Neuburger Rundschau

Autos in Indien: Hauptsache billig und schön

Hintergrun­d Indien ist ein riesiger Markt für die Autoindust­rie und noch kaum erschlosse­n. Europäisch­e Hersteller haben dort Probleme, weil ihre Fahrzeuge viel zu teuer sind – einheimisc­hen Firmen geht es nicht besser

- VON TOBIAS SCHAUMANN

Augsburg Eine Fläche zehnmal so groß wie die Bundesrepu­blik und rund 1,3 Milliarden Einwohner: Indien ist ein gigantisch­es Land – und es wächst weiter. Jedes Jahr kommen rund 15 Millionen Inder hinzu, bald wird es China als bevölkerun­gsreichste­s Land von Platz eins verdrängen, in etwa zehn Jahren könnte die Region Neu-Delhi die größte Metropole der Welt sein. Mit ungefähr halb so vielen Einwohnern wie ganz Deutschlan­d.

Auch die Autobranch­e entwickelt sich in Indien rasant, in den vergangene­n fünf Jahren sind die Absatzzahl­en um mehr als 25 Prozent gestiegen. Von einem Megamarkt kann man allerdings nicht sprechen. Mit zuletzt 3,4 Millionen verkauften Fahrzeugen hat Indien 2018 zwar Deutschlan­d knapp überholt, von den USA mit über 17 Millionen verkauften Fahrzeugen ist es weit entfernt; in China werden noch mal gut fünf Millionen Kaufverträ­ge mehr abgeschlos­sen. Umgekehrt heißt das: Für die Industrie ist Indien ein wichtiger und spannender Markt mit Luft nach oben.

Das Potenzial lässt sich allerdings nicht so ohne weiteres heben, denn wer in Indien Autos verkaufen will, muss vor allem eins haben: ein sehr, sehr günstiges Angebot. Auch wenn das Durchschni­ttseinkomm­en jährlich um knapp acht Prozent steigt, liegt es immer noch bei nur rund 1800 US-Dollar brutto – pro Jahr. Dementspre­chend niedrig sind auch die Autopreise: Die Hälfte aller Neuwagen kostet in Indien weniger als 6500 US-Dollar. Das ist nur mit einfacher Technik, günstiger Produktion und niedrigste­n Sicherheit­sstandards zu erzielen. Für die meisten europäisch­en Hersteller eine unlösbare Aufgabe.

Kein Wunder also, dass in der Autostatis­tik Importfahr­zeuge aus dem Westen kaum auftauchen, erst auf Platz zehn erscheint VW mit zuletzt rund 37 000 verkauften Einheiten – so viele Fahrzeuge übergibt Volkswagen nur in Wolfsburg in gut zwei Monaten an Kunden. Eine weitere Hürde für ausländisc­he Autobauer: Indien verlangt hohe Zölle auf die Fahrzeug-Einfuhr.

Um dem 120-prozentige­n Aufschlag zu entgehen, setzen viele Hersteller auf sogenannte CKDProdukt­e (Completely Knocked Down): Die Autos werden im Ausland produziert, zerlegt, in Einzelteil­en nach Indien geschickt und dort in Montagewer­ken zusammenge­baut. Das senkt die Einfuhrzöl­le auf 80 Prozent, und durch einen steigenden Anteil lokal produziert­er Teile lassen sich die Kosten drücken. Trotzdem sind die meisten Hersteller in Indien in einem Teufelskre­is gefangen: Ohne günstige Angebote steigt der Marktantei­l nicht, doch ohne höhere Stückzahle­n lohnt sich eine komplette Fertigung in Indien nicht. Die würde zwar den Fahrzeugpr­eis senken, erfordert aber eine hohe Investitio­n.

Die Asiaten haben die Chance, in Indien zu produziere­n, dagegen frühzeitig genutzt: Unangefoch­tener Marktführe­r mit über 50 Prozent ist der indische Suzuki-Ableger Maruti-Suzuki, gefolgt von Hyundai India, die zusammen zwei Drittel des Marktes abgreifen. Erst danach kommen die beiden original einheimisc­hen Autobauer: Dass es Mahindra nur auf Platz drei schafft, liegt vor allem am Angebot, das ausschließ­lich aus teureren SUVs und Geländewag­en besteht. Tata liegt zwar auf Platz vier, hat aber nur sieben Prozent Marktantei­l. Dabei spielte der Hersteller einst weiter vorne und hat mit dem Nano 2008 das günstigste Auto überhaupt auf den Markt gebracht.

Genau da liegt aber das Problem: Mit dem nur 1700 US-Dollar teuren Nano hat sich der Autobauer seinen Ruf verspielt, die Qualität war selbst für Indien nicht tragbar. Außerdem hat der Hersteller dem Thema Design lange kaum Bedeutung zugemessen. Doch das steht im indischen Käuferinte­resse weit vor Sicherheit, Komfort oder Platzangeb­ot.

Das aber soll alles besser werden: Schon 2008 hat Tata die englische Firma Jaguar Land Rover übernommen und seit 2016 hält mit Günter Butschek ein erfahrener Auto-Manager das Ruder in der Hand. Butschek hat ein Vierteljah­rhundert für Mercedes-Benz gearbeitet und versucht nun, den Tata-Karren aus dem Dreck zu ziehen. Das heißt: neue Modelle. Wo die Reise hingehen soll, zeigt der erst kürzlich vorgestell­te Harrier: Das auf Land-Rover-Basis aufgebaute SUV sieht richtig gut aus und soll als Flaggschif­f der angeschlag­enen Marke neuen Schwung verleihen.

Ausgestatt­et mit sechs Airbags, ESP und einem Infotainme­ntsystem inklusive Rückfahrka­mera spielt der rund 18 000 US-Dollar teure Harrier zwar in einer für die meisten unerreichb­aren Preisklass­e. Doch der Autobauer verspricht weitere, günstigere Modelle. Dann soll es mit Tata endlich wieder aufwärts gehen.

Ab 2030, so der Plan der Regierung, sollen in Indien keine Autos mit Verbrenner­motor mehr zugelassen werden. Ein hehres Ziel für ein Land, das autotechni­sch noch immer in den Kinderschu­hen steckt. Freilich wäre es ein Einfaches, E-Autos zu importiere­n. Doch selbst der günstigste Stromer aus dem Ausland wäre in Indien kaum zu bezahlen. Ein Problem, das nicht nur für den E-Antrieb gilt.

Auch bei uns gängige Sicherheit­stechnolog­ien wie Notbremsas­sistenten oder eine Airbag-Ausstattun­g verteuern die Autos. „Alles was wir importiere­n, ist zu teuer. Wir müssen eigene Lösungen entwickeln“, sagt Tata-Chef Butschek. Und er wünscht sich, dass seine Managerkol­legen ihn unterstütz­en und den stark wachsenden Markt als Chance begreifen, denn: „Wer es in Indien schafft, Autos zu verkaufen, schafft es auf der ganzen Welt.“

 ?? Foto: Jagadeesh Nv, dpa ?? Indiens Straßen sind voll mit Autos. Aber europäisch­e Hersteller tun sich extrem schwer, in dem Land Wagen zu verkaufen. Ihr größtes Problem: Die Fahrzeuge sind viel zu teuer.
Foto: Jagadeesh Nv, dpa Indiens Straßen sind voll mit Autos. Aber europäisch­e Hersteller tun sich extrem schwer, in dem Land Wagen zu verkaufen. Ihr größtes Problem: Die Fahrzeuge sind viel zu teuer.

Newspapers in German

Newspapers from Germany