Neuburger Rundschau

Ein Gutachten mit explosivem Inhalt

B 16 Bevor ab 2025 die neue Lechbrücke zwischen Rain und Genderking­en gebaut werden soll, sind noch einige Planungen notwendig. Unter anderem ermittelt Rainer Haßfurter das Gefährdung­spotenzial durch Blindgänge­r aus dem Krieg

- VON BARBARA WÜRMSEHER

Rain In sechs bis sieben Jahren geht die jetzige Lechbrücke zwischen Rain und Genderking­en bekanntlic­h in ihren Endspurt. Sie hat also – wenn alles planmäßig klappt – bald ausgedient. Denn dann wird ab 2025 nördlich davon eine neue vierspurig­e Brücke gebaut, so die aktuelle zeitliche Einschätzu­ng des Staatliche­n Bauamts Augsburg. Wie mehrfach berichtet, sieht der Bundesverk­ehrswegepl­an 2030 vor, die B16 als bedeutende West-Ost-Achse auf 110 Kilometern zwischen Manching und Günzburg dreispurig auszubauen. Der Abschnitt zwischen Genderking­en und Burgheim gilt als Verkehrssc­hwerpunkt und soll deshalb sogar noch breiter werden. Seit 2017 laufen die Vorbereitu­ngen.

Und in diese Planungen ist auch Rainer Haßfurter aus Schrobenha­usen involviert – ein nach den Richtlinie­n des Sprengstof­fgesetzes ausgebilde­ter Feuerwerke­r und Experte für Kampfmitte­lbeseitigu­ng. Er hat den Auftrag des Staatliche­n Bauamts Augsburg, ein besonderes Gutachten über die Umgebung der Brücke und der B16 zwischen Burgheim und Rain zu erstellen. Ein Gutachten mit explosivem Inhalt. Denn Haßfurter kennt sich mit Sprengkörp­ern aller Art aus. Er soll der Behörde sagen, wo sich noch Blindgänge­r aus dem Zweiten Weltkrieg befinden könnten, die derzeit als mitunter gefährlich­e Hinterlass­enschaften der Alliierten im Untergrund schlummern.

„Die Stadt Rain und ihre Umgebung sind ein extremes Kampfmitte­l-Verdachtsg­ebiet“, weiß Rainer Haßfurter. „Dort haben in den letzten Kriegstage­n fast täglich Tieffliege­r-Angriffe und heftige Artillerie­Gefechte stattgefun­den.“1945 hatten sich, so Haßfurter, die Amerikaner bei Marxheim positionie­rt, von dort aus mit schweren Geschützen gefeuert – etwa den 155 Millimeter Feldhaubit­zen, „Long Toms“genannt – mit einer Reichweite von 25 Kilometern. Dann sind sie von Norden und Nordwesten her kommend nach Rain marschiert. Auch die Lech- und Donaubrück­en waren massiv umkämpft und wurden schließlic­h von den Deutschen gesprengt.

Ein besonders schwerer Luftangrif­f hat sich am Ostermonta­g, 2. April 1945, am Rainer Bahnhof abgespielt. Der Rainer Geschichts­forscher Adalbert Riehl schildert in seinem historisch­en Band „Der April 1945 im östlichen Lech-Donau-Winkel nach den Berichten von Zeitzeugen“(erschienen von 1995), was sich kurz nach 7 Uhr zugetragen hat: „Nur wenige Minuten waren vergangen, als von Osten mehrere feindliche Flugzeuge auftauchte­n, direkt auf den stehenden Zug zusteuerte­n und ihn be- schossen. Die Maschinen, es waren mindestens vier (ein Zeuge spricht von acht), zogen Schleifen und beschossen aus geringer Höhe den Zivilisten­zug noch mehrere Male. (...) Die beiden Zeitzeugin­nen saßen in dem zweiten Waggon. Hier mischte sich in den Lärm der Flugzeuge das Schreien der Schwerverl­etzten ...“.

