Audi streicht eine Nachtschicht
Industrie Über 450 Mitarbeiter sind betroffen. Was sie jetzt machen
Ingolstadt Der Autobauer Audi reagiert auf die sinkende Nachfrage und streicht am Standort Ingolstadt eine Dauernachtschicht. Das bestätigte ein Unternehmenssprecher unserer Redaktion. Betroffen sind rund 450 Mitarbeiter, die an der Montagelinie eins arbeiten, sowie eine unbestimmte Zahl von Beschäftigten aus angrenzenden Bereichen. Für diese Mitarbeiter wird eine Lösung gesucht. Sie sollen unter anderem an der Produktion des Audi A3 mitarbeiten. Der Betriebsrat wies darauf hin, dass die Auflösung der Nachtschicht sozial verträglich erfolge. Für die Mitarbeiter gilt bis 2025 eine Beschäftigungsgarantie.
Die Unternehmensführung von Audi hatte schon im Februar beantragt, eine Dauernachtschicht zu streichen. Am Montag einigte sich die Standortleitung nun mit dem Betriebsrat. „Das reduzierte Produktionsvolumen am Standort Ingolstadt lässt sich ohne diese Dauer- nachtschicht langfristig erreichen und stellt so eine wirtschaftlichere Schichtfahrweise sicher“, heißt es in einer Mitteilung an die Belegschaft.
Betriebsratschef Peter Mosch forderte von der Unternehmensleitung nun, „die Einrüstung von E-Fahrzeugen an beiden deutschen Standorten umzusetzen sowie die Auslastung der Werke sicherzustellen“. Das Vorzeige-Elektroauto, der E-Tron, wird in Brüssel produziert. Wie, lesen Sie in der
Brüssel/Ingolstadt Es hing schon länger in der Luft und wurde immer mal wieder berichtet und dann wieder dementiert. Nun ist es doch so gekommen: Bei Audi in Ingolstadt wird eine Dauernachtschicht gestrichen. Zwar sind die Jobs der 450 Audianer, die direkt an dieser Montagelinie arbeiten, und einiger mehr, die zuarbeiten, nicht bedroht, denn für sie gilt eine Beschäftigungsgarantie bis 2025. Das heißt: Sie werden zwar anders beschäftigt werden – aber lukrative Zulagen fallen weg. Der Betriebsrat hat der Streichung zugestimmt. Denn: Audi habe Pläne zur Auslastung des Ingolstädter Werks vorgelegt, und die zeigen, dauerhaft sei ein Neun-Schicht-Betrieb am Standort unwirtschaftlich. Deshalb fordert Betriebsratschef Peter Mosch nun von den AudiChefs, in Ingolstadt die E-AutoProduktion zu verstärken. Schließlich könne die Belegschaft nichts für die Mobilitätswende. Wie das aussehen könnte, wenn ein Werk zur E-Auto-Fertigung umgebaut wird, lässt sich in Brüssel besichtigen.
Dort wird viel geheiratet. In Serie, die Kapelle ist das Fließband. Bilder von dem großen Moment gibt es keine, Fotografieren ist im Werk nicht zugelassen, auf den Segen wird gleichfalls verzichtet. Auch wenn der nicht schaden würde. Denn der Moment, wenn die Karosserie auf eine Autoplattform samt Antrieb montiert wird, ist durchaus bedeutsam im Leben eines Autos. In diesem Fall ein Audi E-Tron. Das Wort Hochzeit nimmt Werksleiter Patrick Danau in den Mund. Er beschreibt den industriellen Fertigungsschritt so: „Die haben jetzt Hochzeit.“Das klingt ein bisschen emotional und heißt im Fachjargon tatsächlich so. Der 62-jährige Danau blickt mit Stolz auf das, was hier unter seiner Aufsicht seriell vermählt wird.
Die VW-Tochter hat in Brüssel nun erstmals der Öffentlichkeit gezeigt, wie die Großserienfertigung des derzeitigen Vorzeigeautos der E-Offensive funktioniert. Der belgische Audi-Standort ist eine Zukunftsschmiede im Konzern, der E-Tron, ein SUV, das erste voll- elektrische Serienmodell der Marke. Höchstgeschwindigkeit: 200 Stundenkilometer. Reichweite: bis zu 417 Kilometer. Audi tritt im Marktsegment damit derzeit zum Beispiel gegen Tesla (Model X), Jaguar (I-Pace) oder den Mercedes EQC an.
