Das Gift von „Heimat“und „Integration“
Interview Der Autor Max Czollek warnt vor dem Ideal einer harmonischen Gesellschaft, vor deutschem Dominanzdenken und dem unbewussten Einschwenken aller Parteien auf rechtes Agenda-Setting
Sie sind einer von 14 Autoren, die sich ein Jahr nach der Schaffung eines Heimatministeriums durch Horst Seehofer zu einem Buch verabredeten. Titel ist das Statement: „Eure Heimat ist unser Albtraum“. Was ist Ihre Kritik? Max Czollek: Ich würde den Begriff Heimat aus zwei Perspektiven kritisieren. Die eine ist, dass sich im Heimatdiskurs ein reaktionäres Denken spiegelt. Wenn die CSU oder die AfD den Heimat-Begriff wieder auf die Agenda setzen, dann schwingt darin eine Vorstellung des Bezugs von Menschen auf einen bestimmten Ort mit, die eine ethnische und kulturelle Komponente begleitet: Die Frage ,Wer kommt eigentlich woher?‘ bedeutet doch auch: ,Wer gehört wohin?‘ Und der, der sagt: „Unsere Heimat muss erhalten bleiben!“, meint auch, die Präsenz anderer Kulturen könnte zu einem Problem werden.
Und die zweite Perspektive?
Czollek: Das ist die Strategie von linker Seite, sich den Begriff anzueignen. Warum genau glaubt man, dass man den Konservativen und den Rechten den Heimatbegriff wegnehmen kann? Woher kommt dieser Optimismus? Historisch sehe ich da keinen Anlass. Schon in den 20erund 30er-Jahren versuchte die SPD, sich den Volks-Begriff anzueignen. Und das ist massiv nach hinten losgegangen. Am Ende hat man die Definitionsmacht der Rechten nicht mehr bestritten, sondern ist begrifflich eingeschwenkt. Ich habe die Sorge, dass auch jetzt wieder viel zu stark eingeschwenkt wird auf das rechte Agenda-Setting. Übrigens nicht nur von Links, sondern auch von der Mitte und von den Liberalen. Um das noch mal anders zu sagen: Interessant ist doch, dass jede Partei Heimatpolitik betreibt. Für Leute, die mit der ganzen Heimatthematik nichts anfangen können, gibt es derzeit überhaupt keine politischen Angebote. Hinter diesem Mangel an Angeboten vermute ich nicht nur eine illusorische Taktik, sondern auch aufseiten der demokratischen Parteien einen positiven Heimatbezug, der überhaupt nichts Problematisches darin erkennen kann. Das halte ich mindestens für naiv. Denn selbstverständlich sind politische Begriffe nicht unschuldig, sondern stehen in einer bestimmten Tradition politischen Denkens und führen sie fort. Im Zweifelsfall auch gegen die eigenen Intentionen.
Ebenso problematisch finden Sie die Integration. Das wird in Ihrem Buch „Desintegriert euch!“sehr deutlich. Czollek: Ja, Integration ist das zentrale Modell gesellschaftlichen Zusammenlebens in Deutschland. Der Begriff setzt in seiner gegenwärtigen politischen Verwendung die Idee eines Zentrums voraus, in das integriert wird. Und die Idee einer Dominanzgruppe, die bestimmt, wer sich zu integrieren hat und wer schon integriert ist. Das zeigt sich auch daran, dass Menschen, die ein Flücht- lingsheim anzünden, zwar ein Problem darstellen, aber sie sind eben nicht nicht-integriert. Der Integrationsbegriff ist dazu da, implizit eine deutsche Dominanzposition zu behaupten. Die AfD expliziert das nur.
Integration führt also nicht zusammen, sondern spaltet?
Czollek:
Integration nimmt eine Zuordnung vor, wer drin ist und wer nicht, und was die Leute, die draußen sind, vollbringen müssen, um dazuzugehören. Und das gilt nicht nur für die Geflüchteten, die gerade ankommen und die Sprache lernen müssen, was ja klar ist, sondern auch noch für die Kinder von Migranten in zweiter und dritter Generation. Integration bedeutet, dass Menschen, die Mohammed oder Aische heißen, immer wieder unter Verdacht stehen, ihnen würde es an Loyalität zu Deutschland mangeln. Das ist absurd, gerade wenn man bedenkt, dass 25 Prozent der deutschen Gesellschaft laut Beamtendeutsch einen Migrationshintergrund haben.
Was wäre dagegen Desintegration? Czollek: Desintegration ist der Versuch, eine Alternative zum Integrationsdenken mit seiner Vorstellung von Dominanz und gesellschaftlichem Zentrum vorzuschlagen. Sie geht davon aus, dass die Orte, an denen sich 25 Prozent der Gesellschaft befinden, ebenfalls und ohne Wenn und Aber zu Deutschland gehören. Das ist keine Utopie und auch kein Akt der Nächstenliebe. Desintegration bedeutet, näher an die gesellschaftliche Realität heranzurücken. Integration ist als Konzept nicht mehr geeignet, die deutsche Gesellschaft in ihrer Vielfalt abzubilden. Außerdem ist das Integrationsdenken ein Vehikel für neo-völkische Denktraditionen, die jetzt auch gerade in der AfD wieder in den Vordergrund rücken. Mit ihrem Fokus auf die deutsche Dominanz radikalisiert die Partei ein Denkschema, das im Integrationsmodell bereits angelegt ist.