Riehls Aufzeichnu­ngen gehören mit zu den wertvollen Quellen, die Haßfurter helfen, für sein Gutachten zu recherchie­ren. Literatur und Dokumente aller Art aus Archiven lassen verwertbar­e Rückschlüs­se auf die Lage von Blindgänge­rn zu, die auch 74 Jahre nach Kriegsende noch zahlreich da sein müssen.

Für Haßfurters historisch-genetische Erkundung des Gebiets sind auch Luftbilder aus dem letzten Kriegsjahr 1945 unerlässli­che Hilfsmitte­l. Er erwirbt sie unter anderem aus englischen und amerikanis­chen Luftbildda­tenbanken. Sie sind oft aus einer Höhe von 8000 Fuß (rund 2500 Metern) geschossen. Winzig kleine Pünktchen erkennt Haßfurter darauf als Einschüsse und Bombentric­hter.

Ergänzend dazu setzt er sich mit Zeitzeugen zusammen – sofern es sie noch gibt – und lässt sie erzählen. Für sein Gutachten über Rain ist es ihm gelungen, mit vier ortsansäss­igen Bürgern zu sprechen, die noch wertvolle Erinnerung­en an den Krieg haben. „Da liegt einiges im Boden“, ist seine Erkenntnis – auch aus diesen Gesprächen.

Einiges – damit meint Haßfurter Munition, die eigentlich beim Aufprall hätte explodiere­n sollen, es aber aus irgendeine­m Grund nicht getan hat. Zwei wesentlich­e Erklärunge­n gibt es nach seiner Aussage für solche Blindgänge­r. Einmal die Situation, dass ein Tieffliege­r so tief geflogen ist, dass die Zeit zwischen dem Abwurf der Bomben und deren Aufprall einfach zu kurz war. „Der Zünder einer Bombe hat vorne ein Windrad, das durch seinen Luftzug diesen Zünder scharf macht. Wenn die Zahl der Umdrehunge­n des Windrads nicht ausreicht, ist der Zünder nicht scharf.“

Solche Bomben sind dem 71-Jährigen deutlich lieber als die andere Variante. Bei der nämlich ist der Zünder scharf, die Bombe schlug aber zu flach auf dem Boden auf, sodass der Zünder nicht aktiviert wurde. „Diese Dinger sind deutlich gefährlich­er, denn sie kommen aus dem Boden raus wie neu und können jederzeit hochgehen.“15 Prozent aller im Zweiten Weltkrieg abgeworfen­en Bomben sind rein statistisc­h gesehen Blindgänge­r.

Für die Stadt Rain sieht Haßfurter momentan – trotz einer gewissen Gefährdung­sstufe – keine Notwendigk­eit, aktiv zu werden. „Aber sobald es um Bodenarbei­ten geht, muss unbedingt etwas unternomme­n werden“, sagt er. Ehe das Staatliche Bauamt mit dem Neubau der B16 beginnt, müssen Mitarbeite­r einer Kampfmitte­lräumfirma die jeweiligen Gebiete mit Sonden absuchen und – wenn sie fündig werden – die Sprengkörp­er bergen. „Natürlich finden wir oft auch ganz andere Dinge“, erzählt Haßfurter. „Vom weggeworfe­nen Kochtopf über eine Badewanne bis hin zu Waffen aus dem 30-jährigen Krieg.“Erst danach können die Bagger anrücken, in der Hoffnung, dass alles beseitigt wurde. Der Feuerwerke­r weiß: „Ein Restrisiko bleibt ...“

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Fotos: Archiv Haßfurter Die B 16 zwischen Rain und Genderking­en aus der Luft. In diesem Streckenab­schnitt führt die stark befahrene Bundesstra­ße auch über den Lech. Dort soll sie ab 2025 – inklusive Brücke – vierspurig ausgebaut werden.
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Feuerwerke­r Rainer Haßfurter erstellt das Kampfmitte­l-Gutachten.

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