Ist ein Leben ohne Lügen möglich?
Fastenpredigt Pfarrer Steffen Schiller verscheucht in der Hofkirche Illusionen. Warum die Lüge ein Zeichen von Intelligenz ist
VON ANNEMARIE MEILINGER
Neuburg Die zweite Fastenpredigt in der Hofkirche war trotz des stürmischen Wetters gut besucht. Predigtthema war an diesem Sonntag „Wahrhaftigkeit“– es ging um Lügen und Fake News, um Vertrauen und darum, ob es überhaupt möglich ist, ohne Lügen zu leben. Pfarrer Steffen Schiller stellte diese zentrale Frage angesichts der Tatsache, dass wir alle – nach dem Stand der Lügenforschung – mindestens 200 Mal am Tag lügen.
Männer lügen mehr als Frauen, aber lügen heißt auch, sich Vorteile zu verschaffen und ist durchaus ein Zeichen von „sozialer Intelligenz“. Ohne Lügen geht es nicht und „Wer immer nur die Wahrheit sagt, wird früher oder später gekreuzigt“– „einer der immer nur die Wahrheit sagt, mit dem kann man nicht zusammenleben“soll einst Mark Twain gesagt haben und Steffen Schiller hat Verständnis für diesen Standpunkt, denn manchmal sei die Wahrheit unverantwortlich, vor allem, wenn sie verletzend ist.
Lügen aus Liebe seien tolerierte Notlügen, von denen es bestimmt 1000 Facetten gäbe. „Täuschen, Vertuschen, die halbe Wahrheit und Verschweigen – der Mensch kann nicht nicht lügen“, so der Pfarrer. Selbst in der Bibel wird gelogen, es geht zwar immer um die „wahre Lehre“, aber in den Schriften wird oft gelogen. So wie im Alten Testament Abraham, der seine schöne Frau als seine Schwester ausgibt und sie dem Pharao überlässt, um sein eigenes Leben zu schützen.
„Die Lüge gehört zum Leben dazu“, darüber brauche man sich keine Illusionen zu machen, so Schiller: „Wir stellen uns besser oder schlechter hin als wir sind, um Vorteile daraus zu ziehen.“Wir wissen
vom Klimawandel und Hungersnöten und konsumieren munter weiter und wir dulden Politiker, die große Selbstbelüger sind wie Donald Trump: „Heute kann man mit vielen Lügen in ein weißes Haus einziehen.“
Wie gehen wir als Christen damit um?, fragte der Prediger und gab fünf Ratschläge dafür. Zunächst verwies er auf das achte Gebot: Du sollst kein falsches Zeugnis geben wider deinen Nächsten! Falschaussage, Mobbing und jede Art von Klatsch – darauf sollte man versuchen zu verzichten. Wenn andere lügen, sollte der Christ barmherzig sein. Denn oft wird zum Schutz gelogen, dafür kann man Verständnis aufbringen. Im dritten Rat empfahl er: „Versuchen Sie, ihren Selbstlügen auf die Spur zu kommen“und „seien Sie so ehrlich wie möglich vor Gott“. Das wirke entlastend für das gegenseitige Vertrauen.
Der fünfte Rat: „Suchen Sie wenigstens einmal am Tag einen Moment der Wahrheit.“Das klinge nach wenig, aber wenn 500 Leute 365 Mal nach der Wahrheit suchten, wären das über 180.000 wahre Momente – und das wäre doch eine ganz schöne Menge. Lügen zerstört Vertrauen, wer lügt muss wissen, welchen Preis er dafür zahlt – das sollte jedem bewusstwerden. „Wir können das Ideal der Wahrhaftigkeit nicht auf Dauer leben. Wir können es nur versuchen“– so Steffen Schiller. Dieser Ansicht waren wohl auch die vielen aufmerksamen Besucher in der Hofkirche, denn sie spendeten am Ende der Predigt einen langen Applaus. Eine wohlklingende Männer-Schola rahmte die Fastenpredigt mit Chorälen musikalisch ein.
Die Fastenpredigt am kommenden Sonntag wendet sich besonders an junge Leute. Dr. Peter Frasch befasst sich mit Botschaften aus Fantasy-Geschichten: „Harry Potter, Einhörner und magische Ringe“lautet der Titel der Predigt.