Welche Einsicht wäre Ihrer Meinung nach stattdessen nötig?
Czollek: Wir brauchen ein Modell für gesellschaftliche Zugehörigkeit, was die AfD unmöglich macht. Die Herausforderung ist dabei einerseits, die radikale Vielfalt, mit der ja viele Menschen heute bereits leben, angemessen in ein Konzept zu überführen. Die Herausforderung ist aber auch, anzuerkennen, dass wir bestimmte Traditionen politischer Zugehörigkeitsvorstellungen verinnerlicht haben. Darum interessiert mich vorrangig nicht, was die AfD will. Sondern: Wie ist unser eigenes Denken eingerichtet? Wenn 20 Prozent der Bevölkerung AfD wählen, dann gibt es doch offensichtlich ein Problem. Dann sind wir doch faktisch mit dem Selbstanspruch gescheitert, dass dieser Teil der deutschen Geschichte bewältigt ist. Und das ist eine Krisensituation.
Unser politisches Verständnis hinkt hinter der Wirklichkeit hinterher? Czollek: Wie gesagt, die deutsche Gegenwart ist bereits radikal divers. HipHop ist eine Kunstform dieser Vielfalt, auch das postmigrantische Theater. Helene Fischer ist eine Migrantin. Und nun gibt es eine Generation post-migrantischer Autoren, die mit ihrem Denken und Schrei-
ben diese neue Gesellschaft mitgestalten. Mit Konzepten wie Leitkultur, Heimat und Integration kommen wir da nicht weiter. Eine Merkwürdigkeit des politischen Denkens hierzulande ist doch: Wenn man an Vielfalt denkt, scheint das immer irgendwie zu bedeuten, die Gesellschaft könnte auseinanderfallen; man spricht eher von Parallelgesell- schaften als von Subkulturen. Dass eine solche Angst vor der Vielfalt überhaupt nicht zwingend ist, kann man etwa an Kanada und dem Motto „Unity in Diversity“, Einheit in Vielfalt, sehen.
Was ist in Deutschland anders? Czollek: Hier herrscht immer noch ein Denken vor, das letztlich auf die harmonische Gemeinschaft zielt. Das ist auch demokratietheoretisch ein Problem, weil die Demokratie ja nicht Harmonie verspricht, sondern, dass man Vielfalt organisiert. Das geht nicht ohne Konflikte. Und gerade an der deutschen Katastrophe des 20. Jahrhunderts, dem Nationalsozialismus, lässt sich doch erkennen, wo das exzessive und gewaltvolle Harmonisieren einer Ge-
„Hier tut sich ein ganz gegenwärtiger Abgrund auf.“
sellschaft hinführen kann. Wenn wir das wissen und als eine Gefahr für dieses Land verinnerlicht haben, müssen wir doch umso mehr sagen, dass Heimat als ein Modell der Harmonisierung und Integration, als ein Modell der Anpassung gerade für eine linke Politik ungeeignet sind.
Aber die Deutschen sehen sich doch eigentlich als sehr selbstkritisch… Czollek: Das stimmt. Und hier tut sich ein ganz gegenwärtiger Abgrund auf. Denn das deutsche Selbstbild als Nation der Erinnerungsweltmeister, die ihre Vergangenheit mustergültig bearbeitet habe, hat die Normalisierung erst ermöglicht, auf deren Grundlage so etwas wie die AfD wieder möglich geworden ist. Solange sich die Gesellschaft in einen direkten Bezug zu den deutschen Verbrechen stellte, war so etwas wie die Normalisierung der Feier von Nationalsymbolen oder die Normalisierung völkischen Denkens auf politischer Bühne nicht denkbar.
Gehört das für Sie zusammen? Das schwarz-rot-goldene Fahnenmeer auf der Fanmeile zur Fußball-WM 2006 und der Aufstieg rechten Denkens? Czollek: Ja, ohne Zweifel. Normalisierung in Deutschland bedeutet auch Normalisierung eines bestimmten politischen Denkens. Das zeigt sich schon allein in der auch in meiner Altersgruppe weitverbreiteten Erzählung, man könne endlich wieder stolz sein auf Deutschland. Dieses selbsterklärte gute Gewissen äußerte sich bei der WM 2006 in seiner ganzen affirmativen Kraft. Mit dem Aufstieg der AfD müsste dieses Selbstbild eigentlich korrigiert werden. Passiert aber nicht. Und solange sich das nicht ändert, werden wir auch nicht verstehen, welche politischen Denktraditionen sich gerade eigentlich Bahn brechen.