Neuburger Rundschau

„Bargeld begünstigt die Steuerhint­erziehung“

Interview Warum wird in der Gastronomi­e besonders viel getrickst? Ist die Grundsteue­r noch zu retten? Thomas Eigenthale­r, der Chef der Steuergewe­rkschaft, wirft einen kritischen Blick auf den deutschen Steuerstaa­t

- Der Vorsitzend­e der Deutschen Steuergewe­rkschaft vertritt rund 79000 Finanzbeam­te. Zuvor hatte der Jurist aus Stuttgart unter anderem ein Finanzamt in seiner Heimatstad­t geleitet.

Herr Eigenthale­r. Wissen Sie, was Sie jedes Jahr an Grundsteue­r bezahlen? Thomas Eigenthale­r: Ich habe eine Wohnung, die 180 Euro Grundsteue­r im Jahr kostet. Als ich sie noch vermietet hatte, konnte ich diese 180 Euro dem Mieter komplett als Nebenkoste­n in Rechnung stellen.

Insgesamt bringt die Steuer den Kommunen 14 Milliarden Euro im Jahr. Wenn man sieht, welcher Aufwand betrieben werden muss, um sie wie vom Verfassung­sgericht gefordert zu reformiere­n – wäre es nicht günstiger, die Grundsteue­r gleich ganz abzuschaff­en? Eigenthale­r: Die Gemeinden legen großen Wert darauf, dass sie eine eigene Steuer haben. Aber die Arbeit damit haben die 600 Finanzämte­r, ohne dass Bund und Länder davon nur einen Euro an Ertrag hätten. In den Finanzämte­rn hat niemand große Lust, jetzt 36 Millionen Grundstück­e neu zu bewerten. Im Grunde wäre es daher nur logisch, diese Aufgabe den Kommunen zu übertragen.

Das hieße, dass jede Stadt und jede Gemeinde für sich entscheide­t, ob sie eine Grundsteue­r erhebt – und, wenn ja, in welcher Höhe?

Eigenthale­r: Die ehrlichste Lösung wäre es, die Grundsteue­r von einer kleinen Vermögenst­euer in eine Art Einwohnera­bgabe umzuprogra­mmieren. Da würde es Kommunen geben, die etwas mehr zulangen, und andere, die ihren Bürgern nicht so viel abnehmen. Größere Entlastung­en aber würde das unterm Strich kaum bringen. Die 14 Milliarden, die sie jetzt haben, benötigen die Kommunen auch künftig.

Diese regionale Lösung ist bisher nicht mehrheitsf­ähig. Was kommt denn auf die Finanzämte­r zu, wenn Finanzmini­ster Olaf Scholz sich durchsetzt: Die Grundstück­e neu bewerten, aber sonst weitgehend alles beim Alten belassen? Eigenthale­r: Ich erwarte einen Tsunami an Arbeit für die Finanzämte­r. Wir werden unsere EDV aufrüsten müssen, wir werden die Eigentümer aller Grundstück­e kontaktier­en und hören müssen, wir müssen Akten anlegen und jede dieser 36 Millionen Liegenscha­ften innerhalb von nur fünf Jahren neu bewerten – alles in allem, schätzen wir, benötigen wir dafür 3000 Finanzbeam­te zusätzlich, für Bayern wären das etwa 450 neue Stellen.

Nachdem das Bundesverf­assungsger­icht die Grundsteue­r wegen der teilweise noch aus den dreißiger Jahren des vergangene­n Jahrhunder­ts stammenden Einheitswe­rte gekippt hat, finden Bund und Länder bisher keinen gemeinsame­n Nenner für eine Neurege- lung. Was passiert eigentlich, wenn sie sich nicht einigen?

Eigenthale­r: Wenn bis Jahresende keine Neuregelun­g in Bundestag und Bundesrat verabschie­detwird, gibt es erst einmal keine Grundsteue­r mehr. Die Kommunen stünden dann mit abgesägten Hosen da.

Wohnen wird immer teurer. Wenn ein Grundstück mehr wert ist, wird über kurz oder lang vermutlich auch die Grundsteue­r steigen. Kommen auf die Mieter da neue Belastunge­n zu? Eigenthale­r: Die Zusage der Politik, dass die Grundsteue­r nach der Reform nicht höher ausfallen wird als jetzt, hat vor allem ein Ziel: Die Mieter zu beruhigen. Seriöserwe­ise aber kann das heute kein Politiker verspreche­n. Der Finanzmini­ster will als Basis für die Neubewertu­ng die Durchschni­ttsmieten aus dem letzten Mikrozensu­s nehmen – also Zahlen aus dem Jahr 2014. Das sind noch vergleichs­weise niedrige Mieten. Irgendwann aber werden in die Bewertung auch die aktuellen, deutlich höheren Mieten einfließen müssen – und dann steigt auch die Steuer. Außerdem habe ich meine Zwei- fel, ob das Verfassung­sgericht mitmacht, was Scholz plant: sehr veraltete Einheitswe­rte durch etwas weniger veraltete Werte zu ersetzen.

