Neuburger Rundschau

„Das ist der größte Schmarrn“

Verkehr Ein Augsburger Taxifahrer erklärt, warum sich er und seine Kollegen über Verkehrsmi­nister Scheuer ärgern und dessen Pläne ihr Ziel nicht erreichen werden

- VON MICHAEL BÖHM

Augsburg Der Tag von Franz Pietsch beginnt um 8 Uhr – und nur eine Viertelstu­nde später steigt schon der erste Fahrgast in sein Taxi. Florian* ist vier Jahre alt. Er muss in den Kindergart­en. Der Papa ist in der Arbeit und die Mama hat an diesem Morgen keine Zeit, den Knirps in den fünf Minuten entfernten Kindergart­en zu bringen. Also springt Franz Pietsch ein. Florians Vater ist ein guter Kunde des Augsburger Taxifahrer­s. „Da hat sich über die Zeit ein Vertrauens­verhältnis aufgebaut, ich bringe Florian hin und hole ihn manchmal auch wieder ab, im Kindergart­en kennen sie mich schon“, erklärt Pietsch.

Für den 56-Jährigen ist das selbstvers­tändlich. Er habe mehrere Kunden, die er seit vielen Jahren kennt, die ihm ihre ganze Lebensund manchmal auch Leidensges­chichte erzählen und die sich auf ihn verlassen. Von Bub Florian über den Geschäftsm­ann, der pünktlich am Münchner Flughafen sein muss, bis hin zur blinden Rentnerin, „die mir ihre Bankkarte in die Hand drückt, damit ich für sie Geld abhebe“, sei alles dabei sagt Pietsch.

Das ist der beste Job der Welt, habe er sich damals Ende der 80er Jahre gedacht, als er seinen gelernten Beruf des Zimmerers hinter sich ließ und zum Taxler wurde. Doch seither habe sich in der Branche einiges geändert. Die „goldenen Zeiten“, als noch die US-Amerikaner in Augsburg stationier­t waren und das Geschäft florierte, seien vorbei. Früher hätten sich die Taxifahrer in Augsburg alle gekannt, Freundscha­ften seien entstanden. Heute herrsche unter den Fahrern eine große Fluktuatio­n, manchen Kollegen habe er noch nie gesehen. Und nun steht das Taxigeschä­ft vor einem weiteren Umbruch. Vielleicht sogar dem größten.

Bundesverk­ehrsminist­er Andreas Scheuer (CSU) arbeitet gerade an einer Reform des Personenbe­förderungs­gesetzes. Dabei soll unter anderem die Rückkehrpf­licht für Mietwagenf­irmen gestrichen werden. Sie ist ein Grund dafür, warum internatio­nal erfolgreic­he Fahrdienst­e wie Uber und Lyft in Deutschlan­d bisher ausgebrems­t wurden. Deren Geschäftsm­odell fußt darauf, dass Privatpers­onen mit ihrem Privatwage­n durch die Stadt kurven und kostenpfli­chtig – oftmals deutlich günstiger als Taxen – Menschen chauffiere­n. Unternehme­n wie Uber bringen über Internetpl­attformen und Handy-Apps Fahrer und Mitfahrer zusammen und verdienen an jeder Fahrt mit. In vielen Ländern und Metropolen boomt das Geschäft. In Deutschlan­d ist es verboten – wenngleich sich in Städten wie Berlin nicht jeder daran hält. Verkehrsmi­nister Scheuer will den Markt nun liberalisi­eren. Und die Taxifahrer toben.

Seit Monaten demonstrie­ren in Bayern regelmäßig Taxler gegen Uber und Co. Und in Augsburg steigt bei Franz Pietsch der Puls, wenn er über die Pläne Scheuers spricht. „Das würde den Wettbewerb komplett verzerren. Für uns Taxler gilt die Beförderun­gspflicht, die Tarifpflic­ht, der Mindestloh­n, wir müssen Steuern zahlen und regelmäßig unsere Eignung unter Beweis stellen, das Auto muss jedes Jahr zum TÜV. Für einen Privatmann, der Taxi spielen darf, gilt das alles nicht. Das kann es doch nicht sein“, wettert Pietsch.

Er steigt aus und hilft vor einer Dialyse-Praxis einer 87-Jährigen in sein Auto. Es ist seine dritte Kundin innerhalb einer guten Stunde, sie wird ihm später knapp 20 Euro für die Fahrt bezahlen. „Davon bleiben am Ende vielleicht acht Euro für mich hängen“, rechnet Pietsch vor. Rund 200 Euro Umsatz müsse er an einem Werktag machen, damit er „adäquat leben“könne. Am Wochenende gehe naturgemäß mehr, im Schnitt bis zu 350 Euro an einem Abend. Doch an Wochenende­n lässt der Ehemann und Vater zweier Kinder mittlerwei­le drei 450-EuroKräfte für sich fahren. „Ich musste irgendwann auf die Bremse treten, es ist auf Dauer nicht gut, fünf Tage die Woche und fast jedes Wochenende zwölf Stunden am Stück im Auto zu sitzen.“

209 Taxen gibt es aktuell in Augsburg. Genug, sagt Pietsch. In der Stadt sei gar kein Bedarf an noch mehr Mitfahrang­eboten. Doch Verkehrsmi­nister Scheuer hat mit seinem Ziel, den Taximarkt auch für andere Anbieter zu öffnen, gerade auch die ländlichen Regionen im Blick. Dort könnten neue Angebote bestehende Lücken im Öffentlich­en Nahverkehr schließen, sagt Scheuer. „Das Argument ist der größte Schmarrn“, erwidert Franz Pietsch. „Uber-Fahrer leben davon, dass sie ständig unterwegs sind und die Leute am Straßenran­d aufsammeln. Das kann in einer Stadt funktionie­ren, aber doch nicht auf dem Land.“In ein von Bus und Bahn verlassene­s Dorf wird sich künftig kaum ein Uber-Fahrer verirren, glaubt er. Ein Taxi aber sehr wohl, sagt er und startet den Motor. Der nächste Fahrgast wartet schon.

*Name von der Redaktion geändert

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Franz Pietsch fährt seit 32 Jahren in Augsburg Taxi und hat schon einige Höhen und Tiefen des Geschäfts mitgemacht. Nun steht ein weiterer Umbruch bevor: Verkehrsmi­nister Scheuer möchte den Taximarkt für private Anbieter wie „Uber“öffnen.
Foto: Ulrich Wagner Franz Pietsch fährt seit 32 Jahren in Augsburg Taxi und hat schon einige Höhen und Tiefen des Geschäfts mitgemacht. Nun steht ein weiterer Umbruch bevor: Verkehrsmi­nister Scheuer möchte den Taximarkt für private Anbieter wie „Uber“öffnen.

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