Audi-Chef Bram Schot hat bei der Jahrespressekonferenz vergangene Woche nochmals die Zielmarken für die E-Offensive des Ingolstädter Autobauers genannt: Bis 2025 soll die Zahl der elektrifizierten Modelle auf 30 gesteigert werden. Die Kunden sollen in jeder Baureihe Stromer finden können. Als Nächstes ist der E-Tron Sportback dran, der ebenfalls in Brüssel produziert wird. In China läuft noch dieses Jahr die Fertigung des Q2 L E-Tron an. Audi will 2025 rund 800 000 Elektroautos und Plug-in-Hybride verkaufen. Rund 14 Milliarden Euro werden für dieses Ziel bis 2023 investiert.
Der E-Tron wird in Brüssel seit Herbst 2018 hergestellt. In den gut zwei Jahren zuvor hat Audi die Fabrik komplett umgebaut. Bei damals noch laufender A1-Produktion. Teilweise, so erzählt Werksleiter Danau, seien damals bis zu 1000 Lieferanten pro Tag zu koordinieren gewesen. Weil das neue elektrische Gefährt knapp zweineinhalb Tonnen auf die Waage bringt, musste alles robuster werden. 7500 Tonnen Stahl sind verbaut. Mehr als beim Eiffelturm. Stehen blieben in Brüssel quasi nur die Außenwände.
Das Werk wurde 1949 gegründet. Von 1970 bis 2007 wurden hier Volkswagen gefertigt. Dann übernahm Audi. Mit der Vorbereitung auf den E-Tron wurde das Werk, das direkt an der Bahnlinie nach Paris liegt, auch modernisiert: Sämtliche Prozesse innerhalb der Fertigung und alle weiteren im Werk am Standort entstehenden Emissionen werden durch erneuerbare Energien abgedeckt (rund 95 Prozent) oder durch Umweltprojekte (rund fünf Prozent) ausgeglichen. Audi Brüssel betreibt die „weltweit erste, zertifizierte CO2-neutrale Großserienfertigung im Premiumsegment“, wie Danau weiter erklärt. Auf dem Fabrikdach ist eine riesige Photovoltaikanlage.
Auch die Lithium-Ionen-Batterie für den E-Tron wird hier gebaut. Allein dieser Akku wiegt rund 700 Kilogramm. Vollgeladen könnte mit dem Energiegehalt theoretisch ein Haushalt zehn Tage versorgt werden. Nach einer Schnellladezeit von etwa 30 Minuten soll sie den Wagen laut Audi wieder über die nächste Langstrecke bringen.
Im Werk werden die fertigen Batterien von autonom fahrenden Wagen dann zur Linie gerollt. Wenn ein Mitarbeiter im Weg stehen sollte, hält der Wagen an und sagt einem, man möge bitte aufpassen. Auch sogenannte Cobots unterstützend die rund 3000 belgischen Audianer. Diese kollaborativen Roboter arbeiten mit Menschen zusammen.
Die E-Auto-Produktion läuft also. Bleibt die Frage, was mit der für alle Stromer letztlich entscheidenden Infrastruktur ist. Gibt es genügend Ladestationen in Reichweite? Audi ist mit BMW, Daimler, Ford und der Konzernmutter VW an dem Joint Venture Ionity beteiligt. Das Ziel der Unternehmung: Entlang der europäischen Hauptverkehrsachsen wird ein Netzwerk von Schnell-Ladestationen für E-Autos installiert und betrieben. Bis 2020 sollen es in ganz Europa 400 von Ionity sein.
Stand heute können E-TronFahrer laut Audi europaweit rund 90 000 Ladepunkte von mehr als 220 Anbietern nutzen. Das entspreche etwa 80 Prozent aller öffentlichen Ladestationen in Europa. Für Deutschland hat die Nationale Plattform Elektromobilität (NPE) für das Jahr 2020 einen Bedarf von 70000 öffentlichen Ladepunkten und 7100 Schnellladesäulen ausgemacht. Der Ausbau läuft. Denn der E-Auto-Markt braucht eine wachsende Infrastruktur. Wie schnell mehr und mehr Elektrowagen verkauft werden, ist noch nicht gewiss, hängt aber sicher auch davon ab.
Immerhin, auch an den deutschen Standorten in Ingolstadt und Neckarsulm sollen bald E-Autos vom Band rollen. Für den E-Tron aus Brüssel gab es weltweit vor Markteinführung 20000 Vorbestellungen. Erste Verkaufszahlen werden in den kommenden Wochen bekannt. Je nachdem, wie viele es sind, dürfte einen Hinweis darauf geben, ob Audi und die Elektromobilität eine etwas verzögerte Vernunftehe ist oder ob daraus eine große Liebe werden kann. (mit drs)