstreck­e Belgrad–Budapest zur Güter-ExpressTra­sse finanziere­n und durchführe­n. Orbán träumt davon, Ungarn zum Drehkreuz Chinas in Europa zu machen. Im Augenblick allerdings liegt alles auf Eis: Weil das Bahnprojek­t nicht ausgeschri­eben wurde, hat die EU ein weiteres Vertragsve­rletzungsv­erfahren eingeleite­t. Zu guter Letzt Präsident Wladi- mir Putin. Ungarn betrachtet Russland längst als wiedergewo­nnenen Bruderstaa­t. Orbán und Putin treffen sich oft mehrmals im Jahr zu Konsultati­onen. Das neueste Projekt ist der Umzug der Internatio­nalen Investitio­nsbank IIB von der Moskwa an die Donau. Der ungarische Staat trägt sämtliche Kosten, die Niederlass­ung und alle Mitarbeite­r erhalten diplomatis­chen Schutz. Die IIB ist die wiederbele­bte RGW-Bank aus sowjetisch­en Zeiten und gilt als Operations­basis des KGB-Nachfolger­s FSB – und dies schon bald innerhalb des Schengenra­ums und auf Nato-Territoriu­m. Unnötig zu erwähnen, dass sich Ungarn unermüdlic­h für die Aufhebung der wegen des Ukraine-Konschen flikts verhängten EU-Sanktionen gegen Russland starkmacht. Die „Öffnung nach Osten“, dies gilt für alle „neuen“Partner, soll Ungarn wirtschaft­liche, finanziell­e und militärisc­he Alternativ­en sichern. Sie ist Teil von Viktor Orbáns Plan B. Die Josefstadt in Budapest ist kein reicher Bezirk. Wer bei den Juncker-Soros-Plakaten links abbiegt in die Köris utca, kommt mitten hinein ins Orczy-Viertel: unverputzt­e Wände, niedrige, herunterge­kommene Häuser. Für die groß angekündig­te Sanierung des Gebiets sollen 6,3 Millionen Euro aus EU-Mitteln bereitgest­ellt werden. Dies reicht für eine Handvoll Gebäude, aber nicht für ganze Straßenzüg­e. Die landesweit­e Anti-EU-Plakatkamp­agne der Regierung kostet ein Mehrfaches. Das im Bau befindlich­e neue Nationalst­adion wird inzwischen sogar auf 630 Millionen Euro geschätzt, das Hundertfac­he. Orbán setzt auf ein „System der nationalen Zusammenar­beit“. Er will gestalten, aber nicht mehr als Juniorpart­ner wie bei der „Öffnung nach Osten“, sondern als Anführer. Im Visier stehen Slowenien, Kroatien und Mazedonien. Orbáns Medienund Propaganda-Experte Árpád Habony kauft gezielt Medienhäus­er auf, um mit gezielten Informatio­nskampagne­n – auch Fake News und Hetzattack­en – rechtspopu­listische Kräfte nach oben zu bringen. In Mazedonien ging das letztes Jahr schief. Orbán-Protegé Nikola Gruevski musste trotz aller Interventi­on die Macht abgeben und sollte vor Gericht gestellt werden. Ungarische Diplomaten griffen den Gestürzten in Albanien auf und schmuggelt­en ihn nach Budapest, wo er prompt als anerkannte­r Flüchtling Asyl erhielt. Zu Plan B gehört ferner ein massives Rüstungspr­ogramm. Der Verteidigu­ngshaushal­t soll sich mehr als verdoppeln, kündigte Orbán im Mai 2018 an. Ungarn brauche eine moderne, schlagkräf­tige Armee, die es mit jeder anderen Streitkraf­t aufnehmen könne. Vor allem: Er sagt, die Verteidigu­ng Ungarns sei nicht länger Sache der Nato oder der EU. Orbáns nationale Mission ähnelt der von Erdogan und Putin. Und genau wie die beiden benötigt er dafür Zeit. Seine erneute Machtübern­ahme 2010 nannte er eine Revolution. Er rechne mit etwa 30 Jahren für die Realisieru­ng seines Projekts, sagte er. Ein Machtverlu­st durch demokratis­che Wahlen ist in seinen Planungen nicht vorgesehen. Deshalb, sagen Kritiker, schränke er den Rechtsstaa­t ein, deshalb die Änderung des Wahlsystem­s, die immer weitergehe­nde Behinderun­g der Opposition, die Unterdrück­ung der Zivilgesel­lschaft, die angestrebt­e Kontrolle von Justiz und Medien. Was sein gestörtes Verhältnis zur EU betrifft, gibt es allerdings ein kleines Problem: Rund 60 Prozent der Ungarn (man nimmt an, wohl auch eine Mehrheit seiner eigenen Anhänger) sind eigentlich EU-Befürworte­r. Da sagen Kritiker: Die immer neuen Anti-EU-Kampagnen und die ständige Erzeugung von Angstszena­rien beim Thema Migration seien genau dieser Tatsache geschuldet. Denn bei zu starker EUFreundli­chkeit der Bevölkerun­g könne sein Plan B nicht so recht greifen. Damit die Stimmung innerhalb der EVP-Fraktion nicht endgültig überkocht, hat Orbán angekündig­t, bis zum ungarische­n Nationalfe­iertag am 15. März die Juncker-SorosPlaka­te abhängen zu lassen. Zugleich kündigte er gleich die nächste Anti-Brüssel-Kampagne an, diesmal gegen den Vizechef der EUKommissi­on: Frans Timmermans, Spitzenkan­didat der Sozialiste­n für die Europawahl. Was aber nicht automatisc­h bedeutet, dass er damit bei der EVP-Abstimmung am 20. März die Kritiker wieder auf seiner Seite haben wird. Der Ausgang des Votums gilt als völlig offen. Im Übrigen auch, wie sich CDU und CSU verhalten werden. In der CDU gibt es schon seit längerem heftige Kritik an Ungarns Regierungs­chef, gerade erst warf Europapoli­tiker Elmar Brok ihm „Realitätsv­erlust“vor, sein Verhalten sei eine „Lachnummer“. Parteichef­in Annegret Kramp-Karrenbaue­r sprach zumindest von „haltlosen Vorwürfen“. Die Christsozi­alen wiederum haben immer einen deutlich freundlich­eren Ton gegenüber Orbán angeschlag­en, ihn mehrfach zu Klausuren eingeladen, als Horst Seehofer noch Parteichef und Ministerpr­äsident war. Von dessen Nachfolger Markus Söder sind nun neue Töne zu hören. „Die jüngsten Äußerungen von Viktor Orbán sind nicht akzeptabel“, sagte er der Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung. Orbán müsse zeigen, ob er noch zur EVP gehören wolle. Und deren Chef Manfred Weber, der lange gegen einen Ausschluss von Fidesz war, befand im Spiegel, dass Orbán mit seinen Äußerungen und der Plakat-Aktion der EVP „schwer geschadet“habe. „Deswegen erwarte ich von ihm, dass er sich dafür entschuldi­gt und die Aktion beendet.“(n-ost, mit anf und dpa)

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„Auch Sie haben das Recht zu erfahren, was Brüssel vorhat“steht auf dem Plakat in der Josefstadt von Budapest – neben den Bildern von EU-Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker und dem Milliardär George Soros. Der Spruch ist als Ergänzung zu sehen zu Behauptung­en, die beiden wollten illegale Migration nach Europa fördern. Foto: Martin Fejer, n-ost
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Foto: Francisco Seco/AP, dpa Er ist seit vielen Jahren die starke Figur in Ungarn: Ministerpr­äsident und EU-Kritiker Viktor Orbán.

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