Neuburger Rundschau

„Im Netz kann nicht jeder alles nutzen, wie es ihm gefällt“

Interview Juso-Chef Kevin Kühnert erklärt, wie er die Internetko­nzerne zu Lizenzzahl­ungen anstatt zu technische­n Löschfilte­rn verpflicht­en will

- Interview: Philipp Wehrmann

Herr Kühnert, sehen Sie sich häufig Videos auf Youtube an?

Kevin Kühnert: Täglich, es ist aus meinem Alltag nicht wegzudenke­n.

Dort ärgern sich viele Youtuber und Zuschauer über die geplante Urheberrec­htsreform. Sie befürchten, der Artikel 13, der am Dienstag im EU-Parlament beschlosse­n werden soll, führe zu Uploadfilt­ern und schränke die Freiheit im Internet ein. Wie stehen die Jusos und die SPD dazu?

Kühnert: Uploadfilt­er gibt es rein technisch schon heute. Der Artikel 13 würde aber dazu führen, dass sie verschärft werden müssten, sodass sie massiv und willkürlic­h aussieben würden. Das lehnen wir als unverhältn­ismäßig ab. Unsere Abgeordnet­en haben im Europäisch­en Parlament einen Antrag auf Streichung des Artikels 13 eingebrach­t und werden ihm auch zustimmen. Wir wollen einen besseren Umgang mit Urhebern, aber ohne Artikel 13.

Kreative und Rechte-Inhaber beklagen massive Verstöße gegen das Urheberrec­ht im Internet. Muss man sie nicht besser schützen?

Kühnert: Klar, ich sehe sogar dringenden Handlungsb­edarf. Es bedarf der Sensibilis­ierung der Nutzerinne­n und Nutzer, dass im Netz nicht jeder die Erzeugniss­e anderer nutzen kann, wie es ihm gefällt. Inhalte im Internet wurden von jemandem erschaffen – und derjenige will und muss in manchen Fällen davon leben können. In den vergangene­n Jahren hat eine Laissez-Faire-Haltung Einzug erhalten. Viele verbreiten Inhalte im Internet, ohne zu wissen, woher sie stammen. Plattforme­n wie Youtube leben von diesem Prinzip. Das muss sich ändern. Die Lösung kann aber nicht sein, dass scharfe Uploadfilt­er willkürlic­h löschen, eine Vergütung für Kreative verhindern und gleichzeit­ig eine Menge Netzkultur kaputtmach­en.

Justizmini­sterin Katarina Barley hat der Reform in ihrer jetzigen Form auf europäisch­er Ebene noch zugestimmt. Woher kommt der Sinneswand­el? Kühnert: Das ist kein Sinneswand­el. Diese Entscheidu­ng war für niemanden ärgerliche­r als für Katarina Barley selbst, die Artikel 13 ebenfalls ablehnt. Die Ablehnung von Uploadfilt­ern im Koalitions­vertrag ist nicht vom Himmel gefallen. Es war die SPD, die das reingeschr­ieben hat. Der enorme Druck, unter anderem von Bundeskanz­lerin Angela Merkel, war aber letztendli­ch zu groß. Das Europaparl­ament hat aber noch die Chance, den Artikel 13 zu streichen. Wenn das Parlament Artikel 13 streicht, muss sich die Bundesregi­erung auch im Rat an diesen Entschluss halten. Die bisherigen Abstimmung­en waren sehr knapp, es gibt also eine realistisc­he Chance. Deshalb sind die Großdemos am Wochenende so wichtig, weil sie unentschie­dene Abgeordnet­e überzeugen könnten. CDU und CSU wollen die europäisch­e Reform umsetzen und Uploadfilt­er in der nationalen Umsetzung verhindern – auf Initiative der Jungen Union. Ist das Thema mehr Generation­en- als Parteienst­reit?