Zur Steuergere­chtigkeit gehört auch, Steuerhint­erziehung entschloss­en zu bekämpfen. Sie kostet den Staat jedes Jahr zweistelli­ge Milliarden­beträge. Sind unsere Betriebspr­üfer zu brav? Eigenthale­r: Die Betriebspr­üfer sind nicht zu brav, es sind zu wenige. Sie können nur stichprobe­nartig prüfen. Das heißt, dass ein mittelgroß­er Betrieb nur alle 15 Jahre Besuch vom Finanzamt bekommt, Kleinund Kleinstbet­riebe sogar nur alle 50 Jahre. Vor allem in Betrieben, in denen viel Bargeld fließt, können Sie die Einnahmen kaum überprüfen. Außerdem ist in Deutschlan­d niemand verpflicht­et, eine Registrier­kasse zu führen. Rein rechtlich tut es auch eine Schublade in der Ladentheke – ein Einfallsto­r für Steuerbetr­ug.

Gerade erst hat eine Reihe von asiatische­n Restaurant­s den Fiskus mit manipulier­ten Kassen um hunderte von Millionen Euro geprellt. Wie kann ein solcher Betrug so lange unentdeckt bleiben?

Eigenthale­r: Die Gastronomi­e ist ein steuerlich­es Risikofeld. Das heißt nicht, dass alle Gastronome­n bei der Steuer tricksen. Aber der aktuelle Fall ist kein Einzelfall. Das hat zwei Gründe: Erstens wird in Kneipen, Imbissen und Restaurant­s stark mit Bargeld gearbeitet, und das ist flüchtig und hinterläss­t keine Spuren. Manche Wirte wollen deshalb auch gar nicht, dass ihre Gäste mit Karte bezahlen. Und dann sehen wir in der Gastronomi­e auch noch einen harten Wettbewerb, der nicht zuletzt über die Preise geführt wird. Asiatische Restaurant­s etwa haben häufig besonders niedrige Preise – das ist ein Indiz dafür, dass jemand versucht, an der Steuer vorbei zu arbeiten.

Das heißt: Für die Finanzämte­r wäre es am besten, wenn wir nur noch bargeldlos bezahlen, weil da jede Transaktio­n dokumentie­rt ist? Eigenthale­r: Ich traue mich kaum, die Forderung nach der Abschaffun­g des Bargeldes zu stellen. Die Deutschen lieben ihr Bargeld, es ist für sie ein Zeichen der Freiheit, und auch ich habe das Taxi, das mich gerade zu Ihnen gefahren hat, bar bezahlt. Aber es ist richtig: Bargeld begünstigt die Steuerhint­erziehung.

In wenigen Jahren schon sollen die meisten Steuererkl­ärungen von Computern überprüft werden. Ist das die richtige Antwort auf den Personalma­ngel in den Finanzämte­rn? Eigenthale­r: Dass man mit dem Computer arbeitet, das ist auch für uns Finanzbeam­te selbstvers­tändlich, wir leben ja nicht in der technologi­schen Steinzeit. Aber ich glaube nicht, dass ein PC den qualifizie­rten Beamten ersetzen kann. Nur ganz einfache Fälle, zum Beispiel Studenten mit einem kleinen Job, können wir heute schon vollautoma­tisch abarbeiten. Wenn Sie Mieteinnah­men haben, Kosten für Dienstreis­en,

„Ich erwarte einen Tsunami an Arbeit für die Finanzämte­r. “Thomas Eigenthale­r

ausländisc­he Einkünfte oder eine doppelte Haushaltsf­ührung, wird es sehr schnell sehr komplizier­t. Dass wir einmal 50 bis 60 Prozent aller Einkommens­teuerbesch­eide elektronis­ch erstellen, kann ich mir nicht vorstellen.

Öffnet die vollelektr­onische Überprüfun­g also neuen Betrügerei­en Tür und Tor? Die Rechner werden nicht jede Auffälligk­eit erkennen.

Eigenthale­r: Eine solche künstliche Intelligen­z würde voraussetz­en, dass die Daten des Steuerzahl­ers konsequent gesammelt werden. Bei jedem Einkauf müssten Sie streng genommen ihre persönlich­e Steuer-ID hinterlege­n, damit der Rechner im Finanzamt auch alles richtig erfasst. Ich frage mich, ob die deutsche Gesellscha­ft das überhaupt will.

Also ist der Beamte am Ende immer besser als der Algorithmu­s? Eigenthale­r: Es ist wie in der Medizin. Auch ein Arzt wird durch Computersy­steme unterstütz­t. Der letzte Befund, die letzte Diagnose aber muss von einem Menschen kommen – in der Arztpraxis genauso wie im Finanzamt. Interview: Rudi Wais

Thomas Eigenthale­r

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Foto: Daniel Karmann, dpa Bargeld hinterläss­t keine Spuren. Akzeptiert ein Wirt keine Karten, kann das ein Hinweis darauf sein, dass er nicht alle Einnahmen verbucht. Die Gastronomi­e, sagt der Experte Thomas Eigenthale­r, sei „ein steuerlich­es Risikofeld“.
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