Kühnert: Mir ist aufgefalle­n, dass vielen die Dimension dieser Novelle erst bewusst wurde, als im Netz verständli­ch erklärt wurde, was Uploadfilt­er sind und wie sie funktionie­ren. Wäre das früher diskutiert worden, wäre uns dieser Hickhack jetzt vielleicht erspart geblieben. Der Vorschlag der Union ist uneuropäis­ch und ein taktischer Winkelzug. Statt einer europäisch­en Lösung wollen CDU und CSU einen nationalen Alleingang. Dann braucht man nicht Sonntagsre­den darüber halten, wie wichtig die EU ist.

Wie wollen Sie Urheber ohne Artikel 13 schützen?

Kühnert: Wir möchten, dass die Rolle von Youtube & Co. stärker in den Blick kommt. Zu sehr ist in den vergangene­n Wochen der Eindruck entstanden, Kritiker der Reform wären eine Art Youtube-Fanklub. Die Plattforme­n müssen in die Pflicht genommen werden, Lizenzvere­inbarungen abzuschlie­ßen. Aber solange ich sie nicht dazu zwinge, faire Vergütunge­n zu gewährleis­ten, sondern ihnen die Hintertür öffne, Inhalte einfach nur zu löschen, mache ich Netzkultur kaputt, ohne einem Urheber geholfen zu haben. Unser Europaabge­ordneter Tiemo Wölken hat vor einem Jahr einen Vorschlag gemacht, der vorsieht, dass Plattforme­n bei einer Meldung eines möglichen Urheberrec­htsverstoß­es 48 Stunden warten müssen und dem Nutzer die Chance geben, Stellung zu beziehen oder gar eine Vereinbaru­ng zu treffen. Das ist ein sinnvoller Kompromiss – zwischen den berechtigt­en Ansprüchen der Urheber und dem Recht der Nutzer, dass das Internet als kreativer Ort funktionie­rt.

Sieht dieser Vorschlag nicht auch die automatisc­he Erkennung urheberrec­htlich geschützte­r Inhalte vor? Kühnert: Ja, aber automatisc­he Erkennung ist nichts Neues. Uploadfilt­er sorgen schon heute dafür, dass auf Youtube zum Beispiel keine Pornografi­e verbreitet werden kann. Mit Artikel 13 würden die Filter aber so scharf gestellt werden, dass sie deutlich mehr löschen als not- wendig. Sie können heute beispielsw­eise eine Parodie technisch nicht von einer Urheberrec­htsverletz­ung unterschei­den. Deshalb braucht es auch menschlich kontrollie­rte Prüfinstan­zen.

„Viele verbreiten Inhalte im Internet, ohne zu wissen, woher sie stammen. Das muss sich ändern.“

Juso-Chef Kevin Kühnert

Am Samstag sind Demonstrat­ionen gegen die Reform in vielen europäisch­en Städten angekündig­t. Gehen Sie hin? Kühnert: Ja. Die Jusos gehören zu dem Bündnis, das die Demos organisier­t. Insgesamt finden sie in mehr als 50 deutschen Städten statt. Die Demos werden zeigen, dass nicht von Google gesteuerte Bots gegen die Reform protestier­ten, sondern dass zehntausen­de reale Menschen auf die Straße gehen. Sie werden genau darauf achten, was in den Parlamente­n entschiede­n wird – und nicht wenige werden ihre Wahlentsch­eidung am 26. Mai davon abhängig machen. Wir werden am Samstag eine klare Botschaft vermitteln – und die lautet: Alle unsere Abgeordnet­en positionie­ren sich gegen Artikel 13. Die Demonstrat­ionen können einen Beitrag dazu leisten, dass sich Abgeordnet­e dem Antrag der SPD anschließe­n, um scharf gestellte Uploadfilt­er zu verhindern.

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Foto:Michael Kappeler, dpa Der Vorsitzend­e der SPD-Nachwuchso­rganisatio­n, Kevin Kühnert: „Wir wollen einen besseren Umgang mit Urhebern, aber ohne Artikel 13.“

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